Arm trotz staatlicher Unterstützung: Warum Kinderarmut ein strukturelles Problem ist

Kindergeld, Kinderfreibetrag, Bildungs- und Teilhabepaket. Es gibt viele Möglichkeiten, Kinder aus sozial schwachen Familien zu unterstützen. Trotzdem kommen die Gelder nicht immer dort an, wo sie am dringendsten gebraucht werden.
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Wann ist ein Kind arm? Aus politischer Sicht gibt es dafür konkrete Vorgeben.Foto: iStock
Von 5. April 2023

Das Wort Kinderarmut ist in aller Munde. Besondere heftige Kritik muss in diesen Tagen Bundesfinanzminister Christian Linder (FDP) einstecken. Ungeachtet der Tatsache, dass kürzlich das monatliche Kindergeld um 14 Prozent von 219 auf 250 Euro für das erste und zweite Kind angehoben wurde, wird er als herzloser Politiker dargestellt, der falsche Prioritäten setzt. Dabei gerät in der politischen Diskussion die wichtige Frage in den Hintergrund: Wie wird Kinderarmut in Deutschland gemessen?

Wirft man einen Blick auf das Wort Kinderarmut, kommt man nicht umhin, die Zahlen und Aussagen der Bertelsmann Stiftung genauer unter die Lupe zu nehmen.

Derzeit gelten 2,88 Millionen Kinder unter 18 Jahren als „armutsgefährdet“. „Das heißt: Mehr als jedes fünfte Kind ist von Armut bedroht“, bilanziert ein im Januar 2023 veröffentlichtes Papier zur Kinder- und Jugendarmut in Deutschland. Vor allem Kinder in alleinerziehenden und Mehrkindfamilien sind laut der Bertelsmann Stiftung davon betroffen.

Schwellenwerte

Wer unter den Begriff „armutsgefährdet“ fällt, zeigt eine Tabelle auf Seite 2 des Papiers, die nachstehend wiedergegeben wird. Hier sind Schwellenwerte für Deutschland aufgeführt, die auf der Grundlage des Mikrozensus erstellt wurden. Man spricht von der „relativen Einkommensarmutsgefährdung“.

Haushaltstyp (Auswahl) Armutsgrenze
Ein-Personen-Haushalt 1.148 Euro
Paar-Haushalt 1.721 Euro
Paar-Haushalt, ein Kind unter 14 Jahren 2.066 Euro
Paar-Haushalt, zwei Kinder unter 14 Jahren 2.410 Euro
Paar-Haushalt, drei Kindern, zwei unter 14 Jahren 2.984 Euro
Alleinerziehende, ein Kind unter 14 Jahren 1.492 Euro
Alleinerziehende, zwei Kinder unter 14 Jahren 1.836 Euro
Alleinerziehende, drei Kindern, zwei unter 14 Jahren 2.410 Euro

Es gibt auch noch die „sozialstaatlich definierte Armutsgefährdung“. In diesem Sinne gelten Kinder als arm, wenn sie in einem Haushalt leben, der Hartz IV-Leistungen beziehungsweise Bürgergeld erhält.

Die Armutsgefährdungsquote erreichte laut Bertelsmann Stiftung bei Eltern mit drei und mehr Kindern 31,6 Prozent. Ein Blick auf die Bundesländer zeigt: „Mit Ausnahme von Bremen haben in allen Bundesländern alleinerziehende Familien das höchste Armutsrisiko.“ In Bremen hingegen sind vor allem Eltern mit mehr als drei Kindern von Armut betroffen.

Folgen von Armut

Die Bertelsmann Stiftung führt eine ganze Reihe von Folgen an, die Armut in den Familien bewirken kann. So habe die Hälfte der Familien mit SGB II-Bezug kein Auto; nur selten können die betroffenen Familien auch nur eine Woche im Jahr in den Urlaub fahren. Es fehle zu Hause ein Rückzugsort zum Lernen, ein Computer mit Internetzugang, Taschengeld und auch für Vereinsbeiträge oder Ausrüstung – ob Musikinstrument oder Sportbekleidung – mangele es an den finanziellen Mitteln.

Als „beschämend“ werde wahrgenommen, dass Kinder nur selten Freunde nach Hause einladen können, weil zu wenig Platz ist. Kinder würden sich für ihre Lebensverhältnisse schämen, zumal die Freunde auch oft nicht bewirtet werden können. Einladungen zum Geburtstag würden ausgeschlagen, weil kein Geld für ein Geschenk vorhanden ist. Selbst eigene Geburtstage oder Feiern wie beispielsweise zur Konfirmation oder zum Schulabschluss fielen aus. „Stigmatisierend“ seien auch Anträge für Klassenfahrten und Freizeitangebote, in denen unangenehme Fragen über die Familienverhältnisse zu beantworten seien.

Wie die Bertelsmann Stiftung mitteilt, finden Kinder Strategien, um mit diesem Schamgefühl umzugehen: Sie melden sich krank, fahren nicht mit, erfinden Ausreden und fühlen sich oft schuldig für ihre Lage. Für Studenten bedeuten finanzielle Sorgen, dass sie sich nicht ausschließlich auf ihr Studium konzentrieren, sondern arbeiten müssen, um sich etwas hinzuzuverdienen.

Für die Bertelsmann Stiftung liegt das Ergebnis klar auf der Hand: „Aufwachsen in Armut begrenzt, beschämt und bestimmt das Leben von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen – heute und mit Blick auf ihre Zukunft. Sie erleben in nahezu allen Lebensbereichen – wie Bildung, Gesundheit und gesellschaftliche Teilhabe – Benachteiligungen. Das hat auch für die Gesellschaft erhebliche negative Folgen“, heißt es in dem Papier.

Reformen gegen Kinder- und Jugendarmut

Die Stiftung setzt daher auf eine zügige Einführung der Kindergrundsicherung. Anette Stein, Director bei der Bertelsmann Stiftung und zuständig für den Bereich Bildung und Next Generation, sieht es als Aufgabe der Politik, den Betroffenen gezielt zu helfen.

In einem im Januar 2023 veröffentlichten Video stellt sie gleichzeitig auch klar: „Die Zahl derer, die Sozialleistungen beziehen, ist erstmals auch wieder gestiegen. Ursache dafür sind vor allem aus der Ukraine geflüchtete Kinder und Jugendliche.“ Laut UN-Kinderrechtskonvention hätten sie ebenso einen Anspruch auf „gutes Aufwachsen und soziale Teilhabe“.

„Die hohe Armutsbetroffenheit junger Erwachsener weist jedoch darauf hin, dass die verschiedenen Systeme nicht gut zusammenwirken. Ohne Unterstützung durch ihre Eltern wäre es vielen nicht möglich, ihre Existenz zu sichern“, mahnt Stein. Es helfe auch nicht, an der „Stellschraube Kindergeld zu drehen“. Im Gegenteil. „Eine Erhöhung des Kindergeldes ist teuer, vermeidet aber keine Armut, denn es kommt bei Familien im SGB II-Bezug nicht an.“

Damit das Geld nicht mit der Gießkanne verteilt, sondern wirklich Betroffenen zugutekomme, sollten Kinder und Jugendliche nach ihrer Ansicht beteiligt und auch regelmäßig befragt werden, welche Bedarfe sie in verschiedenen Altersgruppen haben und was aus ihrer Perspektive zum Aufwachsen dazugehört.

„Die Chancen junger Menschen dürfen nicht länger so stark von ihrem Elternhaus abhängig sein“, so Stein. Ob die Einschätzung der Kinder immer mit den Ansichten ihrer Eltern konformgeht und ob alle in Armut lebenden Kinder unglücklicher sind, bleibt offen.

Sie haben eine Lösung gefunden, um ihre Familie trotz minimaler finanzieller Mittel Stabilität und Glück zu verleihen? Ihre Kinder verfügen über ein hohes Selbstbewusstsein, auch wenn sie keine Markenklamotten tragen und deswegen gemobbt werden? Oder Sie gehören aufgrund Ihrer Einkommenssituation in die Kategorie der armutsgefährdeten Familien, fühlen sich aber in anderen Aspekten reich beschenkt? Dann schreiben Sie mir: [email protected]

 



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