Beinahe Stromabschaltung im Südwesten – wegen zu viel Strom aus Windanlagen
Ende 2022 produzierten Windanlagen auf See in Norddeutschland 8,1 Gigawatt (GW) Strom, wie die Branche am Montag (16. Januar) mitteilte. Ein im vergangenen Jahr neu installierter Windpark trug mit einer Leistung von 0,342 GW zu diesem Wert bei. Was zunächst nach einem Fortschritt bei der Energiewende klingt, führte jedoch am Sonntag (15. Januar) zu heftigen Turbulenzen im süddeutschen Stromnetz.
Die windige Wetterlage zu dieser Zeit ließ die Windkraftanlagen im Norden sehr viel Strom produzieren. Der dadurch entstandene Überschuss am Strommarkt war gewaltig, woraufhin die Strompreise im Großhandel deutlich fielen.
Windanlagen Offshore (5,6 GWh) und Onshore (30,8 GWh) waren an jenem Sonntag nach Daten der Bundesnetzagentur die beiden größten Stromquellen in Deutschland. Sie erzeugten deutlich mehr als alle anderen Energiequellen (rund 20 GWh) zusammen.
Engpass in Süddeutschland
Im Süden Deutschlands rief jedoch der Stromnetzbetreiber TransnetBW in Baden-Württemberg an jenem Sonntag die Bürger via App zum Stromsparen auf, um einen akuten Strom-Engpass zu vermeiden. Wie kann ein Stromüberschuss im Norden einen Mangel im Süden erzeugen?
Das Problem sind die Netze, wie „Agrarheute“ berichtete. Für solche Leistungsspitzen reicht ihre Kapazität nicht aus, weshalb die hohe Strommenge von bis zu 50 GW an diesem Tag nicht überall verteilt werden konnte.
Da im Norden ein Überangebot an Strom herrschte, fiel der Preis am Strommarkt ins Bodenlose. Einige regionale Energieversorger drosselten daraufhin stark ihre Kraftwerke, weil ihr Strom nun eine wesentlich schlechtere Profitabilität vorwies. Das erzeugte den Mangel in Baden-Württemberg.
Kosten für Redispatch-Maßnahme zahlt der Stromkunde
Eine Gefahr eines Blackouts soll es in dieser Situation jedoch nicht gegeben haben, wie die „Süddeutsche Zeitung“ berichtete. Die Netzbetreiber mussten allerdings mit einem sogenannten Redispatch eingreifen, um eine Überlastung der Netze zu verhindern.
Dabei fahren Reservekraftwerke hoch, um den Strom der Windanlagen, der sich im Norden quasi in der Leitung staut, im Süden zu ersetzen. „Solche Redispatch-Maßnahmen sind ein ganz normaler Vorgang, das passiert jedes Jahr tausendfach“, sagte der Energieökonom Lion Hirth. Er verschweigt allerdings, dass dies erst seit dem massiven Ausbau der „Erneuerbaren“ der Fall ist: 2021 erfolgten insgesamt 8.635 Regeleingriffe, 2014 waren es 3.456 Eingriffe, im Jahr 2000 waren es sechs. Damit steht das Netz nach Angaben der Stromnetzbetreiber kurz vor dem Kollaps.
In diesem Fall seien die Kapazitäten im Inland ausgeschöpft gewesen, über 500 Megawatt Leistung forderten die Versorger aus der an Baden-Württemberg angrenzenden Schweiz an. Das löste die rote App-Warnstufe aus. Aber selbst das sei nicht so ungewöhnlich. Neu wäre also nicht das Phänomen, sondern vor allem die App, „die Stromversorgung war jederzeit gesichert“, sagt Hirth.
Trotzdem seien diese Redispatch-Maßnahmen ein Symptom eines Systems, in dem es an dieser Stelle holpert. Zumal sie Kosten und CO₂ verursachen, denn die zugeschalteten Kraftwerke seien meist relativ teuer und nutzen fossile Brennstoffe. Bezahlen müssten das die Kunden über die Netzentgelte.
Der überschüssige Strom im Norden floss letztendlich ins Ausland, während die Versorger den Mangel im Süden mit Stromimporten wettmachten.
Regierung: Von jetzt 8,1 GW auf 40 GW in 2035
Damit Deutschland künftig einheitlich von seinem Stromüberschuss durch die Erneuerbaren an manchen Tagen profitieren kann, müssten die Netzbetreiber entweder die Netze schnellstmöglich anpassen oder die Speichertechnologie drastisch ausbauen.
Die Bestrebungen der Bundesregierung gehen jedoch in keine dieser beiden Richtungen. Stattdessen hält die Ampel-Koalition ihren Kurs, die Windkraft auf See noch stärker auszubauen. So sollen bis 2030 die Anlagen in Nord- und Ostsee 30 GW Strom liefern. Den für den Ausbau nötigen Flächenentwicklungsplan veröffentlichte am Freitag (20. Januar) das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH).
Der Plan legt die konkreten Flächen fest, dazu die Ausschreibungsjahre, wann die Windparks in Betrieb genommen und wann sie an das Stromnetz an Land angeschlossen werden sollen. Beschrieben und bewertet werden auch die Auswirkungen auf die Meeresumwelt. Die meisten Flächen sind in der Nordsee zu finden.
Der Zubau von 8,1 auf 30 GW bis 2030 sei ein „ambitioniertes Ziel“, erklärte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Dieses Ziel ist im Koalitionsvertrag verankert und im Wind-auf-See-Gesetz rechtlich bindend festgelegt, das seit 1. Januar in Kraft ist. Der Flächenentwicklungsplan setze die im Gesetz beschlossenen Beschleunigungsmaßnahmen nun um, fuhr Habeck fort.
Die Leistung der Windenergieanlagen sei auf den vorhandenen Flächen „verdichtet“ worden. Zudem seien weitere „Potenzialflächen“ identifiziert, erläuterte das Wirtschaftsministerium. Insgesamt ließen sich dort 36,5 GW installieren. Gesetzlich festgelegt ist, dass die Windanlagen auf See bis 2035 dann 40 GW liefern.
(Mit Material von AFP)
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