Maaßen nach Terror in Halle: „Gesellschaft muss sich um die jungen Männer kümmern“

Im Interview mit der „Welt“ wehrt sich Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen gegen Behauptungen, in seiner Amtszeit habe der Rechtsterrorismus zu wenig Aufmerksamkeit gefunden. Vielmehr habe er schon frühzeitig vor Tendenzen dieser Art gewarnt.
Titelbild
Hans-Georg Maaßen.Foto: Sean Gallup/Getty Images
Von 11. Oktober 2019

In einem Video-Interview mit der „Welt“ hat Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen aus anderen Parteien und in sozialen Netzwerken gegen ihn erhobene Vorwürfe zurückgewiesen, Versäumnisse seiner Behörde hätten eine Vereitelung des Terroranschlags auf eine Synagoge in Halle/Saale am Mittwoch (9.10.) unmöglich gemacht.

Tatsächlich habe er bereits in seiner Amtszeit auf eine qualitative Veränderung extremistischer und terroristischer Bedrohungen hingewiesen und davor gewarnt – auch im Bereich des Rechtsextremismus.

Das Phänomen, dass sich Personen, vor allem junge Männer, nicht mehr auf öffentlichen Plätzen oder bei Demonstrationen sehen lassen, wo sie leichter registriert werden könnten, sondern sich vom eigenen Kinderzimmer aus im Chat mit anderen radikalisierten, habe sich schon damals abgezeichnet. Man habe es bei einem Attentäter wie jenem von Halle nicht mit dem „Standard-Nazi“ zu tun.

FDP-Kuhle: Maaßen hat sich „nicht für Rechtsterrorismus interessiert“

Die Möglichkeiten, diesem entgegenzuwirken, seien begrenzt. Dass die bestehenden nicht immer in dem Maße ausgeschöpft werden könnten, die er sich gewünscht hätte, liege auch daran, dass es Politiker gegeben habe, die „lieber eine schwarze Null hatten als das Problem zu bekämpfen“. Dennoch habe man als Verfassungsschutz auch Erfolge gegen die neue Form des Rechtsextremismus zu verbuchen gehabt.

Zuvor hatte FDP-Politiker Konstantin Kuhle dem ehemaligen Verfassungsschutzchef in einem Interview mit „Cicero“ vorgeworfen, dieser habe sich „schlichtweg nicht für Rechtsterrorismus interessiert“. Demgegenüber wies Maaßen darauf hin, dass es beispielsweise gelungen sei, die „Oldschool Society“ dingfest zu machen, deren Mitglieder 2015 festgenommen wurden, nachdem sie geplant gehabt hätten, Terroranschläge unter anderem auf Moscheen oder Flüchtlingsunterkünfte, aber auch Kindergärten oder Behindertenheime zu verüben.

Deren Mitglieder hatten jedoch bereits vor Ausführung ihrer geplanten Terrorakte auf sich aufmerksam gemacht, etwa indem sie in einer geschlossenen Chatgruppe Spuren über interne Absprachen hinterlassen und zum Teil sogar offen über Facebook kommuniziert haben sollen. Außerdem soll es zumindest vonseiten der in Nordrhein-Westfalen ins Visier des Verfassungsschutzes geratenen Verdächtigen Kontakte zur rechtsextremistischen NPD gegeben haben. Die Gruppe wurde zerschlagen, nachdem sie in der Tschechischen Republik Material zur Herstellung von Sprengstoff erworben habe.

Maaßen: „Verfassungsschutz ist nur der Brandmelder“

Forderungen nach einer tiefgreifenden Strukturreform der Verfassungsschutzorganisationen bis hin zu deren Vereinigung unter einem Dach kann Maaßen nichts abgewinnen. Der Föderalismus sei es nicht, der eine effiziente Aufdeckung und Bekämpfung terroristischer Strukturen hindere. Insbesondere unter dem Eindruck der Versäumnisse im Zusammenhang mit der NSU-Terrorzelle habe man die Koordination unter den einzelnen Verfassungsschutzbehörden intensiviert und verbessert.

Maaßen warnte jedoch gerade im Hinblick auf die neuartige Gefahr zu Hause radikalisierter Einzeltäter vor überzogenen Erfolgserwartungen. Der Rechtsextremismus sei ein Problem der gesamten Gesellschaft und nicht allein der Verfassungsschutzbehörden, die nur der „Brandmelder“ seien. „Die Gesellschaft muss sich um die Menschen, vor allem um die jungen Männer kümmern, die sich rechtsextremistisch radikalisieren bis hin zu einem solchen Vorfall wie in Halle.“

Maaßen teilte die Sorge um eine Verrohung der Sprache und eine Verrohung des Umgangs miteinander. Auch die Gewaltbereitschaft steige. Im Bereich des Rechtsextremismus sei mittlerweile jeder Zweite der 24 000 Personen, die der Verfassungsschutz diesem Bereich zuordne, gewaltbereit. Es gelte zu verhindern, dass Gedanken dieser Art zu Taten würden. Hier sei nicht nur das Strafrecht ein Instrument, sondern das eigene Vorbild spiele eine tragende Rolle, insbesondere bei Politikern. Maaßen erklärt in diesem Zusammenhang, die Frage nach dem Umgangston betreffe nicht nur die vonseiten der „Welt“-Interviewerin genannten AfD-Politiker Alexander Gauland und Björn Höcke.

Keine einfachen Lösungen

Bereits an den Schulen solle darauf geachtet werden, dass ein anderer Umgang miteinander gepflegt werde – „und eine Achtung vor unserer Kultur und unserem Gesetz“.

Er habe selbst keine Patentlösung bei der Hand. Ereignisse wie jene von Christchurch, El Paso oder den Synagogenanschlägen in Pittsburgh oder Poway (Kalifornien), die von terroristischen Einzeltätern mit ähnlicher Motivation, ähnlichen Radikalisierungsverläufen und vorhergehender Unauffälligkeit verübt worden seien, zeigten auch die länderübergreifende Dimension des Problems auf. Es müssten Wege gefunden werden, den Sicherheitsbehörden eine Identifizierung und Festnahme der Betreffenden „zumindest eine Stunde vor einer solchen Tat“ zu ermöglichen.



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