Verstoß gegen Archivgesetz: Ministerien löschen E-Mails ehemaliger Amtsinhaber

Cum-Ex, Corona, Korruption oder Interessenskonflikte – immer wieder tauchen auf der Politbühne Skandale auf. Zur Aufdeckung solcher Skandale sind Unterlagen notwendig, doch Regierungsbehörden löschen regelmäßig E-Mails.
Vertuschungskampagne: E-Mails gelöscht
Auch wichtige E-Mails von Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihrem Nachfolger Olaf Scholz wurden offenbar gelöscht.Foto: Michael Kappeler/dpa POOL/dpa/dpa
Von 25. Dezember 2022

Die Bundesregierung löscht regelmäßig die E-Mail-Postfächer ausscheidender Bundesminister. Nach dem Wortlaut des Bundesarchivgesetzes sowie nach Expertenansicht müssten diese Dateien eigentlich dem Bundesarchiv zur Aufbewahrung angeboten werden. Das geschieht aber offenbar nicht.

Diese systematische Löschpraxis kann die Aufklärung von Skandalen und Fehltritten von Politikern oder Parteien behindern oder gar verhindern. Das Bundesfinanzministerium löschte zuletzt möglicherweise E-Mails des damaligen Finanzministers und heutigen Kanzlers Olaf Scholz (SPD) und seiner Büroleiterin.

Gesetzesverstoß der Regierung

Die Regierung hält sich damit offenkundig nicht an das für alle Bundesbehörden geltende Bundesarchivgesetz, wie die „Welt“ berichtet. Die Gesetzgebenden handeln folglich nicht gesetzeskonform. Die Löschpraxis der Regierung widerspricht auch dem Wortlaut der sogenannten Registraturrichtlinie, die sie sich selbst gesetzt hat. Diese Richtlinie erlaubt lediglich, „Dokumente ohne Informationswert“ umstandslos zu vernichten.

Das Bundesarchiv bestätigte demnach auf Anfrage, dass bisher „noch kein Bundesministerium dem Bundesarchiv solche Postfächer zur Übernahme angeboten oder eine Zustimmung zu einer Löschung eingeholt“ habe. Unter den Ministerien, die Löschungen der E-Mail-Postfächer von ausgeschiedenen Ministern bestätigten, sind das Innenministerium, das Landwirtschaftsministerium, das Verkehrsministerium und das Gesundheitsministerium.

In letzterem stand in diesem Zusammenhang Ex-Minister Jens Spahn (CDU) während der Corona-Pandemie im Fokus der Öffentlichkeit. Im Gesundheitsressort, so ein Sprecher, würden „persönliche Postfächer von ausgeschiedenen Beschäftigten“ der Behörde „grundsätzlich nach spätestens 90 Tagen gelöscht“. Gelöscht wurde zuletzt auch das Mailfach von Ex-Kanzlerin Angela Merkel (CDU). „Im Bundeskanzleramt werden beim Ausscheiden aus dem Amt die E-Mail-Accounts deaktiviert und die E-Mail-Postfächer nach sechs Monaten gelöscht“, bestätigte ein Regierungssprecher.

Ministerien entscheiden selbst, was archiviert wird

Die Ministerien selbst stufen ihr Vorgehen als gesetzesgemäß ein. Die Ministerien argumentieren, vor der Löschung würden alle als relevant erachteten E-Mails in die Akten aufgenommen. Faktisch bedeutet dies aber, dass die Ministerien oder die Inhaber der Postfächer selbst entscheiden, was erhalten bleiben soll. „Über die Aktenrelevanz“ entscheide immer der jeweilige Fachbereich beziehungsweise „die Inhaberin oder der Inhaber des jeweiligen Postfaches“, bestätigte das Finanzministerium.

Nach dem Archivgesetz seien aber „alle Unterlagen anzubieten, egal, ob sie veraktet wurden oder nicht“, sagte der Marburger Professor und Archivrechtler Thomas Henne: „Dabei geht es um Aufzeichnungen jeder Art, auch um E-Mails.“

Bundesarchiv-Präsident Michael Hollmann sprach gegenüber der „Welt“ von einer wachsenden „Gefahr, dass wichtige Informationen verloren gehen“. Er verlangte schärfere Regeln: „Es wäre im Sinne der Transparenz, in der Geschäftsordnung der Ministerien und der Registraturrichtlinie des Bundes den Umgang mit digitalen Arbeitsmitteln wie E-Mails oder SMS konkreter und strikter zu regeln“, sagte Hollmann.

Aufarbeitungen werden zunehmend erschwert

Die jetzt bekannt werdende systematische Löschung von Mails geht aber weit über die Erschwerung der Aufklärung bisheriger Skandale in der Politik hinaus. Denn sie betrifft neben den Postfächern von Ministern auch jene von Staatssekretären und weiteren Mitarbeitern der Leitungsbereiche der Ministerien.

Wozu diese derzeitige Praxis führen kann, wird beispielsweise am Fall Cum-Ex deutlich. Jeanette Schwamberger, die Olaf Scholz als Büroleiterin im Kanzleramt dient und zuvor sein Büro im Finanzressort leitete, hatte für den Minister Scholz wiederholt E-Mails und Faxe an den Hamburger Cum-Ex-Untersuchungsausschuss geschickt. „Sie haben mehrere Schreiben von Frau Schwamberger bekommen als Ausschuss“, bestätigte Scholz im August 2022 bei seiner Aussage im Untersuchungsausschuss.

Der Kanzler bezog sich auf seine und Schwambergers Amtszeit im Finanzministerium im Jahr 2021. Derartige Schreiben sind im heute von Christian Lindner (FDP) geführten Ministerium nach dortigen Angaben aber im „Aktenbestand“ nicht aufzufinden. Das bestätigte auch die entsprechende Behörde. Auf genauere Nachfragen zum Sachverhalt reagierten Finanzministerium und Bundestagsbüro ausweichend oder gar nicht. (mf)

(Mit Material von dts)



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