„Auf der Ziellinie der RAF“ sieht Bettina Röhl die Letzte Generation

Sie kleben sich an Straßen fest oder blockieren Erdölstationen. Dabei nutzt die „Letzte Generation“ geschürte Klima-Ängste, um ihr apokalyptisches Weltbild zu transportieren und weitere „Aktivisten“ anzuwerben. Es gibt Befürchtungen, dass sich die Gruppe weiter radikalisiert.
Klimaaktivisten auf dem Weg zur RAF 2.0?
Klimaaktivisten der Aktion „Aufstand der letzten Generation“.Foto: Christian Charisius/dpa
Von 8. November 2022


„Das Zeitfenster, eine lebensfeindliche Heißzeit abzuwenden, schließt sich rasant!“, schreibt die Klima-Gruppe „Letzte Generation“ auf ihrer Website und zitiert António Guterres, derzeitiger UNO-Chef und ehemals Generalsekretär der Sozialisten in Portugal sowie Präsident der Sozialistischen Internationale: „Wir haben die Wahl: Kollektives Handeln oder kollektiver Suizid.“

Dieses kollektive Handeln scheint die „Letzte Generation“ auf Deutschlands Straßen bringen zu wollen. Sie besetzen Anlagen der fossilen Energie und Infrastrukturen und attackieren sogar Kunstobjekte. Am bekanntesten sind Verkehrsblockaden durch festgeklebte Aktivisten – wie jüngst in München. Kritiker befürchten eine Radikalisierung.

Verkehrsstaus in München

Nach zwei „Ich klebe mich auf der Straße fest“-Aktionen am Münchner Karlsplatz (Stachus) in der Altstadt sitzen rund ein Dutzend Mitglieder der Klima-Gruppe für 30 Tage in Polizeigewahrsam. Sie hatten sich – kaum vormittags von der Polizei befreit – am Abend erneut auf den Asphalt geklebt. Es hagelte Anzeigen wegen Nötigung und Verstößen gegen das Versammlungsgesetz. Die weiteren Ermittlungen wurden vom „Polizeikommissariat 43 – Politisch motivierte Kriminalität (Links)“ übernommen, heißt es im Polizeibericht aus München.

Die Münchner Polizei musste rund 50 Beamte an diesem Tag für die „Klebe-Aktionen“ und ihre Folgen bereitstellen. Die Polizei warnte in diesem Zusammenhang dringend vor der Beteiligung an solchen Aktionen. Die Blockadeaktionen seien „für die Sicherheit der Bevölkerung“ nicht kalkulierbar, wird betont.

Wenige Tage zuvor starb eine Frau bei einem Unfall in Berlin. Sie wurde von einem Betonmischer überrollt. Ein angefordertes Spezialfahrzeug der Feuerwehr blieb in einem Stau stecken und kam erst verspätet am Unfallort an. Der Stau entstand infolge einer „Letzte Generation“-Aktion auf der Stadtautobahn A100. Später stellte sich heraus, dass sich die am Unfallort agierende Notärztin unabhängig davon gegen den Einsatz des Fahrzeugs entschieden hatte. Allerdings brauchte man zum Bergen Werkzeug, welches wegen des Staus zehn Minuten zu spät kam.

Warnungen vor Radikalisierung

Der Berliner FDP-Landeschef Christoph Meyer nannte die Aktivisten daraufhin „kriminelle Straftäter“ und kritisierte die Justizsenatorin Lena Kreck (Linke). Das Tolerieren durch Grüne und Linke müsse ein Ende haben, so Meyer. Kreck dürfe „nicht länger wegschauen“.

Bundeskanzler Scholz sagte laut RND: „Ich glaube, die Leute, die da im Stau stehen, verstehen nicht plötzlich die Ernsthaftigkeit des Anliegens, sondern ärgern sich nur von vorne bis hinten.“ Bayerns Ministerpräsident Markus Söder zeigte „kein Verständnis, wenn Menschenleben gefährdet werden, ich habe kein Verständnis dafür, wenn Sachbeschädigung stattfindet. Und ich denke, der Staat muss hier auch eine klare Kante zeigen.“ Auch sein CSU-Kollege und Innenminister im Freistaat, Joachim Herrmann, ist sich sicher, dass man es keinesfalls zulassen dürfe, „dass dieser gefährliche Rechtsbruch zur Regel wird“.

FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai warnte vor einer Radikalisierung innerhalb der Klimabewegung und nannte die Sorgen davor „real und berechtigt“. Zugleich kritisierte er die Unterstützer der Klima-Demonstranten: „Das Verständnis einiger Akteure in Politik und Gesellschaft für demokratiefeindliche und gewaltsame Protestformen ist eine Ohrfeige für alle Betroffenen und für unseren Rechtsstaat.“

Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer versucht den nächsten Schritt der Klima-Gruppe vorauszusehen. Im Interview mit dem „Tagesspiegel“ sagte Palmer: „Der psychologische Druck bei den Aktivisten steigt, sie haben die Notlage erklärt und müssen aus ihrer Sicht jetzt radikal handeln.“ Dabei werde man mit Geldstrafen „die zunehmende Radikalisierung nicht aufhalten“, meinte CSU-Bayern-Vize Andrea Lindholz laut „Welt“.

Rainer Wendt, Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, fordert eine Beobachtung der Gruppe durch den Bundesverfassungsschutz als „angemessen und auch dringend geboten“. Es gehe nicht nur um ein paar „junge Spinner, die man wegtragen kann, sondern um konkret staatsfeindliches Handeln“.

„Es werden mehr kommen …“

Jakob Beyer, Gruppensprecher und einer der Inhaftierten, forderte von der Öffentlichkeit: „Wir wollen, dass ihr alle auf den Straßen Widerstand leistet.“ Beyer kündigte außerdem an: „Es werden mehr Menschen kommen. Und sie werden wissen, dass sie inhaftiert werden könnten – so wie auch wir es wussten.“ Beyer wähnt sich indes auf der Seite der Guten: „Recht und Unrecht sind hier klar verteilt. Es erfordert nun deinen Mut, dich jetzt auf die richtige Seite der Geschichte zu stellen.“

Man fordert Verhandlungen über die „Umsetzung von Sicherheitsmaßnahmen in der Klimakatastrophe wie 100 km/h auf der Autobahn sowie ein 9-Euro-Ticket im Nahverkehr“, denn dann „könnten die Proteste enden“. Man habe auch schon eine Einladung zu einem „entsprechenden Gespräch“ an die zuständigen Regierungsmitglieder herausgegeben, heißt es.

Michael Wehner von der Uni Freiburg glaubt, dass die Klimaprotestbewegung das Potenzial habe, „radikalisierte Minderheiten, die mit der Klimapolitik der Ampelregierung unzufrieden sind, zu mobilisieren und dementsprechend zu militanten Akten bereitzuhalten“.

Selbsternannte Veränderer der Gesellschaft, die sich als Avantgarde verstehen und die Zeit des Handelns als sehr drängend empfinden, sind auch bereit, entsprechende ‚Kollateralschäden‘ einzugehen.“ (Michael Wehner, Politologe, Uni Freiburg)

Wehner verwies laut Deutschlandfunk in diesem Zusammenhang auf die Geschichte der RAF, die deutlich vor Augen geführt habe, „dass eine kleine Zahl von Militanten durchaus Staat und Gesellschaft in Atem halten kann“. Der Politologe hält aber radikale Gewalttaten seitens der Bewegung für unwahrscheinlich, denn dann drohe „die Unterstützung der zivilgesellschaftlichen Bewegung verlorenzugehen“.

„Auf der Ziellinie der RAF“

Anders sieht es Terrorismusexpertin Bettina Röhl, Autorin von „Die RAF hat euch lieb“ und Tochter der RAF-Gründerin Ulrike Meinhof.

Röhl, die als Kind die Gründung der RAF im heimischen Wohnzimmer miterlebte, sagte zu „Bild“: „Die ‚Letzte Generation‘ ist schon auf der Ziellinie der RAF.“ Terrorismus sei immer Selbstdarstellung wie Van Gogh besudeln, Straßenblockaden oder Pipeline-Gelände zu stürmen.

„Auch die 68er-Bewegung begann mit Sabotage-Akten und Pudding-Attacken. Viele schrien dann nach mehr ‚Taten‘ und ‚Revolution‘. Bei den Klima-Aktivisten kann dieser hysterische ‚Kipppunkt‘ zu Gewalt und Terror sehr schnell erfolgen“, beurteilt die Expertin die Entwicklung der „Letzten Generation“.

Im Frühjahr wies der Religionspsychologe Michael Utsch von der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ auf „religiös aufgeladene Sprachbilder“ bei der Klima-Gruppe hin: „Damit schürt sie apokalyptische Endzeitängste, wenn die Rede von ,letzte Generation‘, ,Weltuntergang‘ oder ,Selbstaufopferung‘ ist“, so der Experte. Damals meinte Utsch jedoch noch, dass angesichts von radikalen und moderaten Strömungen in der Gruppe der „genaue Kurs der Bewegung noch nicht abzusehen“ sei.

Klima-Proteste bis zu Gefängnisstrafen

Mittlerweile reichen offenbar auch 30-tägige Gefängnisstrafen – wie in München – nicht mehr aus, um die Aktivisten im Zaum zu halten. In ihrem jüngsten Aufruf kritisiert die Gruppe: „Bürger:innen der Letzten Generation sitzen seit gestern Abend in der JVA Stadelheim“, schreibt das Klima-Kollektiv. Es geht um eine Gewahrsam von 30 Tagen, weil alle 13 Beteiligten mit „friedlichen Straßenblockaden Widerstand gegen den zerstörerischen und todbringenden Kurs der Bundesregierung geleistet“ hätten. Die Regierung verfehle die Klimaziele, so die Kritik – und die 1,5-Grad-Grenze sei bereits auch nicht mehr erreichbar.

Laut „Bild“ werbe die „Letzte Generation“ in ihren Chat-Gruppen zunehmend um neue Mitglieder, die bereit seien, ins Gefängnis zu gehen: „Wenn du dir vorstellen kannst, für 30-60 Tage ins Gefängnis zu gehen oder einfach nur neugierig bist, was es mit diesem Vorhaben auf sich hat, komm vorbei (lächelndes Smiley).“ Aufgrund dessen vermutet die „Bild“, dass sich die Gruppe offensichtlich immer stärker darauf vorbereite, Aktionen zu begehen, die im Gefängnis enden.

Der Boulevardzeitung nach arbeite die „Letzte Generation“ mit der linksextremen Szene zusammen. Eine dem Blatt vorliegende aktuelle Trainingsanleitung für die Mitglieder verweise hinsichtlich von Prozesskosten darauf, einen „Antrag bei der Roten Hilfe“ zu stellen.

„Bild“ erklärt: Laut Verfassungsschutz betreue die „Rote Hilfe e.V.“ Straftäter, um sie gezielt an die linksextreme Szene zu binden. Wie die „TAZ“ einst schrieb, entstand die „Rote Hilfe“ 1975 im Zusammenhang mit der 68er-Bewegung. Der Verein betreute demnach auch die Angeklagten in den RAF-Verfahren und wünschte 2016 noch in ihrer Mitgliederzeitung den immer noch untergetauchten drei RAF-Mitgliedern Burkhard Garweg, Ernst-Volker Staub und Daniela Klette: „Viel Kraft und Lebensfreude, lasst es euch gut gehen!“

Steuergelder für Linksextremisten

Im regionalen „Wetzlar-Kurier“ schreibt Herausgeber Hans-Jürgen Irmer, Kreisvorsitzender der CDU im hessischen Lahn-Dill-Kreis, dass der Verfassungsschutz mit Sorge festgestellt habe, dass der Einfluss von Linksextremen auf die Klimabewegung eindeutig größer geworden sei. Der Linksextremismus versuche dort Fuß zu fassen und habe damit teils auch Erfolg. Auch die Klimaprotestgruppe „Letzte Generation“ gehöre zu diesen Linksextremisten und habe in diesem Jahr bereits mehr als 300 Straßen blockiert. Allein in Berlin habe es 149 Blockaden gegeben, in Hessen seien es 34 gewesen, so der konservative Herausgeber.

Irmer verwies darauf, dass die Gruppe indirekt von Bundeswirtschaftsministerium unter Robert Habeck gefördert werde. Der Herausgeber bringt den Verein „Elinor“ ins Spiel, der rund 156.000 Euro Steuergelder bekommen habe – offiziell zur Unterstützung eines Innovationsprogramms für junge Unternehmen, so Irmer. Der „Wetzlar-Kurier“ fragte bei „Elinor“ nach und erfuhr, dass man auch der „Letzten Generation“ aufgeschlossen gegenüberstehe „und man auch Klimagruppen unterstütze, die Mittel des sogenannten zivilen Ungehorsams anwenden“.

Irmer dazu: „Ziviler Ungehorsam ist nichts anderes als Bruch geltenden Rechtes, Nötigung von Menschen, indirekte Freiheitsberaubung“. Der CDU-Kreisvorsitzende glaubt, dass es „dieser Handvoll linksextremer Aktivisten“ völlig egal sei, dass deren gezielt verursachte, rechtswidrige Staus einen Eingriff in den Straßenverkehr darstellten. Dies trage dazu bei, „dass Menschen nicht rechtzeitig zur Arbeit kommen, dass sie den Flieger verpassen, dass ein medizinischer Notfall nicht in die Klinik gebracht werden kann, dass Kinder nicht rechtzeitig von der Kita abgeholt werden können und vieles andere mehr“.



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