Gesundheitsamt-Leiter stellt sich gegen Söder: „Corona-Politik auf tatsächlich Kranke ausrichten“

Friedrich Pürner, Leiter des Gesundheitsamtes Aichach-Friedberg, hat die Corona-Politik des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder kritisiert. Nun wurde er veranlasst, den Verweis auf seine amtliche Funktion von seinem Twitter-Profil zu entfernen.
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Markus Söder.Foto: PETER KNEFFEL/AFP via Getty Images
Von 6. Oktober 2020

Der Leiter des Gesundheitsamtes im bayerischen Aichach-Friedberg, Friedrich Pürner, hat Kritik an der Corona-Politik der Bayerischen Staatsregierung geübt. Dies berichtet der Bayerische Rundfunk. Er hält es für zu eng, bei der Bestimmung des Inzidenzwerts und der darauf basierenden Verhängung von Pandemie-Maßnahmen ausschließlich die positiven Testergebnisse zum Maßstab zu nehmen.

Stattdessen solle die tatsächliche Erkrankung an COVID-19 zum entscheidenden Faktor werden.

Gesundheitsamts-Chef: Positiv getestet heißt noch nicht erkrankt oder ansteckend

Damit spielt Pürner auf kritische Stimmen aus der Forschung an, die Zweifel äußern an der Aussagekraft von PCR-Tests. Diese hatte unter anderem der Harvard-Epidemiologe Dr. Michael Mina bereits Ende August in der „New York Times“ (NYT) angesprochen.

Mina erklärte in diesem Zusammenhang, dass mehr Menschen das Coronavirus in irgendeiner Weise in sich tragen als tatsächlich an COVID-19 erkranken würden. Vor allem aber sei ein bloßer positiver PCR-Test nicht aussagekräftig bezüglich der Ansteckungsgefahr, die vom Infizierten ausgehe.

Diese sei jedoch der eigentlich relevante Faktor, auf den man Maßnahmen abstimmen sollte.

Sentinel-Praxen wie bei der Grippe einführen

In der Fachwelt spricht man bei Virusträgern, die nicht erkranken und von denen auch keine Ansteckungsgefahr ausgeht, von „falsch Positiven“. Charité-Virologe Christian Drosten, auf den das Konzept der positiven PCR-Tests zurückgeht, bestreitet hingegen, dass die Differenz in der Praxis eine nennenswerte Bedeutung habe.

Friedrich Pürner schlägt vor, eine differenzierte Meldepflicht von Corona-Fällen einzurichten. Neben der Zahl der positiven Tests solle vor allem erfasst werden, ob und wie stark die Infizierten tatsächlich erkrankt seien und wie viele von ihnen stationär oder gar intensiv behandelt werden müssten. Der Gesundheitsamtschef erklärte gegenüber dem BR, er wolle „beobachten, wie viele tatsächlich an COVID Erkrankte es gibt“.

Dafür seien sogenannte „Sentinel-Praxen“ eine Option, wie es sie, angeregt durch das Robert-Koch-Institut (RKI), bereits im Zusammenhang mit der Grippe gäbe. Bei diesen handelt es sich um ein aktives und auf freiwillige Mitarbeit gestütztes System zur Beobachtung und Kontrolle eines Krankheitsgeschehens. Praxen erfassen dabei regelmäßig oder kontinuierlich epidemiologisch relevante Daten, die ihnen im Rahmen der allgemeinen Vorsorgepraxis bekannt werden. Daraus lassen sich Entwicklungen bestimmter Krankheitsfelder in einem Teil der Bevölkerung nachzeichnen.

Söder rechtfertigt seine Corona-Politik mit Nachvollziehbarkeit der Infektionswege

Die Corona-Politik der Bayerischen Staatsregierung unter Ministerpräsident Markus Söder ist jedoch darauf ausgerichtet, je nach Entwicklung der Inzidenzwerte die Pandemie-Maßnahmen zu verschärfen. Diese Praxis ist auch mit der Bundesregierung abgestimmt. So sollen automatisch strengere Regeln in Kraft treten, sobald ein Wert von 50 Infizierten pro 100.000 Einwohner in einer Kommune überschritten ist.

Söder begründet dieses Vorgehen mit der Schwierigkeit, Infektionsketten nachzuvollziehen, sobald ein solches Ausmaß erreicht sei. Um diese Zahlen niedrig zu halten, sei auch die in Bayern geltende Maskenpflicht im Schulunterricht nach den Ferien erforderlich gewesen, rechtfertigte Söder diesen umstrittenen Schritt jüngst auf dem Parteitag der CSU.

Der Leiter des Aichacher Gesundheitsamtes hatte auch diese Bestimmung kritisiert, weil sich „Kinder ja auch nach der Schule ohne Maske treffen“. Stattdessen benötigten sie Aufenthalte an der frischen Luft, insbesondere in den Pausen.

Frankfurter Kollege pflichtet Pürner bei

Rückendeckung bekommt Pürner, der Erfahrung in der Leitung von Abteilungen für Epidemiologie und Infektiologie aufweist, von seinem Kollegen René Gottschalk, Chef des Gesundheitsamtes in Frankfurt am Main. Auch er rät zu einer Anpassung der Corona-Überwachung an die Standards, die mit Blick auf die Grippe gelten. Es sei, so Gottschalk, keine Übersterblichkeit bei Personen feststellbar, die an COVID-19 erkrankt waren.

Trotz der Kritik an den Maßnahmen will Pürner diese umsetzen, wie es das Gesetz von ihm verlange. Er verwahrte sich auch dagegen, sich von politischer Seite vereinnahmen zu lassen. Gegenüber dem BR erklärte er, er sei „kein Rechtsradikaler und kein Impfgegner“, und: „Ich will mich für keine Partei instrumentalisieren lassen, am allerwenigsten für die AfD.“

Pürner glaube auch nicht, dass seine Kritik an den Corona-Maßnahmen Repressalien für ihn zur Folge haben würde. Er glaube an „Meinungsfreiheit und Demokratie“. Allerdings haben ihn wegen seiner kritischen Positionen auf Twitter Vorgesetzte bereits erfolgreich dazu gedrängt, die Bezeichnung „Leiter Gesundheitsamt“ aus seinem Twitter-Profil zu entfernen.




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