„Russische Verhältnisse“ in Merkeldeutschland? Putin-Kritiker über den Umgang mit der AfD

Als einer der wortgewaltigsten Kremlkritiker des Landes hat der Journalist Boris Reitschuster in der AfD nicht nur Freunde. Nun spricht er im Zusammenhang mit dem Angriff auf Frank Magnitz von „unerträglichen Zuständen“ und warnt vor einer Entmenschlichung Andersdenkender. 
Von 10. Januar 2019

Der von 1999 bis 2015 als Auslandskorrespondent des „FOCUS“ in Moskau tätige Boris Reitschuster ist für seine Berichterstattung rund um den Ukraine-Konflikt, den russischen Präsidenten Wladimir Putin oder die Situation in Russland insgesamt europaweit bekannt – und nicht unumstritten.

Seine Gegner, viele davon in der AfD, werfen ihm vor, einseitige und agitatorische Kritik an der russischen Politik zu üben und keine Zwischentöne zu kennen. Reitschuster seinerseits erklärt, er sei kein „Russlandhasser“, nur ein „Putindurchschauer“. Dabei verweist er auf militärische Interventionen der russischen Regierung in Nachbarländer und darauf, dass in den Regierungsjahren von Präsident Putin bereits mehrere Regierungskritiker unter dubiosen Umständen ums Leben gekommen waren. 

Dadurch, dass prononcierte Putin-Kritiker wie Reitschuster vor allem in der Zeit der Ukrainekrise häufig in etablierten Medien zu Wort kamen, fühlten sich auch viele Anhänger der AfD in ihrer Überzeugung bestärkt, dass deutsche Leitmedien Stimmungsmache statt Berichterstattung betrieben. Das Misstrauen gegenüber etablierten Medien hatte insbesondere seit den Ereignissen von 2013/14 in vielen Teilen der Bevölkerung spürbar zugenommen.

Dass selbst russische Auslandsmedien mit orthodox-marxistischer Schlagseite fortan auch von Rechtskonservativen und AfD-Anhängern bereitwillig konsumiert wurden, war ein ungeahnter Nebeneffekt dieser Entwicklung. Nicht selten reagierten gerade AfD-Anhänger auf kritische Medienberichte über die schwierige Situation oppositioneller Kräfte in Russland mit dem Hinweis auf „Antifa“-Überfälle auf AfD-Infostände, auf Drohungen gegen Wirte, auf berufliche Diskriminierungen oder sonstige Formen der Benachteiligung der rechtskonservativen Oppositionspartei in Deutschland.

Öffentliches Bekenntnis zur AfD ist gefährlich geworden

Der Grundtenor der Kritik lautete dabei, deutsche Politiker und Medien würden sich selbst als Heuchler entlarven, wenn sie bei jeder Gelegenheit die Behinderung der Opposition in Russland beklagten, gleichzeitig aber über die Tatsache schwiegen, dass die AfD in Deutschland den gleichen Drangsalierungen ausgesetzt wäre.

Umso bemerkenswerter erscheint nun Boris Reitschusters Kommentar für das Nachrichtenmagazin „Cicero“, in dem dieser sich zum jüngsten mutmaßlich politisch motivierten Angriff auf den AfD-Bundestagsabgeordneten Frank Magnitz äußert.

Zwar ist der genaue Tathergang noch nicht vollständig geklärt. Es sei jedoch offensichtlich, dass viele Menschen, die sich in der Öffentlichkeit für die AfD engagieren, kein normales Leben mehr führen könnten.

Reitschuster erklärt in seinem Text, sich angesichts der Gewalt gegen einen Politiker, der ihm inhaltlich nicht nahesteht, auch selbst Vorwürfe zu machen. Er zitiert in diesem Zusammenhang Albert Einstein mit den Worten: „Die Welt wird nicht bedroht von den Menschen, die böse sind, sondern von denen, die das Böse zulassen.“

„Schweigen ist unerträglich“

Dabei schildert er auch ein Erlebnis, das er persönlich gehabt habe und über das er selbst bislang geschwiegen hätte:

„Die Vorgeschichte: Vor einigen Jahren war eine bekannte AfD-Politikerin Gast bei einem Vortrag von mir. Wir sind – verbal – massiv aneinandergeraten. Unsere Ansichten zu Russland waren diametral. Nach der Veranstaltung erzählte sie mir, dass sie ständig Polizeischutz habe, nicht einmal mehr in ein Restaurant könne, ohne Angst zu haben, attackiert zu werden, dass es Brandanschläge auf ihr Auto gegeben habe, dass ihre Kinder in der Schule schikaniert würden – schlicht: Sie könne kein normales Leben mehr führen. Dann griff sie aufgewühlt nach ihrem Handy und zeigte mir die Telefonnummern all der Polizeibeamten, mit denen sie ständig im Kontakt ist.“

Diese Zustände, so betont Reitschuster, seien „unerträglich“ – ebenso, dass viele das hinnähmen und schwiegen. Auch dies habe zu Attacken wie jenen auf den AfD-Abgeordneten Magnitz geführt. Man könne nur hoffen, dass über die vielen wohlklingenden Bekenntnisse von Politikern aller Parteien hinaus nach dieser Tat ein Umdenken stattfinde und die tieferen Wurzeln bekämpft würden – bevor noch Schrecklicheres passiere.

Dies sei jedoch zu bezweifeln. Vertreter der Antifa hätten den Angriff verherrlicht, Facebook weigerte sich, Posts dieser Art zu löschen, weil dadurch keine Gemeinschaftsstandards verletzt würden. Das, so Reitschuster, sei „geistige Brandstiftung“.

Grenzen der Meinungsfreiheit dürfen nur Gesetze und unabhängige Gerichte setzen

Zwar setzt Reitschuster die Situation hinsichtlich der real existierenden Freiheit zur Ausübung einer Opposition in Merkels Deutschland nicht gleich mit jener in Putins Russland, aber er meint Mechanismen zu erkennen, die exakt dorthin führen könnten.

„In 16 Jahren als deutscher Journalist in Russland habe ich den Menschen dort immer wieder gesagt: Es ist einer der Grundpfeiler unserer westlichen Demokratie, dass in der politischen Auseinandersetzung niemand um sein Leben oder seine Sicherheit fürchten muss. Auch nicht jemand, dessen Ansichten als radikal oder extrem wahrgenommen werden.“

Die Grenzen für Meinungsfreiheit, Diskussionen und politische Auseinandersetzung dürften ausschließlich Gesetze und unabhängige Gerichte festlegen. Niemand anderer dürfe sich zum Richter aufschwingen, schon gar nicht Politiker oder Parteien – „das ist eine der wichtigsten Lehren, die uns Deutschen die Geschichte erteilt hat“.

Explizit weist der Kremlkritiker darauf hin, dass der Vergleich Andersdenkender mit „Nazis“ oder „Faschisten“ nicht nur ein ärgerliche und infantile Unart des deutschen politischen Diskurses sei, mit der dessen Verwender das Ziel verfolgen, sich selbst in eine Position unangreifbarer moralischer Erhabenheit zu setzen.

„Nazi“-Vorwurf als Instrument der Entmenschlichung

Vielmehr verwendeten gerade extremistische, autoritäre und totalitäre Bestrebungen diese Zuschreibung als bewusstes Element der gezielten Dämonisierung und Entmenschlichung Andersdenkender, um so Gewalt oder Repression gegen diese als gerechtfertigt oder geboten darzustellen:

„Ich habe in Russland erlebt, wohin es führen kann, wenn politische Gegner pauschal diffamiert werden. Schon zu Sowjetzeiten wurden dort Systemkritiker als ‚Faschisten‘ gebrandmarkt und damit entmenschlicht – eine alte Strategie von KGB und KPdSU, die unter Wladimir Putin wiederbelebt wurde. Menschen mit abweichender Meinung pauschal als ‚Nazis‘ zu verleumden, verharmlost nicht nur die schrecklichen Verbrechen des Nationalsozialismus und hilft echten Neo-Nazis, ihre kriminelle Haltung zu verwässern und zu tarnen. Es gibt die derart Diffamierten quasi zum ‚Abschuss‘ frei und sät Gewalt. In Russland wurde mein Freund Boris Nemzow umgebracht, Garry Kasparow und andere fürchten um ihr Leben und mussten ins Ausland fliehen, nachdem sie zuvor als ‚Faschisten‘ entmenschlicht wurden.“

Was sich in Deutschland jetzt schon mit Blick auf die AfD vollzieht, veranlasst Reitschuster zu einem unmissverständlichen Appell:

„Gnade uns Gott vor solch einer Entwicklung! Aber statt auf Gottes Gnade sollten wir lieber darauf setzen, dass alle Demokraten zusammenstehen und Farbe bekennen. Gegen Extremisten und Gewalttätige, egal welcher Couleur.“



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