Schulen platzen aus allen Nähten – Willkommensklassen an Berliner Flughäfen geplant

„Auch neu hinzugezogene oder geflüchtete Kinder, die noch kein Deutsch sprechen, sind schulpflichtig“, heißt es auf dem Berliner Familienportal. Doch wie soll das funktionieren mit überfüllten Schulen? In der Hauptstadt zeichnet sich eine Lösung ab.
Mit den Migranten kommen auch Kinder ins Land, viele von ihnen stehen auf der Warteliste für einen Platz in der Schule. Foto: iStock
Mit den Migranten kommen auch Kinder ins Land, viele von ihnen stehen auf der Warteliste für einen Platz in der Schule.Foto: iStock
Von 30. September 2023

Aufgrund der steigenden Anzahl von schulpflichtigen Kindern von Migranten, die nach Berlin kommen, will Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch diese neuen Schüler zukünftig in Flüchtlingsunterkünften beschulen lassen.

„Wir hatten zuletzt in den Bezirken 1.100 bis 1.200 und in Tegel um die 700 schulpflichtige Kinder, die derzeit noch nicht beschult werden und gegebenenfalls schon tagesstrukturierende Angebote erhalten“, so die Bildungssenatorin. Insgesamt gehe es um knapp 2.000 Kinder und Jugendliche, von denen einige monatelang keine Schule besucht haben.

Man wisse, „dass unter den Ankommenden rund 30 Prozent schulpflichtige Kinder sind“, erklärte die CDU-Politikerin weiter. „Wir haben eine Prognose für Tegel, dass wir mit 1.500 schulpflichtigen Kindern bis zum Ende des Jahres rechnen.“ Um diesen Kindern gerecht zu werden, musste eine Lösung her.

Flughafengebiete als Schulstandorte

Am 26. September beschloss der Senat weitere Maßnahmen, um Kinder der Migranten zu beschulen. Konkret geht es um die großen Ankunftszentren auf dem Tempelhofer Feld und in Berlin-Tegel. Um die gesetzliche Schulpflicht in der Nähe des Tempelhofer Felds gewährleisten zu können, erachtet der Senat die Errichtung von Leichtbauhallen für schulische Brückenangebote für sinnvoll.

Während die umliegenden Bezirke bereits im Frühling 2023 gemeldet hatten, dass die Kapazitäten an den bestehenden Schulen ausgeschöpft sind, gebe es auf dem Tempelhofer Feld grundsätzlich Flächenkapazitäten. Dort können bis zu 13 Willkommensklassen eingerichtet werden, in denen die Kinder an fünf Tagen in jeweils sechs Stunden unterrichtet werden.

Außerdem hat der Bezirk Berlin-Mitte in fußläufiger Entfernung zum Terminal C in Tegel am Saatwinkler Damm eine Gewerbeimmobilie für die notwendige Auslagerung der Anna-Lindh-Schule angemietet. Aktuell sind vier Geschosse in Nutzung, zwei weitere befinden sich im Ausbau. Nach Fertigstellung der Umbauarbeiten könnten laut Senat mindestens zwei Etagen mit jeweils elf Unterrichtsäumen kurzfristig für bis zu 22 Willkommensklassen zur Verfügung stehen. Perspektivisch stehen nach dem im Schuljahr 2024/25 geplanten Auszug der Anna-Lindh-Schule weitere vier Geschosse mit je elf schulisch nutzbaren Räumen zur Verfügung. Dies entspricht dann weiteren 44 Willkommensklassen beziehungsweise Brückenangeboten.

Im Bereich der beruflichen Bildung wird es zunächst Informationsveranstaltungen in den Großeinrichtungen Tegel und Tempelhof geben. Spracherwerb und berufliche Orientierung sollen weiter prioritär an beruflichen Schulen erfolgen, heißt es vom Senat. Zudem sind weiterhin tagesstrukturierende Angebote wie „Fit für die Schule“ vorgesehen, ein Programm zur Sprachförderung, Bildung und Teilhabe für geflüchtete Kinder und Jugendliche.

Lehrer-Tandems für Willkommensklassen gesucht

Ob man genügend Lehrkräfte für die vielen Schüler findet, ist noch unklar. Wie in den Medien berichtet wurde, gibt es derzeit eine Dauerausschreibung für Pädagogen. Personal aus Volkshochschulen und pensionierte Lehrer hätten sich bereit erklärt, Migranten zu unterrichten.

„Wir haben auch die Überlegung, dort ukrainische Pädagogen mit einzusetzen – als Tandem, sodass dort zwei Betreuer in einer Willkommensklasse für die Kinder da sind“, schildert die Bildungssenatorin weiter.

Nur eine Übergangslösung

Nach Ansicht der Senatorin sollen die Willkommensklassen an Großstandorten jedoch nur eine Übergangslösung sein. Dass mehrere Schulen in kurzer Zeit in Berlin aus dem Boden gestampft werden, sei nach Einschätzung des Senats jedoch völlig unrealistisch.

Die einzige Alternative derzeit bestünde darin, die Kinder und Jugendlichen der Migranten gar nicht zu beschulen.

„Das will ich auf jeden Fall vermeiden“, so Günther-Wünsch. „Ein schulisches Angebot am Standort der Ankunftszentren ist für die Kinder und Jugendlichen wichtiger und wesentlich sinnvoller als über einen längeren Zeitraum womöglich gar keine Schule zu haben.“

GEW kritisiert Wartelisten

Kritik an der Schulsituation kam vor dem Senatsbeschluss von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Diese forderte einen besseren Bildungszugang für Flüchtlingskinder. Denn während alle Kinder nach einem Rahmenlehrplan von Lehrern unterrichtet werden, die nach dem Berliner Lehrkräftebildungsgesetz geschult wurden, gelten diese Anforderungen für die Willkommensklassen nicht.

„Es kann nicht sein, dass hunderte Kinder und Jugendliche monatelang auf einen Schulplatz warten müssen. Auch bei dem Übergang von einer sogenannten Willkommensklasse in eine Regelklasse kommt es zum Teil zu langen Wartezeiten. Die Kinder und Jugendlichen hängen in der Luft. Ihrem Recht auf Bildung wird nicht entsprochen“, kritisierte Lydia Puschnerus, Leiterin des Vorstandsbereichs Schule der GEW Berlin.

„Auch wenn die Schulen aus allen Nähten platzen, müssen Lösungen gefunden werden“, forderte die Gewerkschaft. „Wir brauchen vernünftige Konzepte statt immer wieder Notfallmaßnahmen.“

Nach ihrer Ansicht muss das aktuelle Verfahren für die Schulplatzzuweisung und den Übergang verändert werden, da es sehr viele Ressourcen binde und den Schülern nicht gerecht werde.

Eingangsdiagnostik soll Ressourcen freisetzen

Die Gewerkschaft schlägt eine „Eingangsdiagnostik“ vor. Anders gesagt sollen Sprachstand und fachliche Kenntnisse mit einem einheitlichen Diagnoseinstrument unter Einbeziehung eines Dolmetschers erfasst werden. Auf dieser Basis soll eine dem Alter und Leistungsstand entsprechende Einstufung in eine Regelklasse erfolgen.

„Dies könnte das aufwendige, nicht gut funktionierende, von willkürlichen Faktoren abhängende Übergangsmanagement ablösen“, so Jessika Tsubakita vom GEW.

Weiterhin fordert die Gewerkschaft die Einführung von Deutsch als Zweitsprache als ordentliches Schulfach mit einem verbindlichen Lehrplan und vereinheitlichter Qualifizierung von Lehrkräften im Studium und Referendariat.

Wichtig sei ebenfalls, dass Schüler individuell gefördert und auch nach dem Unterricht begleitet werden. So müsste jungen Menschen in der Ausbildung der Druck genommen werden, der von aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen ausgeht. Über 16-jährige Migranten sollten die Möglichkeit erhalten, einen Schulabschluss zu machen – auch in ihrer Herkunftssprache.



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