Rechtswissenschaftler über AfD-Teilsieg: „So etwas hat noch kein Gericht in Deutschland gemacht“
„Repräsentative Demokratie ist wie gepanschter Wein“, schreibt ein Schweizer im „Verfassungsblog“ zu einer Diskussion um die vom Landeswahlausschuss Sachsen gekürzte AfD-Wahlliste.
Ursprünglich wollte die Partei mit 61 Kandidaten im September in die Landtagswahl ziehen. Der Landeswahlausschuss kürzte die Liste wegen eines Formfehlers im Wahlverfahren auf 18 Kandidaten. Nachdem ein Antrag der AfD vor dem Bundesverfassungsgericht am Mittwoch scheiterte, gestattet nun der sächsische Verfassungsgerichtshof Leipzig der Partei vorab, dass sie mit 30 Kandidaten die Landtagswahl antreten darf.
Dass die drastische Kürzung des Wahlausschusses auf 18 Kandidaten keinen Bestand haben konnte, sei „absolut richtig“, betonte auch der Rechtswissenschaftler Martin Morlok in einem Interview mit der „Welt“.
Die Behauptung des Ausschusses, dass die Kandidaten-Liste in einer einzigen Versammlung aufgestellt werden und bei Fortsetzung der Folgeparteitag von demselben Versammlungsleiter geführt werden müsse, stehe nicht im Wahlgesetz.
Für den Rechtsexperten ist die verfassungsgerichtliche Entscheidung für das Wahlrecht wegweisend. Er sagte:
Nach meinem Wissen hat so etwas noch kein Gericht in Deutschland gemacht.“
Wahlgesetze in Bund und Ländern würden vorsehen, dass die Wahlzulassungsakte erst nach der Wahl im Wege der Wahlprüfung angefochten werden können. Bislang gab es nur eine Ausnahme: Wenn eine Partei nicht als solche anerkannt wird. In diesem Fall kann – wie bei „Die Partei“ – das Bundesverfassungsgericht vor der Wahl angerufen werden.
Ausschluss des Rechtsschutzes ist „verfassungswidrig“
Laut Morlok hätte das sächsische Verwaltungsgericht mit seiner Entscheidung nun „von sich aus den viel größeren Schritt gewagt“, einen ganz anders gelagerten Fall den Rechtsschutz vor der Wahl zu ermöglichen. Damit hätten die Richter faktisch gesagt, dass der bisherige Ausschluss des Rechtsschutzes vor der Wahl „verfassungswidrig“ sei.
Es dürfe keine Lücken geben, da der Rechtsschutz verfassungsrechtlich garantiert sei. Außerdem sei es nicht hinnehmbar, dass die Partei erst nach der Wahl eine Wahlprüfungsbeschwerde beim Parlament einlegen und eventuell das Verfassungsgericht anrufen könne. Derartige Verfahren könnten sich jahrelang hinziehen. Das könne bedeuten, dass gegen Ende einer Legislaturperiode ein Parlament für falsch zusammengesetzt erklärt würde, selbst wenn es schon viele Gesetze verabschiedet, eine Regierung gewählt und auch etwa über die Zusammensetzung des Verfassungsgerichts entschieden hätte. Das wäre ein „unerträglicher Zustand“.
Und so sah es auch das Gericht. Laut „Deutschlandfunk“ teilte die Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs und Vorsitzende Richterin Birgit Munz mit, dass die Anordnung ausnahmsweise ergangen sei, weil die Entscheidung des Landesauswahlausschusses zuvor „höchstwahrscheinlich“ rechtswidrig war. Die Richter sahen die Gefahr, dass die Landtagswahlen fehlerhaft durchgeführt und daher eventuelle Neuwahlen nötig gewesen wären. Aus diesem Grund machte das Gericht eine Ausnahme. Am 16. August soll ein abschließendes Urteil ergehen.
Mit seiner aktuellen Entscheidung habe das Gericht dem Gesetzgeber einen „Schubser“ gegeben, so der Rechtswissenschaftler. Die Wirkung für Bund und Länder könne er allerdings nicht voraussagen. Morloks Fazit:
„Und wenn ich Rechtspolitiker wäre, würde ich gleich am Montag vorschlagen, die Wahlgesetze so zu ändern, dass Rechtsschutz vor einer Wahl gewährleistet ist.“ (sua)
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