Mittelstand rebelliert gegen Energiepreise – Experten sehen AfD profitieren

Einer aktuellen Umfrage im Mittelstand zufolge sehen 52 Prozent in den Energiepreisen eine existenzielle Gefahr. Dies verleiht auch der AfD Auftrieb.
Produktion in einer Gießerei in Mecklenburg-Vorpommern.
Produktion in einer Gießerei in Mecklenburg-Vorpommern.Foto: Jens Büttner/dpa-Zentralbild/dpa
Von 4. Oktober 2022

Am Montagabend (3.10.) haben erneut Zehntausende Menschen in Deutschland gegen die hohen Energiepreise und die deutsche Russlandpolitik demonstriert. Die „Mitteldeutsche Zeitung“ spricht von 14.600 Demonstranten allein in Sachsen-Anhalt, die „Schweriner Volkszeitung“ von etwa 10.000 in Mecklenburg-Vorpommern. Zu den Protesten hatte unter anderem die AfD aufgerufen. Umfragen zufolge verzeichnet die Rechtspartei wieder wachsenden Zuspruch – auch, weil die Krise den Mittelstand erreicht.

ifo-Geschäftsklima auf tiefstem Wert seit erstem Corona-Lockdown

Der Mittelstandsverband BVMW hat jüngst die Ergebnisse einer Umfrage unter mehr als 1.100 Unternehmern veröffentlicht. Wie das „Handelsblatt“ berichtet, ist der Anteil an Befragten, die in den Energiepreisen eine Bedrohung ihrer Existenz sehen, drastisch gestiegen. Hatten im August bereits 42 Prozent die Lage als existenzgefährdend eingeschätzt, waren es im September bereits 52 Prozent.

Mehr als verdoppelt haben sich die Energiepreise in der Produktion für 45 Prozent der Befragten. Für den Rest haben sie sich drastisch erhöht – in drei Prozent der Fälle sogar mehr als verzehnfacht. Der jüngste ifo-Geschäftsklimaindex für die gesamte regionale Wirtschaft stürzte von ohnehin niedrigen 90,9 Punkten im August auf mittlerweile 85,2 Punkte ab. Das ist der niedrigste Wert seit Mai 2020, dem zweiten Monat des ersten Corona-Lockdowns.

Mittelstand „entsetzt“ über Zögern der Regierung

Noch im Laufe dieser Woche soll ein Treffen zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz und den 16 Ministerpräsidenten stattfinden. Dieses war ursprünglich bereits für die Vorwoche geplant, Scholz musste es jedoch wegen einer Corona-Infektion verschieben. Bei den Gesprächen soll es unter anderem um Details zur geplanten Strom- und Gaspreisbremse gehen.

Der Kanzler ist sich eigenen Angaben der Dramatik der Entwicklung bewusst. Er wies selbst darauf hin, dass 40 Prozent der deutschen Strom- und Gaskunden keine Ersparnisse hätten, um die Vervielfachung der Abschläge abzufedern. Millionen Kunden bekämen erst in den kommenden Wochen ihre Abschlagsmitteilungen.

Unterdessen ist gerade im Mittelstand der Unmut über die Entwicklung und die politischen Verantwortungsträger besonders groß. Viele Unternehmer seien „entsetzt über die Arbeit der Regierung“, erklärte BVMW-Bundesgeschäftsführer Markus Jerger gegenüber dem „Handelsblatt“. Er schlägt Alarm:

Die vielen kleinen und mittleren Betriebe stehen mit dem Rücken zur Wand und aus Berlin gibt es weder konkrete Hilfe noch konkrete Ansagen.“

Energiepreise nehmen Unternehmen und Verbrauchern Planungssicherheit

Jerger deutet an, dass der Mittelstand bald selbst in das Protestgeschehen einsteigen könne. Dies würde bedeuten, dass die bereits jetzt stattfindenden Demonstrationen erst einen Bruchteil ihres Potenzials ausgeschöpft hätten.

Es gebe Planungen zu Straßenprotesten. Natürlich sei das „keine geeignete und zielführende Art“, auf die Politik einzuwirken. „Aber ein Stück weit können wir die Unternehmen verstehen – denn es geht nicht weniger als um deren Existenz“, sagte Jerger.

Auch der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Marcel Fratzscher spricht von einem „merklichen“ Sinken des Vertrauens in Staat und Institutionen. Unternehmen hätten aufgrund der Unsicherheit keine Grundlage zum Kalkulieren ihrer Preise. Verbraucher könnten ihre Konsumausgaben nicht planen.

Fratzscher nennt es „schwer verständlich“, dass es immer noch kein Konzept der Regierung gegen die Belastungen und deren Folgen für Unternehmen und Verbraucher gäbe. Dabei sei das Problem explodierender Energie- und Nahrungsmittelkosten schon seit mehr als sechs Monaten bekannt.

Immer größere Angst vor dem Abrutschen im Mittelstand

Der Soziologe Matthias Quent von der Hochschule Magdeburg-Stendal befürchtet nun eine „neue, bedrohliche Dynamik, die Populismus und Nationalismus Tür und Tor öffnet“. Bereits in der Zeit der Corona-Restriktionen hätten Gegner der Maßnahmen zunehmend Resonanz im Mittelstand gefunden. Der neuerliche Bruch der Normalität könnte die Protestwelle noch breiter werden lassen.

Jüngste Meinungsumfragen bestätigen dies. Der jüngsten INSA-Umfrage zufolge könnte die AfD bundesweit mit 15 Prozent rechnen. Dies wäre der höchste gemessene Umfragewert seit dem Vorabend der Corona-Krise im Februar 2020. Die Spürbarkeit der Krise führt offenbar dazu, dass Vorbehalte gegen die Partei vor allem im Mittelstand bröckeln.

Insa-Chef Hermann Binkert zufolge könne der Zuspruch noch weiter steigen und die Partei „bundesweit derzeit mit einem Potenzial von bis zu 20 Prozent rechnen“. Die Krise habe, so erklärt er im „Handelsblatt“, inzwischen alle Schichten erreicht:

Insbesondere auch die breite Mittelschicht hat Angst, abzurutschen.“

Auch Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang sieht eine zunehmend aggressive Stimmung, „und das könnte noch weiter zunehmen“.

Bedenkenträgerei und Ideologie verhindern Schritte

Geschäftsführer Jerger vom Mittelstandsverband appellierte an die Bundesregierung, dem Beispiel anderer Länder zu folgen: „Frankreich deckelt die Energiepreise, Italien und Spanien beschließen eine Gewinnabschöpfung der Energiefirmen, um Privatpersonen und Unternehmen zu stützen.“ Auch in den Niederlanden gebe es einen Gaspreisdeckel. Großbritannien setze auf Atomkraft – zudem hob die Regierung dort ein seit 2019 geltendes Fracking-Verbot auf.

In Deutschland hingegen scheitern entsprechende Ansätze an Unentschlossenheit, Bedenkenträgerei und ideologischen Schranken. Jerger meint dazu:

Wenn das der deutsche Weg aus der Krise ist, darf man sich nicht wundern, wenn die Unternehmerschaft immer ungehaltener gegenüber der Politik wird.“

(Mit Material von dts)



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