Heil: Tönnies muss für Schäden durch Coronavirus-Ausbruch haften – Wursthersteller prüfen Klage

Der Fleischkonzern Tönnies wird nach Ansicht von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) für durch den Coronavirus-Ausbruch im Kreis Gütersloh entstandene Schäden zivilrechtlich haften müssen. Der Konzern habe "eine ganze Region in Geiselhaft genommen".
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Die Fleischfabrik Tönnies erlebt einen Corona-Massenausbruch.Foto: Friso Gentsch/dpa/dpa
Epoch Times22. Juni 2020

Der Fleischkonzern Tönnies wird nach Ansicht von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) für durch den Coronavirus-Ausbruch im nordrhein-westfälischen Kreis Güterslohn entstandene Schäden haften müssen. „Es muss eine zivilrechtliche Haftung des Unternehmens geben“, sagte Heil am Sonntagabend. Der Konzern habe mit Verstößen gegen die Corona-Regeln „eine ganze Region in Geiselhaft genommen“.

Es sei insgesamt in dieser Branche etwas „umzukrempeln und aufzuräumen“, sagte Heil am Montag im ARD-„Morgenmagazin“. Mit Blick auf die geplanten Einschränkungen bei Werkverträgen hob er hervor, er wolle an „die Wurzel des Übels“ an. Es gebe ein „System organisierter Veranwortungslosigkeit“.

Das geplante Gesetz zum Verbot von Werkverträgen könne aus seiner Sicht auch früher kommen als Anfang 2021, sagte Heil. Es müsse aber „rechtsfest“ sein. Der Arbeitsminister versicherte zugleich, dass auch jetzt schon Maßnahmen ergriffen werden könnten. Es gehe darum, die Einhaltung von Arbeitsschutzregeln zu überwachen.

Arbeitsminister Heil unterstützt keine Boykott-Aufrufe gegen Tönnies

Der SPD-Politiker forderte das Unternehmen Tönnies auf, alles zu tun, „um den Schaden zu begrenzen“. Es müsse auch geprüft werden, „welche zivilrechtlichen Haftungsmöglichkeiten es gibt“. Er sei aber nicht für Boykottaufrufe, sagte er mit Blick auf entsprechende Forderungen. Er sei dafür, dass Regeln eingehalten würden.

In einem Schlachtereibetrieb des Konzerns im ostwestfälischen Rheda-Wiedenbrück war es zu einem massiven Corona-Ausbruch gekommen. Mehr als 1300 Menschen wurden positiv auf das Virus getestet. Die komplette Tönnies-Belegschaft steht derzeit unter Quarantäne. Allgemeine Ausgangsbeschränkungen für den Kreis Gütersloh werden nicht ausgeschlossen.

Konzernchef Clemens Tönnies hatte sich am Samstag öffentlich für den Ausbruch des Erregers unter Mitarbeitern des Schlachtereibetriebs im ostwestfälischen Rheda-Wiedenbrück entschuldigt. Sein Konzern stehe in „voller Verantwortung“, sagte er. Nach Angaben des Kreises Gütersloh, in dem Rheda-Wiedenbrück liegt, wurden die Reihentests auf dem Tönnies-Gelände am Samstag abgeschlossen. Demnach lagen zunächst 5.899 Befunde vor. Davon waren 1.331 positiv, also mehr als ein Fünftel. Die komplette Tönnies-Belegschaft steht derzeit unter Quarantäne.

Heil: Tönnies habe eigene Beschäftigte und öffentliche Gesundheit gefährdet

Heil sagte in der „Bild“-Internetsendung „Die richtigen Fragen“, sein Vertrauen in die Firma Tönnies sei „gleich Null“. Der Konzern habe nicht nur die eigenen Beschäftigten, sondern die „öffentliche Gesundheit“ gefährdet. Den „Unmut“ im Kreis Gütersloh über das Unternehmen könne er „gut verstehen“. Derzeit stehen allgemeine Ausgangsbeschränkungen für den Kreis im Raum. Ein flächendeckender Lockdown sei „im Moment nicht ausschließen“, hatte NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) zuvor am Sonntag gesagt.

Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter appellierte an den Unternehmenschef, die durch den Virus-Ausbruch entstandenen Kosten aus der eigenen Schatulle zu bestreiten. Wenn Clemens Tönnies seine Entschuldigung ernst meine, „würde er die Kosten aus seinem Privatvermögen tilgen – nicht aus dem Firmen-Vermögen“, sagte Hofreiter in „Die richtigen Fragen“.

Der Virus-Ausbruch bei Tönnies hat die Debatte um einschneidende Veränderungen in der Fleischindustrie weiter befeuert. Kritiker machen schlechte Arbeitsbedingungen und die Unterbringung von – meist osteuropäischen Mitarbeitern – von Subunternehmen für die Serie von Coronavirus-Ausbrüchen in der Branche mitverantwortlich.

Werkverträge-Verbot spätestens ab 1. Januar 2021

Das Bundeskabinett hatte bereits im Mai neue Auflagen für die Fleischindustrie auf den Weg gebracht. Vorgesehen ist unter anderem ein Verbot von Werkverträgen, das ab dem 1. Januar 2021 gelten soll. Danach sollen nur Angestellte des eigenen Betriebs Tiere schlachten und zerlegen dürfen.

SPD-Chef Norbert Walter-Borjans forderte höhere Fleischpreise und eine Debatte über Verteilungsgerechtigkeit in Deutschland. „Fleisch ist ein Produkt, das mit hohem Einsatz an Energie und anderen Rohstoffen entsteht. Wert und Preis stehen oft in einem krassen Missverhältnis“, sagte Walter-Borjans dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Der Fall Tönnies zeige, „wie wenig Beachtung der Frage geschenkt wird, wie Nahrung – immerhin unsere wichtigste Lebensgrundlage – produziert wird“.

Alles sei „dem Gewinnstreben und der Effizienz untergeordnet“, kritisierte der SPD-Vorsitzende. Dabei habe Politik die Aufgabe, gute Arbeitsbedingungen und artgerechte Tierhaltung zu gewährleisten. Dies verteuere Produkte natürlich. „Deshalb gehört zur Lösung dazu, dass Klein- und Mittelverdienende mehr Geld in der Tasche haben – durch faire Löhne und ein gerechtes Steuersystem“, betonte Walter-Borjans.

Hofreiter: „das ganze System in der Fleischbranche ist ‚krank'“

Grünen-Fraktionschef Hofreiter bezeichnete „das ganze System“ in der Fleischbranche als „krank“. Besserungen seien nur zu erreichen, wenn das gesamte System geändert werde. Das von der Bundesregierung geplante Ende der Werkverträge zum Jahresbeginn 2021 bezeichnete Hofreiter als verspätet. Angesichts der Serie von Coronavirus-Ausbrüchen in Schlachtbetrieben könne nicht so lange gewartet werden.

Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner kündigte grundlegende Veränderungen in der Fleischbranche an, verwies dazu aber auf den vorliegenden Gesetzentwurf der Regierung. „Das System kann so nicht fortbestehen. Die Arbeitsbedingungen in der Fleischbranche müssen verbessert werden“, sagte die CDU-Politikerin der „Passauer Neuen Presse“.

Wursthersteller kündigen Klage-Prüfung gegen Werkverträge-Verbot

Unterdessen kündigte der bayerische Wursthersteller Wolf gemeinsam mit anderen Fleischverarbeitern die Prüfung einer Klage gegen das drohende Verbot von Werkverträgen. „Wir lassen eine Verfassungsklage prüfen“, sagte der geschäftsführende Gesellschafter Christian Wolf der „Welt“ (Montagsausgabe). „Sobald ein entsprechendes Gesetz da ist und wir dann weder Werkverträge noch Zeitarbeit nutzen dürfen, gehen wir dagegen vor.“

Noch hofft der Mittelständler auf eine Ausnahmeregelung. „Weil wir uns wie auch andere Wursthersteller von den Schlacht- und Zerlegebetrieben deutlich unterscheiden und distanzieren: Wir kaufen lediglich das Material, sind also die nachgelagerte Stufe. Das ist ein völlig anderes Geschäft. Zustände, wie sie jetzt angeprangert werden, gibt es bei uns nicht“, sagte Wolf. Wolf Wurstspezialitäten gilt als einer der führenden Hersteller von Grillwürsten in Deutschland.

Wursthersteller Wolf: Ohne Werkverträge ist Traditionsunternehmen massiv gefährdet

„Wir produzieren vor allem Grillspezialitäten, daher ist unsere Auslastung extremen saisonalen Schwankungen unterworfen“, sagte Wolf zur Begründung seines Engagements für Werkverträge. In der Sommerzeit liege das Produktionsvolumen rund 40 Prozent höher als im Winter. „Diese Spitzen parieren wir, wie in vielen Branchen üblich, mit Arbeitnehmerüberlassung und Werkverträgen. Wenn uns das jetzt genommen wird, wäre unser Traditionsunternehmen massiv gefährdet.“ (dts/afp)



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