Alle Macht den lokalen Gesundheitsämtern? Coronavirus wird zum Test für Deutschlands Föderalismus

Das Coronavirus wird in Deutschland zur Nagelprobe für den Föderalismus. Die weitreichendsten Entscheidungsbefugnisse für Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz liegen bei den lokalen Gesundheitsämtern – bis hin zum Anhalten von Zügen und Ausgangssperren.
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Der Coronavirus-Krisenstab bei seiner Tagung am 28. Februar.Foto: DAVID GANNON/AFP via Getty Images
Epoch Times29. Februar 2020

Im Spätsommer 2005 waren die Medien voll von aggressiver Kritik am damaligen US-Präsident George W. Bush, weil dieser mit Blick auf den Hurrikan „Katrina“ nicht alle Kompetenzen sofort und vollständig ausgeschöpft hätte, die der US-Zentralregierung im Fall einer Katastrophe zukämen. Der ausgeprägte Föderalismus und das Misstrauen gegenüber der zentralen Katastrophenschutzbehörde FEMA in Teilen der Bevölkerung hätten es jedoch politisch als prekär erscheinen lassen, sich einfach über die lokalen Autoritäten hinwegzusetzen. Heute diskutiert Deutschland über das Coronavirus – und es zeigt sich, dass die Macht der lokalen Gesundheitsämter gegenüber dem Bund im Zweifel noch größer ist als in den USA und vielen anderen Ländern.

„Beginn einer Epidemie“ oder unnötige Panikmache?

Bis dato streitet man in Deutschland noch über Begriffe im Zusammenhang mit der Ausbreitung des Coronavirus. Dass Bundesgesundheitsminister Jens Spahn am Mittwoch (26.2.) davon sprach, dass Deutschland sich „am Beginn einer Corona-Epidemie“ befinde, halten Kritiker immer noch für vorschnell. Immerhin betraf, so erklärte ein mit dem Fall vertrauter Apotheker gegenüber „Watson“, der Anlassfall – die erste bekannt gewordene Infektion im Kreis Heinsberg – einen Patienten, dessen Immunsystem durch eine Lungenerkrankung geschwächt gewesen sei. Menschen mit intaktem Immunsystem bräuchten sich jedoch keine Sorgen zu machen.

Der Betroffene aus Heinsberg weilte kürzlich vom 20. bis zum 23. Februar mit seiner fünfköpfigen Familie im Brandenburger Erlebnisbad Tropical Islands. Nach seiner Rückkehr nach Nordrhein-Westfalen wurde der leicht Erkrankte positiv auf das Virus getestet. Das Gesundheitsamt des Landkreises Dahme-Spreewald verneinte jedoch ein erhöhtes Ansteckungsrisiko.

Der Mann habe, so hieß es aus dem Gesundheitsministerium, „keine sehr engen Kontakte“ mit anderen Badegästen gehabt – allenfalls zu Mitarbeitern, zum Beispiel bei der Essensausgabe. Eine Isolation dieser Menschen sei „nicht nötig“. Sie könnten sich aber freiwillig testen lassen. Mit den Tests solle am Freitag begonnen werden, so Ursula Nonnemacher. Die 91 Mitarbeiter des Badeparks zeigten demnach keine Symptome – das Virus hat jedoch eine Inkubationszeit von teilweise über 24 Tagen.

Krisenstab erweitert Liste der Risikoländer

Spahns Einschätzung einer „beginnenden Epidemie“ geht konform mit einer zwei Tage zuvor veröffentlichten Erklärung der Weltgesundheitsorganisation (WHO), in der es hieß, es gäbe weiterhin eine Epidemie in einzelnen Ländern. Mit Stand vom heutigen Samstagvormittag (29.2.) gibt es derzeit in Deutschland 66 nachgewiesene Infektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus. Bisher, so versichert das Bundesgesundheitsministerium, sei es „gelungen, Infizierte in Deutschland zu isolieren, zu behandeln und die Kontaktpersonen engmaschig zu betreuen“.

Es sei mittlerweile aber „unklar, ob die Infektionsketten weiterhin durchbrochen werden können“. Deshalb habe der Krisenstab, der im Einklang mit der Pandemieplanung des Robert-Koch-Instituts die Liste der Risikoländer erweitert, für deren Reisende in Deutschland künftig erweiterte Meldepflichten wie Aussteigekarten – die eine schnellere Lokalisierung und Kontaktaufnahme ermöglichen – und obligatorische Informationen über den Aufenthaltsort gelten. Neben Reisenden aus China sind künftig auch solche aus Italien, Japan, Südkorea und dem Iran betroffen.

Medizinisches Personal soll auch heimische Patienten im Verdachtsfall nach Reisen in Infektionsgebiete oder Kontakt mit Infizierten fragen. Der Bevölkerung wird geraten, „nicht bei jedem Husten in die Notaufnahme“ zu gehen. Man solle stattdessen „den Arzt anrufen, wenn man nach Aufenthalt in Infektionsgebieten oder Kontakt mit Infizierten, Grippe, Atemwegsbeschwerden oder Fieber bekommt“.

Coronavirus als Anlass für zusätzliche Kontrollen an Grenzen

Darüber hinaus beschränkt sich der Krisenstab vorerst darauf, „medizinische Schutzausrüstung wie Atemschutz, Handschuhe und dergleichen“ zu beschaffen. Dafür sollen „Produktionskapazitäten in Deutschland erhöht“ und die „Ressourcen der europäischen Partner gebündelt“ werden. Auch die Bundespolizei soll, wie die „Welt“ berichtet, ihre Kontrollen im 30-Kilometer-Raum an den Grenzen verstärken und dabei auch auf Corona-Verdachtsfälle achten. Das Bundespolizeigesetz erlaubt Personenkontrollen im Grenzgebiet. Diese können bis zu einer Tiefe von 30 Kilometern vorgenommen werden zur Verhinderung unerlaubter Einreise oder zur Verhütung von Straftaten, die im Zusammenhang mit der Grenzsicherung stehen.

Was weiter reichende Maßnahmen anbelangt, sind dem Krisenstab im Bundesministerium zudem auch die Hände gebunden. Die wesentlichen Entscheidungen, beispielsweise ob Veranstaltungen stattfinden können, Züge angehalten oder öffentliche Einrichtungen geschlossen werden, verbleiben bei den Kommunen vor Ort. Die größte Verantwortung kommt dabei den kommunalen Gesundheitsämtern zu.

Die „Welt“ sieht darin eine „unheimliche Macht“. Sie befürchtet, dass eigennützige Erwägungen die lokalen Behörden dazu veranlassen könnten, möglicherweise erforderliche weitreichende Maßnahmen zu unterlassen, um wirtschaftliche Interessen der Kommune zu schützen.

ITB am Ende vom Veranstalter selbst abgesagt

Als Beispiel nennt sie die Internationale Tourismusbörse (ITB) in Berlin. Der Gesundheitsstadtrat von Charlottenburg-Wilmersdorf, Detlef Wagner, hatte entgegen einer im Vorfeld ausgesprochenen Mahnung von Bundesinnenminister Horst Seehofer, die Veranstaltung abzusagen, grünes Licht gegeben für die Reisemesse. Zu dieser werden 10.000 Aussteller aus aller Welt und eine noch deutlich größere Anzahl an Besuchern erwartet. Seehofer hatte zu bedenken gegeben, dass das Risiko der Verbreitung des Virus angesichts der weltweiten Besucherströme unkalkulierbar sei. Auch der Krisenstab des Bundes, der immerhin Empfehlungen abgeben kann, erklärte unter Berufung auf die Kriterien des Robert-Koch-Instituts (RKI), es sollten „unmittelbar bevorstehende internationale Großveranstaltungen wie die ITB abgesagt werden“.

Der Bezirk verwies demgegenüber darauf, dass es in Berlin bislang noch nicht einmal einen bestätigten Corona-Fall gäbe. Allerdings hat das Gesundheitsamt eine Reihe von Auflagen an die Abhaltung der Veranstaltung geknüpft. So sollte jeder Teilnehmer belegen, nicht aus definierten Risikogebieten zu stammen oder keinen Kontakt zu einer Person aus einem solchen Gebiet gehabt zu haben. Organisatorisch wäre es kaum machbar gewesen, die Einhaltung der Auflagen zu kontrollieren – der Veranstalter sagte am Ende von selbst ab.

Über Angelegenheiten im Zusammenhang mit der Binnenluftfahrt oder der Grenzsicherung, etwa Flugverbote oder Einreisestopps, entscheiden Bundesbehörden. Hingegen ist das lokale Gesundheitsamt wieder zuständig, wenn ein Flugzeug landet oder ein Zug in einem Bahnhof einfährt, in dem ein Verdachtsfall hinsichtlich einer Infektion mit Covid-19 besteht. Denn, so bestätigt das Bundesgesundheitsamt gegenüber der „Welt“: Auch, was Maßnahmen aufgrund des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) anbelangt, seien die lokalen Gesundheitsbehörden dafür verantwortlich, diese bei Bedarf zu treffen. In diesem Sinne müssen auch lokale Gesundheitsbehörden Entscheidungen wie das Anhalten eines Zuges oder die Sperre eines Bahnhofs treffen.

Gesundheitsämter vor Ort können Kindergärten und Schwimmbäder sperren

Ereignisse wie die Ausbreitung des Coronavirus zeigen, wie weit die Befugnisse der lokalen Gesundheitsämter und der Kommunen insgesamt gehen – auch in einer Krisensituation. So entscheiden die Ämter vor Ort, ob Kindergärten gesperrt, Fußballspiele oder Messen abgesagt werden, Schwimmbäder geöffnet bleiben, Demonstrationen stattfinden oder eine Quarantäne über bestimmte Personen oder Einrichtungen verhängt wird. Im Extremfall liegt es an den örtlichen Behörden, eine Ausgangssperre zu verhängen.

Im Fall einer Pandemie hätten die örtlichen Behörden weitreichende Befugnisse, in eine Vielzahl grundgesetzlich geschützter Rechte einzugreifen – und Personen, die zuwiderhandeln, drohen Geldbußen zwischen 2.500 und 25.000 Euro, fallweise gar Haftstrafen von bis zu fünf Jahren.

Der Unterschied zwischen einer Epidemie und einer Pandemie besteht vor allem im jeweiligen Verbreitungsgrad: Bei der Epidemie handelt es sich um eine unkontrollierte Ausbreitung einer Erkrankung innerhalb einer bestimmten Region. Die Ausbreitung der Pandemie hingegen ist örtlich unbegrenzt.

Das Robert-Koch-Institut hält derweil an seiner bereits Mitte Februar geäußerten Einschätzung fest, die globale Entwicklung lege es nahe, dass es zu einer weltweiten Ausbreitung des Virus im Sinne einer Pandemie kommen kann. Auf globaler Ebene handele es sich um eine „sich sehr dynamisch entwickelnde und ernst zu nehmende Situation“. Für eine abschließende Beurteilung der Schwere der neuen Atemwegserkrankung lägen gegenwärtig nicht genügend Daten vor. In einer aktuellen Risikobewertung heißt es:

„Bei einem Teil der Fälle sind die Krankheitsverläufe schwer, auch tödliche Krankheitsverläufe kommen vor. Mit einem Import von weiteren Fällen nach Deutschland muss gerechnet werden. Auch weitere Übertragungen, Infektionsketten, lokale Infektionsgeschehen und Ausbrüche sind in Deutschland möglich.“

Die Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung werde in Deutschland aktuell jedoch als gering bis mäßig eingeschätzt.

Wäre weniger Föderalismus eine passende Lösung?

Der ausgeprägte Föderalismus in Deutschland lässt, wie die jüngste Entwicklung zeigt, im Katastrophenfall Kompetenzstreitigkeiten befürchten. Zudem löst der Gedanke an einen Ortsbürgermeister, der Quarantäne über einzelne Bürger verhängt, vielfach Argwohn aus. Das Beispiel der USA zeigt jedoch, dass auch ein System, in dem der Zentralregierung mehr gesetzliche Befugnisse für den Katastrophenfall zugestanden werden, keine umfassende Zufriedenheitsgarantie bietet: So war dort insbesondere in der Ära Obama eine Verschwörungstheorie weit verbreitet, wonach die Regierung plane, eine Katastrophe zum Vorwand zu nehmen, um massenhaft Bürger in FEMA-Lagern zu internieren. Die Behauptung war unterlegt mit Bildern eines angeblich bereits gebauten Lagers im Bundesstaat Wyoming – die sich allerdings als Aufnahmen aus Nordkorea entpuppten.

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