Studie zur Migration: Zauberwort „Klima“ bringt die Willkommenskultur zurück

„Klimaschutz“ kann Türen öffnen: Eine Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) hatte zum Ergebnis, dass Deutsche eher bereit wären, eine Politik der offenen Grenzen zu akzeptieren, wenn die Schutzsuchenden als „Klimaflüchtlinge“ gelten. Flucht werde in diesem Fall als „legitim“ eingeschätzt.
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Das Klima ist heiß und die Nahrungsmittel rar. Dieser Polizist versucht mit Saft in Trinkspacks die Flüchtlinge etwas zu unterstützen.Foto: Balazs Mohau/dpa
Von 4. Juni 2019

Nach der ersten „Refugees Welcome“-Euphorie des Jahres 2015, als Bundeskanzlerin Angela Merkel als Reaktion auf die schockierenden Bilder des vor der griechischen Küste ertrunkenen fünfjährigen Aylan Kurdi eine Politik der offenen Grenzen für Flüchtlinge verkündet hatte, war in weiten Teilen der deutschen Bevölkerung spätestens seit den Ereignissen der Silvesternacht 2015/16 in Köln schnell Ernüchterung eingekehrt.

Hatte sich eine Mehrheit der Deutschen zu Beginn noch mit Politik und Medien der eigenen humanitären Größe gerühmt und sich auf künftige Fachkräfte und dankbare Familien mit Kindern gefreut, dämmerte es bald, dass hauptsächlich junge Männer den Weg nach Deutschland fanden. Diese waren zudem seltener als erhofft Fachkräfte und manche von ihnen zeigten auch Verhaltensauffälligkeiten, die geeignet waren, in erheblicher Weise das Zusammenleben zu belasten.

Neuer Frame – neues Glück

Diese Erfahrungen führten zunehmend dazu, dass Ernüchterung Platz griff. Selbst die, wie auch spätere Untersuchungen etwa der Otto-Brenner-Stiftung bestätigten, anfangs fast einhellig hinter der Politik der Kanzlerin stehende Berichterstattung der Leitmedien wurde kritischer. Die AfD profitierte vom zunehmenden Unmut über die Auswirkungen einer Flüchtlingspolitik, zu der verstärkt auch Politiker aus der Kanzlerpartei auf Distanz gingen.

Die Sprachwissenschaftlerin Elisabeth Wehling klagte noch gegen Ende des Vorjahres darüber, dass mit Blick auf die Willkommenskultur eine „Diskursverschiebung“ stattgefunden hätte, die auf rechtes „Framing“ zurückzuführen gewesen wäre. Während Asylsuchende unter dem Eindruck der Aylan-Kurdi-Bilder noch fast einhellig als Schutzsuchende begriffen worden seien und auf Empathie stießen, hätten die Kölner Silvesternacht und Verbrechen wie jene in Freiburg oder Kandel den Rechten ermöglicht, die Zuwanderung von Asylbewerbern mit einem „Vergewaltigungs-Frame“ zu verknüpfen.

Nun scheinen Befürworter einer großzügigen Aufnahme von Migranten aus Südosteuropa, dem Nahen Osten oder Afrika allerdings eine neue erfolgversprechende Strategie gefunden zu haben, um der Skepsis gegenüber einer Politik der offenen Grenzen entgegenzuwirken.

Wie das auf Einwanderungsthemen fokussierte „Migazin“ unter Berufung auf eine repräsentative Online-Umfrage des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) berichtet, sei die Bereitschaft innerhalb der deutschen Bevölkerung, breite Migrationsbewegungen zu akzeptieren, deutlich höher, wenn die Einwanderungswilligen als „Klimaflüchtlinge“ wahrgenommen würden, als wenn die Rede von „Wirtschaftsflüchtlingen“ wäre.

Akzeptanz nicht unbegrenzt

Marc Helbling, Professor für Politische Soziologie an der Universität Bamberg, und Daniel Meierrieks, wissenschaftlicher Mitarbeiter der WZB-Abteilung Migration, erklären dazu, dass der „Klima“-Frame die Asylsuchenden als „legitime“ Flüchtlinge erscheinen lasse, da sie „ihre Länder aus Gründen verlassen müssen, für die sie selbst nicht verantwortlich gemacht werden können“. Dabei sei eine trennscharfe Abgrenzung zwischen beiden Fluchtgründen gar nicht möglich, weil die klimatischen Verhältnisse in den Herkunftsländern auch Einfluss auf die wirtschaftlichen Verhältnisse entfalteten.

Für ihre Studie haben die beiden Forscher, so das Migazin, in einer Umfrage im Juni 2018 über 1000 Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit zu ihren Einstellungen gegenüber Geflüchteten befragt.

Die Forscher erklären die positiven Einstellungen gegenüber „Klimaflüchtlingen“ auch damit, dass „ihre Situation im Gegensatz zu anderen Flüchtlingsgruppen bislang kaum in öffentlichen Debatten thematisiert“ worden wäre. Zudem würden die Betroffenen auf Grund des kontinuierlichen Charakters des Klimawandels „als eher kleine Gruppe wahrgenommen“.

Trotz der offensiven Thematisierung des angeblich „menschengemachten“ Klimawandels in den deutschen Leitmedien droht jedoch auch die Solidarität gegenüber – bis dato lediglich als fiktive Größe vorhandenen – „Klimaflüchtlingen“ an Grenzen zu stoßen. Die Unterstützung für Klimaflüchtlinge, so die Forscher weiter nehme „stark ab, wenn die Teilnehmer der Umfrage darauf hingewiesen wurden, dass viele Experten der Meinung sind, in Zukunft würden relativ viele Menschen wegen veränderter Umweltbedingungen ihre Länder verlassen“.

Klimawandel von manchen Menschen noch mehr gemacht?

Der auf die Mobilisierung von Angst und Schuldgefühlen setzende Narrativ vom „menschengemachten“ Klimawandel erleichterte es politischen Entscheidungsträgern und Medien bislang vor allem, die Akzeptanz finanzieller Belastungen und erzwungener Einschränkungen persönlicher Handlungsfreiheit unter der Prämisse der „Klimapolitik“ in der Bevölkerung hoch zu halten.

Die WZB-Forscher lassen erkennen, dass es, um auch die Akzeptanz von Migrationsbewegungen unter dem Banner des Klimawandels zu sichern, eines weiteren, spezifischen Frames bedarf. Zur abstrakten Schuldzuweisung an „den Menschen“, der durch seine alltäglichen Verhaltensweisen „das Weltklima“ schädige, müsse die zusätzliche Komponente treten, nämlich speziell den westlichen Gesellschaften einen besonders großen Beitrag zur „Erderhitzung“ zuzuschreiben.

Gegenüber dem Migazin erklärt Helbling:

„Mit der Studie können wir erstmals zeigen, wie Menschen in Deutschland zu Klimaflüchtlingen stehen. Das ist wichtig, um beurteilen zu können, ob die westlichen Gesellschaften, die maßgeblich für den Klimawandel verantwortlich sind, ihre Verantwortung wahrnehmen, aber auch wie sie mit Konflikten umgehen werden, die aus zunehmender Migration durch Klimawandel entstehen.“

Dass das Blame-Game auch in der Gegenrichtung funktioniert, hat erst jüngst die Junge Alternative Berlin deutlich gemacht, als ihr Vorsitzender David Eckert meinte, den Klima-Narrativ auch in eigener Sache nutzen zu können. In seinem – offenbar nicht mit dem Vorstand abgesprochenen – Papier zu einer klimapolitischen Neuausrichtung der AfD erklärte er eine angebliche „Überbevölkerung“ in Afrika zum wesentlichen Faktor der „menschengemachten Erderwärmung“ und forderte, Entwicklungszusammenarbeit künftig an die Durchsetzung einer „Ein-Kind-Politik“ zu knüpfen, wie sie in China bereits zu gravierenden Verwerfungen geführt hatte.

Vier der elf Mitglieder des JA-Vorstandes in der Bundeshauptstadt erklärten daraufhin ihren Rücktritt, sodass der Vorstand nicht mehr handlungsfähig ist.



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