Selbstversorgung statt Massenproduktion – Agrarpolitik vor möglichem Wendepunkt

Bürokratie, Energiewende, Leistungsdruck. Die Liste der Faktoren, die für Frust bei den deutschen Bauern und den für Lebensmittel zuständigen Verbänden sorgt, lässt sich beliebig erweitern. In einer Ausschusssitzung des Bundestages machten sie sich Luft. Beim Thema Gentechnik prallten Welten aufeinander.
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Am 17. April 2023 tagte der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft.Foto: Screenshot der Sitzung
Von 20. April 2023

Dass die Nahrungsmittelversorgung in Deutschland gesichert werden muss, liegt auf der Hand. Darin waren sich auch alle Sachverständigen einig, die am Montag, 17. April, im Rahmen des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft angehört wurden.

Wie der Weg dahin aussieht, darüber herrschte Unstimmigkeit. Oder mit den Worten des CSU-Abgeordneten Artur Auernhammer gesagt: „Schwarz-weiß-Denken funktioniert nicht.“

CDU/CSU für Umdenken beim „Green Deal“

Die CDU/CSU-Fraktion hat einen Antrag in den Deutschen Bundestag eingebracht unter dem Titel „Nahrungsmittelversorgung sicherstellen – Selbstversorgungsgrad in Deutschland und Europa erhalten“. Sie setzen sich für ein Umdenken des „Green Deal“ der Europäischen Union ein. Dabei kritisiert die Union unter anderem die pauschalen Zielvorgaben bei der Verringerung von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln.

„Reduktionsziele müssen immer auf wissenschaftlicher Grundlage verbunden mit einer umfassenden Folgenabschätzung für die Ernährungs- und Versorgungssicherheit definiert werden“, heißt es in dem Antrag. Weiterhin werden EU-Industrieemissionsrichtlinien im Bereich der landwirtschaftlichen Tierhaltung und eine Novellierung des europäischen Gentechnikrechtes angesprochen, um einen „innovationsfreundlichen europäischen Rechtsrahmen für neue Züchtungsmethoden zu schaffen“.

Statt einer ideologiegetriebenen Politik, die auf eine „Bewältigung der nicht mehr abwendbaren Folgen des Klimawandels“ abzielt, sei eine wissenschaftsorientierte Agrar- und Ernährungspolitik gefragt, so der Ansatz der CDU/CSU.

Landwirt des Jahres: Wertschätzung und Kompost statt Gentechnik

Dass der Einsatz von Gentechnik unter den Landwirten nicht unumstritten ist, zeigte der Brandenburger Sachverständige Benedikt Bösel, Landwirt des Jahres 2022. Er stellte in der Ausschusssitzung klar: „Die Frage ist: In welchen Händen ist diese [Gen]Technologie und auf was wird damit abgezielt?“

Was Landwirte beobachten könnten, sei die Reduzierung von gentechnikfreiem Saatgut. Das widerspreche der beabsichtigten großen Sorten- und Artenvielfalt. Nach Bösels Ansatz müsse vielmehr die Unabhängigkeit der Bauern gefördert werden, damit diese auf gesellschaftliche und ökologische Anforderungen reagieren können.

Da die deutsche Agrarpolitik sich darauf ausgerichtet habe, für den Weltmarkt möglichst viel Masse zu geringen Preisen zu produzieren, sei die Situation für die Bauern prekär. Viele mussten wachsen, investieren und ihre Betriebssysteme weiter spezialisieren, um an den Effizienzsteigerungen der Technik und der Technologie partizipieren zu können.

„Heute sind diese Betriebe meist hoch verschuldet und abhängig – von schwankenden Weltmarktpreisen, Direktzahlungen, immer teureren Betriebsmitteln, Zulieferern und Abnehmern“, so Bösel in seiner schriftlichen Stellungnahme an den Ausschuss. Selbst wenn sich die Landwirte um mehr Bodenschutz, Biodiversität und Tierwohl kümmern wollten, seien ihnen beispielsweise aufgrund der Kredite und Produktionsprozesse die Hände gebunden.

Hinzu komme erschwerend eine Gesellschaft, die sich scheinbar immer weiter von der Landwirtschaft entfremde. Laut Bösel bedarf es sowohl der Wertschätzung der Arbeit der Bauern als auch geeigneter Rahmenbedingungen, um die grünen Berufe auch für die Folgegeneration attraktiver zu machen.

Flächen vertikal erweitern

„Der Klimawandel ist nicht die Tatsache, dass es immer trockener […] oder immer feuchter wird. Was mit dem Klimawandel kommt, ist eine viel größere Unvorhersehbarkeit“, so Bösel weiter. Darauf könne eine lineare Technologie nicht reagieren. Dafür sind ein gesunder Boden und ein gesundes Ökosystem erforderlich – beispielsweise durch Kompost.

Gleichzeitig wies Bösel darauf hin, dass es Alternativen gibt, von horizontalen Monokulturen mit nur einer Ernte im Jahr vertikale Strukturen einfließen zu lassen, die mehrere Ernten auf der gleichen Fläche in einem Jahr ermöglichen. „Das wäre wahrer Fortschritt“. Integriert man in dieses System zusätzlich Obst, Beeren, Nüsse und auch die Tierwelt, wäre das ökonomische Potenzial unglaublich – sowohl für die Bauern als auch für die Gesellschaft.

Gemüsebau: Zu viel Bürokratie

Christian Ufen, Vorsitzender der Bundesfachgruppe Gemüsebau beim Zentralverband Gartenbau, berichtete, dass der aktuelle Selbstversorgungsgrad – überwiegend von kleinen und mittleren Familienunternehmen abgedeckt – für Gemüse in Deutschland bei rund 38 Prozent liege, bei Obst seien es 20 Prozent.

Seine Kritik richtete sich gegen die zunehmende Bürokratisierung und Reglementierung. „Die deutschen Gemüsebauern stehen sich einer stetig steigenden Belastung durch einen bürokratischen Dirigismus ausgesetzt.“ Zunehmende Dokumentationspflichten, Änderungen im Arbeits- und Sozialrecht und Regelungen zum neuen Energieeffizienzprogramm „sind gerade für die Familienbetriebe ein Graus“.

„Solche bürokratischen Hemmnisse und Stolpersteine befeuern den Strukturwandel inzwischen stärker als der Preisdruck. Sie zwingen die Obst- und Gemüsebauern immer länger an den Schreibtisch – aber wir gehören auf den Acker!“, so Ufen.

Von der Nutzung von Gentechnik zeigte er sich nicht abgeneigt. Innerhalb kurzer Zeit könnten durch neue Züchtungstechniken (z.B. CRISP/CAS) Pflanzen bereitgestellt werden, die widerstandsfähiger gegenüber Wassermangel/Überschwemmungen, Versalzung, Hitze/Kälte, Krankheiten und Schädlingen seien.

Klimaforscher: Bauern durch Mercosur-Abkommen unter Druck

Dass eine Verlagerung von Problemen nicht zielführend ist, erklärte der Sachverständige Dr. Richard Fuchs an einem anschaulichen Beispiel: Seit dem Jahr 1990 wurde in Europa eine Fläche in der Größe von Griechenland wieder aufgeforstet. „Im gleichen Atemzug haben wir dieselbe Fläche in den Globalen Süden verlagert für den Konsum in Europa, was zu tropischer Entwaldung geführt hat.“

Derartige Null-Lösungen müssten ebenso wie die Unterwanderung der Produktionsstandards der deutschen Landwirtschaftsbetriebe vermieden werden, stellte der Klimaforscher klar. Europa habe sich in der Vergangenheit sehr von Lebensmittelimporten abhängig gemacht, was durch das geplante Mercosur-Abkommen weiter vorangetrieben werde.

Er kritisierte, dass bei den „sehr ambitionierten Zielen“ des „Green Deal“ die globale Sicht komplett fehle. So gebe es keine vereinbarten Ziele, was die Importe nach Europa betrifft. Die deutschen Bauern stünden aufgrund fehlender Importvorgaben in direkter Konkurrenz mit den globalen Handelspartnern.

Fuchs sprach sich dafür aus, wieder mehr Agrarflächen zu bewirtschaften, um die einheimische Produktion von Lebensmitteln zu erhöhen – und zwar effizienter, technologiefreundlicher und innovativer, beispielsweise durch die Gentechnik.

Öko-Lebensmittel: Mehr Import als Export

Peter Röhrig, geschäftsführender Vorstand beim Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft e.V., setzt auf Ernährungssouveränität. „Wir importieren mehr als wir exportieren […]. Damit nützen wir der Welt nicht, sondern liegen ihr faktisch auf der Tasche – vor allem denjenigen, die viel weniger haben als wir.“

Ein besserer Ansatz als eine Steigerung der Produktion, so war aus der Anhörung ersichtlich, bestünde darin, die Ernährungssouveränität in allen Ländern zu fördern.

„Wir müssen für eine ausreichende Agrarproduktion und Ernährung sorgen, aber auch Boden, Artenvielfalt und sauberes Wasser und ein ausgeglichenes Klima sichern, um die Produktionsmittel für die Landwirtschaft für künftige Generationen zu erhalten“, sagte Röhrig.

Gleichzeitig verwehrte sich der Verband gegen den im Antrag der CDU/CSU gewählten Begriff „neue Züchtungsmethoden“. Dieser sei irreführend, da es sich um Gentechnik handele. „Verknüpft mit der Gentechnik ist das Bestreben der Industrie, Patente auf Nutztiere und Pflanzen zu erhalten. Dies ist nicht im Interesse der Bäuerinnen und Bauern“, heißt es in der Stellungnahme des Vereins.

Das widerspreche auch dem breiten politischen Willen des Bundestags. „Dieser Wille wird bereits heute unterlaufen, indem immer wieder Patente auf Pflanzen angemeldet und genehmigt werden. Patente auf Nutztiere und Pflanzen hebeln das bewährte und innovative Landwirte- und Züchterprivileg aus.“

Die ökologische Lebensmittelwirtschaft, die laut Zielsetzung von EU, Bund und praktisch allen Bundesländern deutlich ausgeweitet werden soll, sei auf wirksame Maßnahmen zur Verhinderung von Gentechnik-Kontaminationen angewiesen. Der Einsatz und die Verwendung von gentechnisch veränderten Organismen sei gemäß EU-Öko-Verordnung verboten.

„Bundestag und Bundesregierung sollten sich dafür einsetzen, die großen Wettbewerbsvorteile einer gentechnikfreien Produktion in Deutschland zu sichern und nicht den ewig gleichen, uneingelösten Versprechungen der Gentechnik-Lobby zu opfern“, stellt der Verein klar.

Ernährungsindustrie: Energiepreise beachten

Christoph Minhoff, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Ernährungsindustrie, appellierte ebenfalls an die Verantwortung der Politik.

Damit Deutschland auch in Zukunft Produktionsstätte für Lebensmittel bleibe, müssten die Energieversorgung für die kritische Infrastruktur der Ernährung sowie zielführende Maßnahmen für mittel- und langfristig wettbewerbsfähige Energiepreise gesichert und EU-Regeln zur Kreislaufwirtschaft harmonisiert werden.

Wann über den Antrag von CDU/CSU im Bundestag abgestimmt wird, ist noch nicht bekannt.



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