„Querdenken“-Demos in mehreren Städten: Bürgermeister warnt vor „Nazi-Gesocks“ bei Corona-Demo in Weiden

In mehreren deutschen Städten fanden am Wochenende Kundgebungen der „Querdenken“-Bewegung statt. In Berlin kam es dabei zu Ausschreitungen. In der Oberpfalz beschimpfte ein Bürgermeister die Teilnehmer der Kundgebung als „Affen“ und „Bande von Nazis“. Auf Facebook schrieb er: Es sei „bekannt, was für Gesocks und Klientel hier mitläuft“.
Von 26. Oktober 2020

In mehreren Städten haben am Wochenende Kundgebungen gegen die Corona-Maßnahmen von Bund und Ländern stattgefunden, zu der die „Querdenken“-Bewegung und dieser nahestehende Akteure aufgerufen hatten. Die größte davon fand in Berlin statt.

Die Teilnehmerzahl, die in den Medien angegeben wurde, schwankte zwischen 1.000 („WAZ“) und etwa 2.000 („Berliner Zeitung“). Die Demonstration stand unter dem Motto „Wiederherstellung der Grund- und Menschenrechte sowie die Beendigung des Pandemiezustands“.

In der Hauptstadt war der Weltgesundheitsgipfel Anlass für die Kundgebung, der seit 2009 jedes Jahr in Berlin stattfindet und in diesem Jahr ganz im Zeichen der Corona-Krise steht.

Pöbel-Eklat in der Oberpfalz

Außer in Berlin fanden Kundgebungen in Mainz, Frankfurt am Main oder Rosenheim statt. Zu einem Eklat kam es in Weiden/Oberpfalz, wo der Bürgermeister der Nachbarstadt Neustadt an der Waldnaab, Sebastian Dippold, die Demonstranten als „Affen“ und „Bande von Nazis“ beschimpfte. Auf Facebook erklärte er, es sei „bekannt, was für Gesocks und Klientel hier mitläuft“.

Moderater äußerte sich das Stadtoberhaupt in Weiden selbst. Der Oberbürgermeister Jens Meyer erklärte zwar, er halte es für „mehr als fahrlässig“, in Anbetracht der Infektionszahlen eine solche Veranstaltung abzuhalten, meinte aber, das Publikum sei „Gott sei Dank friedlich“, weshalb er hoffe, dass „hier von dieser Demonstration kein weiterer Infektionsherd ausgeht“.

Eine zum größten Teil virtuell abgehaltene Gegenkundgebung des Bündnisses „Wir zeigen Maske“ warf den Kundgebungsteilnehmern vor,  sich „respektlos“ gegenüber Mitmenschen zu verhalten, die während der Pandemie Angehörige verloren hätten.

Medien bringen „Reichsbürger“ und „Verschwörungsideologien“ ins Spiel

Das Medienecho zur Kundgebung in Berlin beschränkte sich hauptsächlich auf Formate aus der Hauptstadt selbst. Übereinstimmend hieß es, ein signifikanter Teil der Demonstranten sei den politischen Lagern der „Verschwörungsideologen“, „Reichsbürgern“, „Corona-Skeptikern“ oder „Corona-Leugnern“ zuzuordnen.

Laut „Tagesspiegel“ waren die Querdenken-Aktivisten Bodo Schiffmann, der Rechtsanwalt Markus Haintz und der als „antisemitischer Verschwörungsideologe“ bezeichnete Kochbuchautor Attila Hildmann prominenteste Protagonisten des Protests in Berlin.

Das Blatt berichtet von Gerüchten, wonach das Radisson-Hotel Park Inn am Alexanderplatz von außen anreisende Gruppen von „Querdenken“-Anhängern einen speziellen Rabatt in Aussicht gestellt habe. Die Geschäftsführung dementierte diese in internen Chat-Kanälen verbreitete Information und erklärte, man dulde keine Verstöße gegen Pandemie-Vorschriften in seinen Räumlichkeiten.

Polizei blockiert die Demonstrationsroute

Die „Berliner Zeitung“ schrieb von einem „Gerangel mit der Polizei“ vor dem Club „Kosmos“ in der Karl-Marx-Allee, bei der es zu mehreren Festnahmen kam. Die „Querdenken“-Bewegung hielt dort eine Kundgebung ab, in der Annahme, dass einige Vorträge im Zusammenhang mit dem Gipfel dort stattfinden würden. Nach Angaben des „Tagesspiegel“ waren die Veranstalter des Gipfels jedoch in Anbetracht der Corona-bedingten Umgestaltungen des Ablaufplans von dem Programmpunkt abgerückt.

Die Polizei hinderte dem Bericht zufolge die Kundgebungsteilnehmer zu Beginn daran, ihre Versammlung fortzuführen, als diese sich weigerten, Abstandsvorschriften und Maskengebote einzuhalten. Sie sollen sich entsprechenden Anordnungen widersetzt und in Sprechchören Polizei und Maskenträger außerhalb der Kundgebung beschimpft haben.

Bei dieser Gelegenheit wurde unter anderem auch der „Querdenken“-Anwalt Markus Haintz verhaftet. Später soll es zum Sturm der Bühne gekommen sein, nachdem die Kundgebungsteilnehmer sich geweigert hatten, den Corona-Vorgaben Folge zu leisten und die Kundgebung zu beenden.

Frau versuchte Polizeibeamte zu provozieren

Mehrere Dutzend Protestteilnehmer hätten sich geweigert, den Versammlungsort zu räumen. Es soll dabei sogar zu Drohungen und Handgreiflichkeiten gekommen sein. In sozialen Medien machen Aufnahmen die Runde, in denen Festnahmen dokumentiert werden, deren Betroffene passiven und teils sogar aktiven Widerstand leisten.

Eine Kundgebungsteilnehmerin hat offenbar versucht, im Stile der Palästinenser-Aktivistin Ahed Tamimi (auch als „Shirley Temper“ bekannt) die Polizei durch das Schubsen von Beamten zu provozieren. Sie widersetzte sich, wie Aufnahmen zeigen, ihrer Festnahme. Die Bezug habenden Aufnahmen wurden ebenfalls hundertfach in sozialen Medien verbreitet.

Eine geplante große Abschlusskundgebung mit bis zu 10.000 erwarteten Teilnehmern am Großen Stern sagte „Querdenken“ kurzfristig ab.

„Exekution der Regierung“ gefordert?

Die „Berliner Zeitung“ war sich mit der „WAZ“ dahingehend einig, dass die Polizei mit der Situation „teils überfordert“ gewesen war.

Das Blatt schilderte, dass einige hundert Demonstranten die Polizeiketten am Alexanderplatz nach Ende der Veranstaltung durchbrochen hätten und über die Karl-Marx-Allee zum ursprünglichen Kundgebungsziel nach Friedrichshain gezogen seien. Die WAZ schrieb von Übergriffen durch Demonstranten auf Polizeibeamte, eine Demonstrantin soll einem Beamten in die Hand gebissen haben.

Am Strausberger Platz sollen Kundgebungsteilnehmer die „Exekution der Regierung“ gefordert und Einsatzfahrzeuge blockiert haben. Ein Reporter sei bedroht worden, man werde ihn nach einem Umsturz „wie alle anderen Systemjournalisten an einem Baum hängen“. Aus den Reihen linksextremer Gegendemonstranten seien Flaschen auf Demonstrationsteilnehmer geworfen worden.

Während Social-Media-Accounts aus dem Umfeld der „Querdenken“-Kundgebung von angeblichen Polizei-Übergriffen auf Demonstranten schrieben, heißt es aus den Reihen der Beamten, man habe sich bewusst zurückgehalten, um Eskalationen zu vermeiden, als Demonstranten auf die Karl-Marx-Allee durchgebrochen seien. Zur „WAZ“ hieß es vonseiten des Einsatzleiters:

„Natürlich hätten wir sie aufhalten können. Aber wir wollen diese Bilder nicht.“

Bodo Schiffmann soll in seiner Rede unter großem Applaus erklärt haben:

„Unsere Feinde sind ‚ARD‘, ‚ZDF‘ und ‚RBB‘. Die Verbrecher sind die Reporter und nicht die Polizisten.“

Polizei spricht von 64 Ermittlungsverfahren

Mittlerweile hat die Berliner Polizei auf der offiziellen Webseite der Stadt ihren eigenen Abschlussbericht über das Demonstrationsgeschehen veröffentlicht.

Dort ist die Rede von 50 Festnahmen am Rande mehrerer angemeldeter Kundgebungen, die am gestrigen Tag stattfanden. Betroffen waren 39 Männer und elf Frauen. In der Mitteilung hieß es:

„Die Einsatzkräfte leiteten 64 Strafermittlungsverfahren unter anderem wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz, wegen Landfriedensbruchs, Tätlichen Angriffs und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte sowie wegen versuchter Gefangenenbefreiung ein. Darüber hinaus fertigten die Einsatzkräfte 71 Ordnungswidrigkeitenanzeigen wegen Verstoßes gegen die geltende Infektionsschutzverordnung.“

Es seien 18 der etwa 650 im Einsatz befindlichen Polizeibeamten verletzt worden. Ein Beamter habe seinen Dienst vorzeitig beenden müssen. Inwieweit Übergriffe gegen Beamte von „Querdenken“-Teilnehmern oder linksextremen Gegendemonstranten ausgingen, wurde nicht aufgeschlüsselt.

Einpeitscher ruft zur Verweigerung der Maske auf

Bereits vor dem geplanten Beginn um 12 Uhr habe sich laut Polizeibericht die deutliche Mehrheit der Anti-Corona-Demonstranten nicht an die geltenden Bestimmungen der Infektionsschutzverordnung gehalten. Daran habe sich auch wenig geändert, nachdem an die Anmelderin der Versammlung ein Auflagenbescheid ausgefolgt worden sei. Stattdessen habe ein Kundgebungsteilnehmer die übrigen aufgefordert, keine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, wenn ein Attest vorliege, und Muster für Dienstaufsichtsbeschwerden gegen die Polizei verteilt.

Nachdem die Beamten den Teilnehmern die Weiterbewegung verweigert hätten, soll dieselbe Person die Anwesenden zu einem Sitzstreik aufgefordert haben. Dieser Aufforderung, so heißt es in der Mitteilung, „folgten rund 90 Prozent der Anwesenden, die weiterhin im überwiegenden Gros die geltenden Bestimmungen der Infektionsschutzverordnung missachteten“.

Gegen 12.30 Uhr sei es zu den ersten Ausbruchsversuchen in Richtung Karl-Marx-Allee gekommen – und „durch Polizeieinsatzkräfte zur Anwendung körperlicher Gewalt“. In diesem Zusammenhang sei es auch zu dem Vorfall mit dem Biss gekommen, der zur Folge gehabt habe, dass der betroffene Beamte zur ambulanten Behandlung in ein Krankenhaus gebracht werden musste. Die Anmelderin der Versammlung habe diese daraufhin selbstständig beendet, einige Teilnehmer riefen jedoch die übrigen Anwesenden dazu auf, sich eigenständig zum Strausberger Platz zu begeben.

Demo-Teilnehmer kamen in Medien kaum zu Wort

In der Karl-Marx-Allee seien laut Polizeimeldung in späterer Folge etwa 1.600 Personen zu einer Kundgebung unter dem Motto „Europa steht auf“ zusammengekommen. Auch dort habe man sich geweigert, den Hygienevorschriften Folge zu leisten. Gegen 15.40 Uhr habe der Versammlungsanmelder seine Kundgebung vorzeitig beendet und damit begonnen, eine Bühne abzubauen.

Daraufhin habe die Polizei die noch Anwesenden dazu aufgefordert, den Kundgebungsort zu verlassen, woraufhin diese „mit lautstarken Unmutsäußerungen reagierten, sich auf den Boden setzten und einen Aufruf verbreiteten, sich vor dem Gebäude des Landeskriminalamts zu versammeln“. Ein weiterer Durchbruchsversuch einer größeren Personengruppe an der Karl-Marx-Allee gegen 16 Uhr sei von den Polizeibeamten ebenfalls durch „durch die Anwendung körperlicher Gewalt unterbunden“ worden.

Bis 17.50 Uhr sei es vereinzelt noch zu weiteren Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei gekommen.

Was sich in den Medienberichten zu den Kundgebungen jeweils nicht fand, waren Statements von Veranstaltern oder Teilnehmern aus den Kreisen der „Querdenken“-Bewegung. Angesichts der Tatsache, dass selbst in Fällen aus dem Ruder gelaufener linksradikaler Kundgebungen – etwa am 1. Mai in Berlin – deren Ausrichter in Medien Gelegenheit bekommen, sich auch selbst zu den Vorfällen zu äußern.

Dies könnte bedingt sein durch eine Gesprächsverweigerung gegenüber Reportern, wie sie etwa im „WAZ“-Artikel angeklungen war. Andererseits haben sich bekanntere Protagonisten der Bewegung wie Bodo Schiffmann oder Michael Ballweg bis dato gegenüber Medien selbst als gesprächsbereit gezeigt. Deshalb bleibt offen, ob das Fehlen von Äußerungen zu den Geschehnissen aus den Reihen der Demonstrationsteilnehmer selbst den berichterstattenden Medien oder den Kundgebungsteilnehmern selbst zuzurechnen ist.

WHO-Gipfel tagt noch bis Dienstag

Der Gipfel, der am Sonntag (25. Oktober) begonnen hat, bis zum morgigen Dienstag dauern und teilweise virtuell ausgetragen wird, ist eine gemeinsame Veranstaltung deutscher und französischer Akademien, der Europäischen Kommission und des Generaldirektors der Weltgesundheitsorganisation (WHO), der seit 2019 als Schirmherr fungiert.

Als Gäste auf dem Gipfel werden unter anderem der Chef des Robert Koch-Instituts (RKI) Lothar Wieler und der Virologe und Regierungsberater Christian Drosten erwartet. Die Gegner des Gipfels hatten eine Kundgebung für 2.500 Teilnehmer angemeldet, die vom Alexanderplatz über das Rote Rathaus und die Karl-Marx-Allee zum Bersarinplatz in Friedrichshain führen sollte. Auch linke und linksextreme Gruppen haben Kundgebungen gegen die „Querdenken“-Kundgebung angemeldet.



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