„Hart aber fair“: Patienten-Tetris – eine Krankenpflegerin packt aus
Der Satz von Lisa Schlagheck hat Sprengkraft. In Gegenwart von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und dem bayerischen Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) sagte sie am Montagabend (7. November) in der Sendung „Hart aber fair“: „Ich werde es tunlichst vermeiden, aktuell in ein Krankenhaus eingeliefert werden zu müssen.“
Schlagheck weiß, wovon sich spricht. Sie arbeitet als Krankenpflegerin an der Uniklinik Münster. Ihr ist bewusst, dass die Krise im Gesundheitswesen schon weit vor der Corona-Krise begonnen hat. „Die Annahme, dass wir wegen der Corona-Welle überlastet sind, ist falsch. Meiner Ansicht nach sind wir überlastet wegen der Ökonomisierung im Gesundheitswesen und wegen der Personalknappheit. Corona ist dann das i-Tüpfelchen, das uns belastet“, so Schlagheck. Damit steht sie nicht allein. Das Vertrauen in die Politik hat sie wie andere Pflegekräfte längst verloren.
Die junge Intensivpflegerin schilderte deutlich, wie es ist, seit acht Jahren allein im Nachtdienst tätig zu sein, vier Jahre auf der Normalstation und vier Jahre für Notfall- und Intensivpatienten, die auf zwei Etagen verteilt waren. Während ein Transplantationspatient in der unteren Etage lag, bei dem nicht klar war, ob das gespendete Organ abgestoßen wird, kämpfte Schagheck eine Etage höher mit Ärzten um das Leben eines Notfallpatienten, erinnert sich die Pflegerin. Kein Einzelfall, wie sie beschreibt.
Inzwischen sei es auch an der Tagesordnung in den Klinken, dass Patienten stundenlang in Fluren auf eine Behandlung warten und dort behandelt werden müssen – ganz ohne Intimsphäre. Die Suche nach einem freien Krankenbett sei wie Tetris spielen. Bevor ein Bett gefunden sei, würden schon einmal Stunden vergehen.
Streik für bessere Bedingungen
Schlagheck wirft Lauterbach politisch herbeigeführten Personalmangel vor. Immer wieder käme es vor, dass sich Notfallaufnahmen vom Dienst abmelden, sodass betroffene Patienten auf umliegende Krankenhäuser – manchmal in Hunderten Kilometern Entfernung – ausweichen müssen. Frustrierend sei es auch, dass die bürokratischen Aufgaben, die von Pflegekräften und Ärzten erwartet werden, ihnen wichtige Zeit am Patienten nehmen.
Mit einem gewissen Stolz berichtete Schlagheck, dass es ihr und ihren Kollegen mit einem 77 Tage andauernden Streik schließlich gelungen ist, eine Änderung herbeizuführen. Nachtschichten muss sie seither nicht mehr allein bewältigen – ein Erfolg, den man im Rahmen der Politik in den letzten Jahrzehnten nicht hatte herbeiführen können.
Streit um zukünftige Corona-Szenarien
Spätestens seit der Corona-Krise rückt die Lage in deutschen Krankenhäusern immer wieder in den Fokus der Öffentlichkeit. Lauterbach warnt als gern gesehener Talkshow-Gast immer wieder vor neuen Coronavarianten, die die Infektionszahlen in die Höhe treiben könnten, auch wenn milde Krankheitsverläufe vermutet werden. Sicher ist sicher, so das Motto.
In der Sendung „hart aber fair“ widersprach der Minister ausdrücklich der Aussage von Professor Thomas Mertens, Vorsitzender der Ständigen Impfkommission, der kürzlich geäußert hatte: „Natürlich könnte man auch sagen, es handle sich mittlerweile um eine endemische Virusinfektion.“ Mit Verweis auf den Expertenrat der Bundesregierung und die Weltgesundheitsorganisation sei die Pandemie noch nicht beendet, so Lauterbach. Daran änderte auch der Einwurf des ebenfalls als Gast eingeladenen Zeit-Journalisten Martin Machowecz nichts.
„Kein anderes Land in Europa hat diese strengen Regeln.“ Die Leute würden aufhören, Masken zu tragen, weil sie darin keinen Sinn sähen, so Machowecz. „Als Politiker ist man in der Verantwortung zu sagen, wie es ist, und nicht, wie es schlimmstenfalls sein könnte.“
Unterstützung fand Lauterbach bei der Wissenschaftsredakteurin der „Süddeutschen Zeitung“, Christina Berndt. Sie warnte in der Sendung: „Die Lage kann sich jederzeit verschärfen“.
Unterm Strich zählt für Lauterbach Prävention. Wenn eine seiner schlimmstenfalls erwarteten Prognosen nicht eintreffe, freue er sich, im Unrecht zu sein. Derzeit würden 140 Menschen pro Tag sterben, die ohne eine Corona-Infektion überlebt hätten, äußert der Minister weiter. Derartige Todesfälle gelte es zu vermeiden.
Neues Gesetz soll Abhilfe schaffen
Eine Veränderung der desolaten Krankenhaussituation soll nun eine Krankenhausrefom schaffen. Am Mittwoch (9. November) wird das neue Krankenhauspflegeentlastungsgesetz im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages thematisiert.
Lauterbach sprach von der „größten Krankenhausreform der letzten 20 Jahre“. Kliniken sollen entökonomisiert werden. Gelder werden nicht mehr über Fallpauschalen – also die Anzahl der belegten Betten – abgerechnet, sondern richten sich nach dem tatsächlichen Bedarf.
Streitfall ist die Finanzierung des Gesetzes. Hier habe auch Bundesfinanzminister Christian Lindner (FPD) ein Wörtchen mitzureden, so Lauterbach. Entschieden werden müsse, ob die Reform zulasten der Steuerzahler oder der Krankenversicherten gehen solle oder eine prozentuale Mischung infrage komme.
Schlagheck sieht das Gesetz kritisch. Nach erster Lektüre konnte sie keine Änderungen im Bereich der Intensivpflege und Notaufnahme erkennen. Das Gesetz gelte nur für den üblichen Stationsbetrieb. Das habe man bereits nachgearbeitet, entgegnete Lauterbach.
Im Gesundheitsausschuss selbst wusste man – einen Tag vor der Anhörung – darüber noch nichts. Das ergab eine telefonische Nachfrage. Auf der Website des Ausschusses ist der 80-seitige Gesetzentwurf vom 10. Oktober ersichtlich. 40 Verbände und Einzelsachverständige wurden hierzu um eine Stellungnahme gebeten. Dass ihnen der kurzfristig aktualisierte Gesetzentwurf vorliegt, darf bezweifelt werden.
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