Ebnet ein Mitgliederentscheid zur Kernkraft den Weg zum Ende der Ampelkoalition?

Rückt das Ampel-Aus doch näher? Teile der FDP-Basis sind offenbar fest entschlossen, ihre Partei aus dem immer ungeliebteren Bündnis zu lösen. Klappt es vielleicht über einen Mitgliederentscheid zum Thema Kernkraft, der auch für die Parteispitze bindend wäre?
Am 15. April sollen die drei verbliebenen Kernkraftwerke in Deutschland endgültig vom Netz gehen.
Archivbild: Am 15. April 2023 wurden die letzten drei verbliebenen Kernkraftwerke in Deutschland vom Netz genommen. Schafft es die FDP-Basis, einen Gesetzentwurf zum Wiedereinstieg zu erzwingen?Foto: Sina Schuldt/dpa
Von 15. November 2023


Manche Parteimitglieder der FDP werden offensichtlich immer kreativer, um ihre Parteiführung zum Verlassen der Ampelregierung zu bewegen. Nach einem Artikel der Zeitung „Junge Freiheit“ haben zwei von ihnen – nämlich Dr. Johannes Baare und Prof. Dr. André Thess – eine Initiative gestartet, um einen Mitgliederentscheid herbeizuführen.

Unter dem Motto „Freie Demokraten für Kernenergie“ geht es diesmal nicht direkt um den Ausstieg aus der Regierungskoalition, sondern um den Ausstieg aus deren Anti-Atomkraft-Kurs. Was wiederum das Ampel-Aus nach sich ziehen könnte.

Fraktion soll Gesetzentwurf einbringen

Der Trick der Mitgliederentscheid-Initiative: Falls sich die Mitglieder tatsächlich in ausreichender Zahl für die Initiative engagieren sollten, bliebe dem FDP-Bundesvorstand gar nichts anderes übrig, als den Entscheid durchzuführen. Und sollte sich dann eine Mehrheit für den Wiedereinstieg in die Kernkraft aussprechen, müsste die Fraktion genau dafür einen Gesetzesentwurf in den Bundestag einbringen. Allein das wäre wohl schon eine schwere Zerreißprobe für die Ampel, denn SPD und Grüne lehnen eine Rückkehr zur eigenen Atomstromproduktion auf deutschem Boden strikt ab.

Mehr noch: Zusammen mit den Stimmen der Union und der AfD könnte es der FDP-Fraktion sogar gelingen, tatsächlich eine Wende in der deutschen Energiepolitik herbeizuführen, wie die „Junge Freiheit“ annimmt: „Damit wären nicht nur die Energiesicherheit in Deutschland und sinkende Strompreise wieder hergestellt, sondern es wäre auch das Ende der Ampelkoalition besiegelt.“

Wie stehen die Mitglieder zur Energiewende?

In Sachen AKW scheint es zwischen Parteibasis und Fraktion allerdings gewisse Differenzen zu geben: Während der FDP-Bundesparteitag sich im April 2023 nach Informationen der „Zeit“ zur zukünftigen Kernkraftnutzung bekannt hatte, sperrt sich die Bundestagsfraktion gegen eine Änderung des Atomgesetzes – zumindest, wenn die Ideen von der falschen Partei kommen.

Zuletzt hatte die FDP-Fraktion am 10. November geschlossen gegen einen Gesetzentwurf und einen Antrag der AfD gestimmt, obwohl beide Anträge im Wesentlichen ebenfalls auf die Option einer zukünftigen Kernkraftnutzung hinausliefen. Also auf genau das, was der Bundesparteitag eigentlich wollte – und die Mehrheit der Parteimitglieder vielleicht ebenfalls unterstützen würde.

Atomgesetz von vor 2002 soll wieder gelten

Damit der Plan von Baare und Thess aufgeht, müssten nach Angaben der „Jungen Freiheit“ zunächst etwa 3.850 FDP-Mitglieder die Website „freedemocratsforfission.com“ besuchen, sich den Vordruck des „Unterstützungsschreibens“ (PDF-Datei) ausdrucken, ausfüllen, unterschreiben und per Post an den Hauptinitiator Baare schicken.

Die Zahl 3.850 entspreche ungefähr fünf Prozent der derzeit 77.000 Parteimitglieder und damit der gemäß Paragraph 21 der FDP-Bundessatzung (PDF-Datei) erforderlichen Mindestmenge, um zunächst den Bundesvorstand zum Handeln zu zwingen, heißt es in der „Jungen Freiheit“. Nach Paragraph 21, Absatz 3 der FDP-Bundessatzung  würden auch fünf Landes- oder 100 Kreisverbände genügen, die das Anliegen unterstützen würden. Der Bundesvorstand müsste daraufhin zunächst einen bindenden Mitgliederentscheid zum Thema Kernkraft herbeiführen.

Sieben AKW sollen wieder ans Netz

Falls im Rahmen dieses Mitgliederentscheids eine einfache Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen dem Antrag auf das Ja zur Kernkraft zustimmen sollten, wäre die FDP-Bundestagsfraktion verpflichtet, „ein Gesetz in den Bundestag ein[zu]bringen, […] das im Wesentlichen dem Atomgesetz in seiner bis zum 26. April 2002 geltenden Fassung entspricht“, wie es im Unterstützungsschreiben heißt. Konkret solle der neue Gesetzentwurf „alle rechtlichen, technischen und sonstigen Aspekte“ regeln, damit sieben still gelegte deutsche Kernkraftwerke wieder Strom produzieren können, nämlich:

  • Brokdorf
  • Emsland
  • Grohnde
  • Isar 2
  • Gundremmingen C
  • Krümmel
  • Neckarwestheim 2

Außerdem soll das Gesetz dafür sorgen, „Kernkraftwerke der sog. Generation IV“ zu erforschen und „mittelfristig“ auch zu bauen. Dabei handelt es sich nach Angaben des MDR um Anlagen, die zur Kernspaltung in der Lage wären, noch sicherer seien und „nicht für die Herstellung von Atomwaffen missbraucht werden“ könnten.

Neben den Initiatoren Baare und Thess haben sich bereits neun weitere hochrangige Fachleute, unter anderem für Energietechnik und Wirtschaft, dem #freedemocratsforfission-Vorstoß angeschlossen. Nach Angaben der „Jungen Freiheit“ besitzen die Professoren jedoch kein FDP-Parteibuch.

Wer sind Dr. Johannes Baare und Prof. Dr. André Thess?

Bei dem Rechts- und Anlageberater Dr. Johannes Baare handelt es sich um den stellvertretenden Vorsitzenden des FDP-Ortsverbandes Mölln (Schleswig-Holstein). Nach Angaben der „Welt“ hofft Baare, „mit unserer Initiative diejenigen FDP-Mitglieder zu erreichen, die wie wir grüne Industriepolitik und Strompreissubventionen für einen Irrweg halten“.

Prof. André Thess, ein international renommierter Experte für Energiespeicherung und Energiewandlungstechnologien, der an der Universität Stuttgart lehrt, gehört dem FDP-Landesverband Baden-Württemberg an. Er plädiert laut „Welt“ dafür, dass Deutschland „seinen nationalen Alleingang in puncto Kernenergie beenden und in der Energiepolitik stärker auf unseren EU-Partner Frankreich zugehen“ sollte. Denn eine „zugleich versorgungssichere, kostengünstige und umweltfreundliche Energieversorgung“ sei „langfristig nur durch die Kombination ‚Sonne, Wind und Kerne‘ erreichbar“.

Dicke Luft an der Parteibasis

Schon vor der Atomkraft-Initiative von Baare und Thess hatten andere FDP-Mitglieder versucht, die Parteiführung um Christian Lindner zum Verlassen der rot-grün-gelben Koalition zu bewegen.

So hatte beispielsweise der Kasseler Stadtkämmerer Matthias Nölke (FDP) auf der Website „Ampel-beenden.de“  eine Unterschriftenaktion gestartet, um eine offizielle Befragung der Parteimitglieder darüber zu erzwingen, ob sie die FDP angesichts der derzeitigen Bündnispartner noch weiter in Regierungsverantwortung sehen wollen. Das Ergebnis einer solchen Befragung müsste die Parteispitze – anders als bei einem Mitgliederentscheid – aber nicht zwingend umsetzen.

Nach Informationen der „Jungen Freiheit“ ist das Quorum von 500 Stimmen inzwischen erreicht. FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki rechne bereits damit, dass es zur Abstimmung kommen wird.

Kurz zuvor hatte ein „Weckruf Freiheit“ von 26 besorgten Parteiangehörigen aus sieben Bundesländern Schlagzeilen gemacht, die sich ebenfalls einen Neuanfang abseits von Rot und Grün erhoffen. Ihrer Meinung nach „verbiegt“ sich die FDP „in dieser Koalition bis zur Unkenntlichkeit“. Als liberale Partei dürfe man aber nicht länger „für eine quasireligiöse Ideologie arbeiten“.

Bundesfinanzminister Christian Lindner am 3. November 2023 bei seinem Gastauftritt in der Universität Luzern

Bundesfinanzminister Christian Lindner am 3. November 2023 bei seinem Gastauftritt in der Universität Luzern. Foto: Bildschirmfoto/YouTube/IWP

Linder ebenfalls unzufrieden

Selbst Parteichef Christian Lindner scheint sich sowohl in Deutschland im Allgemeinen als auch als Teil der Ampelregierung im Besonderen nicht mehr rundum wohlzufühlen: Am 3. November hatte er bei einem Auftritt in der Universität Luzern verkündet, dass er nicht aus freien Stücken, sondern nur gezwungenermaßen zusammen mit Sozialdemokraten und Grünen regiere. Die Schweiz dagegen lobte er als eine „Gesellschaft […], in der der Tell den Gesslerhut nicht gegrüßt hat“.

Nach Einschätzung des Nachrichtenmagazins „Focus“ trugen auch Lindners Luzerner Äußerungen zumindest „zur wachsenden Unzufriedenheit innerhalb der FDP bei“.

Schon vorher hatten sinkende Umfragewerte und das Aus für die Liberalen im Bayerischen Landtag immer mehr Mitglieder zu der Überzeugung gebracht: Entweder die FDP beendet die Ampel – oder die Ampel beendet die FDP. Denn ob die FDP auf Bundesebene derzeit oder auch in Zukunft je wieder die Fünf-Prozent-Hürde überspringen können wird, steht in den Sternen.



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