Relotius 2.0? Henri-Nannen-Preisträger erfand Protagonistin

Nur zwei Monate nach der Enthüllung des Fake-News-Skandals um den Ex-"Spiegel"-Reporter Claas Relotius ist ein weiterer Fall von nicht authentischen Darstellungen vonseiten eines preisgekrönten deutschen Journalisten bekannt geworden. Das Branchenmagazin "Meedia" hält den Namen geheim.
Süddeutsche Zeitung
Das Magazin der Süddeutschen Zeitung trennt sich von einem preisgekrönten Journalisten.Foto: CHRISTOF STACHE/AFP/Getty Images)
Von 21. Februar 2019

Ein Artikel des Fachmagazins Meedia, der am Mittwoch (20.2.) erschien, sorgt für Aufsehen und Spekulationen in Deutschlands Medienlandschaft. Wie das Portal berichtet, hat sich das „SZ Magazin“ von einem freien Journalisten getrennt, der in einer Geschichte zum Thema „Beziehungen“, die im Januar erscheinen hätte sollen, eine Protagonistin frei erfunden habe.

Der Autor, dessen Namen Meedia nicht nennt, habe eingeräumt, dass Zweifel, die an Geschichte geäußert wurden, berechtigt seien. Allein im Jahr 2018 soll der freie Journalist, der auch für den „Spiegel“ und die „Zeit“ geschrieben habe und mit dem Henri-Nannen-Preis ausgezeichnet worden sei, mehr als 40 Artikel zu diversen Themen aus Sport und Gesellschaft veröffentlicht haben. Nun hat sich das SZ Magazin von ihm wegen eines „groben Verstoßes gegen journalistische Standards“ getrennt.

Vielzahl subjektiver Schilderungen erschwert Prüfung

Sowohl das SZ Magazin als auch die übrigen Verlage, die Texte des Autors veröffentlicht hatten, überprüfen nun sämtliche Artikel auf Unregelmäßigkeiten. Bislang hätten sich, so berichtet Meedia, diesbezüglich keine weiteren Verdachtsmomente erhärtet. Allerdings heißt es aus der SZ-Mediengruppe, es habe sich herausgestellt, dass „in einer Geschichte des Journalisten fremdsprachige Zitate unsauber wiedergegeben wurden und dadurch Sachverhalte ungenau dargestellt worden sind“.

Die erneute Enthüllung über einen weiteren Fall von transfaktischem Journalismus die deutsche Qualitätsmedienlandschaft zu einem sensiblen Zeitpunkt, da das Bekanntwerden des Fake-News-Skandals um den früheren „Spiegel“-Reporter Claas Relotius gerade erst mal zwei Monate zurückliegt.

Der Nachweis von Erfindungen oder Fälschungen könnte sich im nunmehr bekannt gewordenen Fall als kompliziert erweisen, da der Autor eine Vielzahl an Geschichten aus der Ich-Perspektive geschrieben und deshalb auch subjektive Schilderungen wiedergegeben habe. Auch im Fall einer für den „Spiegel“ verfassten Homestory stoßen die Faktenprüfer Meedia zufolge an ihre Grenzen. Im „Spiegel“ und bei „Spiegel online“ soll der freie Journalist insgesamt 43 Texte veröffentlicht haben. Bei einem erheblichen Teil davon habe es sich jedoch um Übernahmen eines anderen Mediums gehandelt.

„Verfahren zur Prüfung von journalistischen Texten haben funktioniert“

Aus der Redaktion des SZ Magazins hieß es, die Geschichte mit der erfundenen Protagonistin sei nicht erschienen, da dieser Umstand bezüglich des bereits vor Monaten eingereichten Textes rechtzeitig geklärt werden konnte:

„[…] unsere Verfahren zur Prüfung von journalistischen Texten haben funktioniert. Trotzdem werden wir diesen Vorfall zum Anlass nehmen, unsere redaktionsinternen Abläufe gerade bei der Verifizierung und Dokumentation von Texten weiter zu verbessern.”

Der betroffene Journalist habe sich bereiterklärt, an der Prüfung teilzunehmen und seine Rechercheunterlagen zur Verfügung zu stellen. Neben dem Henri-Nannen-Preis soll der Betreffende auch mit dem Deutschen Reporterpreis ausgezeichnet worden sein. Gleich dreimal, nämlich in den Jahren 2013, 2015 und 2018, hatte diesen ein prominenter Kollege erhalten, der ebenfalls in Ungnade gefallen ist: Claas Relotius.

Am 19. Dezember sah sich der „Spiegel“ nach wochenlangen Recherchen eines seiner Mitarbeiter genötigt, offenzulegen, dass Relotius, der für das Magazin knapp 60 Texte geschrieben hatte, Reportagen ganz oder teilweise systematisch gefälscht hatte. Er habe dabei Charaktere, Zitate und Begebenheiten erfunden oder die Biografien von realen Protagonisten verfälscht.

Journalistenpreise setzen bestimmten Sound voraus

Der Präsident des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), Mathias Döpfner, hatte im Januar in einem Interview mit der dpa gemeint, Relotius dürfe nicht als vermeintlicher Einzelfall abgetan werden, sondern illustriere systemische Fehlsteuerungen im deutschen Qualitätsjournalismus. Dabei nahm er unter anderem auch Bezug auf einen Journalisten, dem der Henri-Nannen-Preis nachträglich aberkannt wurde, nachdem er einen vermeintlichen Besuch im Keller von Ex-CSU-Chef Horst Seehofer beschrieb, der tatsächlich nicht stattgefunden habe:

„Man sitzt auf dem hohen Ross und beschreibt in schöner, fast literarischer Sprache die Welt, wie sie sein soll. Haltung ist oft wichtiger als Handwerk, Weltanschauung wichtiger als Anschauung. In einem solchen Klima gedeiht Erfindung. Relotius hatte ja Vorboten. Wir erinnern uns an den Reporter, der Seehofers Modelleisenbahn anschaulich beschrieb, ohne in dem Keller gewesen zu sein, in dem Seehofer sie aufgebaut haben soll. Relotius verstand immer besser, welchen Sound man liefern musste, um Ressortleiter und Jurys von Journalisten-Preisen zu bedienen.“

In den Kommentarbereichen und sozialen Medien wird nunmehr spekuliert, welcher der Journalisten, die sowohl den Henri-Nannen-Preis als auch den Reporterpreis erhalten hatten und für die SZ-Gruppe, den „Spiegel“ und die „Zeit“ schrieb, gemeint sein könnte. Einige kritisieren, dass die Anonymität des Betreffenden einen Generalverdacht gegenüber deutschen Journalisten sogar noch begünstigen könne. Andere spekulieren darüber, ob sich auch bei dem nunmehr Betroffenen bestimmte weltanschauliche Denkmuster wiederfinden, die es bereits Relotius erleichtert haben sollen, seine Kollegen und das Publikum zu täuschen. 

Der überwiegende Tenor unter den Kommentatoren lautet jedoch, dass es sich nicht um den letzten Fall gehandelt haben dürfte, in dem einem deutschen Qualitätsjournalisten Unregelmäßigkeiten nachgewiesen werden würden.



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