Wirecard: SPD will Scholz aus der Schusslinie bringen – Union will Altmaier heraushalten

Die Minister Olaf Scholz und Peter Altmaier könnten schon bald vor einem U-Ausschuss des Bundestages zum Wirecard-Skandal aussagen müssen. Unterdessen soll sich ein bislang flüchtiger Manager im Gewahrsam des russischen Militärgeheimdienstes GRU befinden.
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Die deutsche Generalbundesanwältin Anne Leiding gibt am 22. Juli 2020 in München eine Presseerklärung ab, nachdem der ehemalige Vorstandsvorsitzende und zwei Vorstandsmitglieder des deutschen Zahlungsanbieters Wirecard wegen gewerbsmäßigem Betrug verhaftet worden sind. In einem der möglicherweise größten Finanzskandal der letzten Jahre räumte der deutsche Zahlungsverkehrsanbieter Wirecard 1,9 Milliarden Euro ein, die laut Wirtschaftsprüfern in seinen Bilanzen wahrscheinlich "nicht existieren".Foto: CHRISTOF STACHE/AFP über Getty Images
Von 22. Juli 2020

Der Skandal um den mittlerweile insolventen ehemaligen DAX-Konzern Wirecard belastet die Stimmung in der Koalition.

Führende Politiker von Union und SPD müssen dem Finanzausschuss Rede und Antwort stehen – und versuchen, ihre eigenen Schwergewichte wie Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und Finanzminister Olaf Scholz (SPD) aus der Schusslinie zu bringen. Beide waren für Mittwoch (22.7.) geladen.

Guttenberg soll Merkel persönlich auf China-Einstieg von Wirecard angesprochen haben

Mittlerweile wurde, wie der „Münchner Merkur“ schreibt, bekannt, dass es bei mehreren Gelegenheiten Kontakt zwischen Managern und Beratern des Konzerns auf der einen Seite und Regierungsmitgliedern auf der anderen gegeben hatte. Das „Manager-Magazin“ berichtet, dass zu den Lobbyisten für den – unter anderem der Bilanzfälschung und des Betrugs mittels Luftbuchungen beschuldigte – Zahlungsdienste-Anbieter auch der frühere Geheimdienstkoordinator Klaus-Dieter Fritsche gehört habe.

Auch der frühere Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg soll bereitwillig als Referenz zur Verfügung gestanden haben. Noch am 3. September 2019 soll dieser mit Bundeskanzlerin Angela Merkel im Vorfeld von deren Reise nach China über Wirecard gesprochen haben.

Mit dem Abteilungsleiter Wirtschaft im Kanzleramt, Lars-Hendrik Röller, soll zu Guttenberg über den beabsichtigten Markteintritt von Wirecard in China per Mail kommuniziert haben. Dort wollte man den Dienst AllScore Financial mit Hauptsitz in Peking übernehmen. Aus dem Umfeld der Kanzlerin heißt es jedoch, diese sei in Angelegenheiten, die Wirecard beträfen, nicht involviert gewesen und das Unternehmen habe nicht einmal Vertreter in die Wirtschaftsdelegation entsandt, die Merkel begleitete.

Opposition wird Untersuchungsausschuss verlangen

Obwohl sich bislang keine eindeutigen Hinweise darauf ergeben haben, dass die Bundesregierung über die Lage von Wirecard informiert war, ist davon auszugehen, dass die Opposition einen Untersuchungsausschuss erzwingen wird. Dieser soll die Frage klären, ob und inwieweit Mitglieder der Bundesregierung im Vorfeld Kenntnis von den Unwägbarkeiten hatten oder haben mussten, die im April dieses Jahres zur Verweigerung des Testats vonseiten der Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young geführt hatten.

Fritsche war im Kanzleramt von 2014 bis zum Frühjahr 2018 Staatssekretär und in dieser Funktion zuständig für die Geheimdienste. Wie auch das Bundeskanzleramt mittlerweile bestätigt, habe er sich Fritsche am 13. August 2019 an das Kanzleramt gewandt und um einen Gesprächstermin für die Wirecard AG bei Merkels Wirtschaftsberater Lars-Hendrik Röller am 11. September 2019 gebeten.

Zur Vorbereitung bat das Kanzleramt beim Finanzministerium um Informationen zum Unternehmen. Das Ressort von Scholz schickte dann „öffentlich verfügbare Informationen“ ans Kanzleramt – darunter Antworten der Regierung auf Anfragen der Opposition, bei denen es um Vorwürfe gegen Wirecard ging, etwa zu Unregelmäßigkeiten bei der Rechnungslegung.

Fritsche will aus Lokalpatriotismus um Termin gebeten haben

Zuvor, so erklärte Fritsche gegenüber dem „Spiegel“, habe „ein Freund“ ihn gefragt, ob er für Wirecard einen Termin beim Kanzleramt organisieren könne. Aus bayerischem Lokalpatriotismus heraus – immerhin stelle Bayern derzeit nur eines von vier DAX-Unternehmen – habe er um einen Termin mit Röller angefragt. Über konkrete Hilfen sei nicht gesprochen worden, sein Engagement für Wirecard habe sich damit erschöpft, versichert Fritsche.

Bereits vor zwei Wochen hatten es Spekulationen um Finanzstaatssekretär Jörg Kukies gegeben, der im vergangenen Herbst mit dem ehemaligen Chef des insolventen DAX-Konzerns, Markus Braun, zwei Gespräche unbekannten Inhalts geführt haben soll. Kukies habe, so heißt es aus dem Ministerium, den damals bereits im Raum gestandenen Manipulationsverdacht angesprochen sowie die Sonderprüfung einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, so das Ministerium.

Am 19. Februar 2019 sei Bundesfinanzminister Olaf Scholz darüber unterrichtet worden, dass die Finanzaufsicht Bafin den Fall Wirecard wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Verbot der Marktmanipulation untersuche. Gegenüber der „Zeit“ erklärte der Minister, ihm sei zugetragen worden, dass die Bafin von der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung eine Prüfung des Halbjahresabschlusses von Wirecard verlangt habe.

Altmaier und Scholz vor unangenehmen Fragen

Dies sei jedoch schon zuvor öffentlich bekannt gewesen und da Wirecard bereits seit fast zehn Jahren regelmäßig ohne Beanstandungen von einem großen Wirtschaftsprüfungsunternehmen geprüft worden sei, sei er nicht von vornherein davon ausgegangen, dass die Vorwürfe sich bestätigen würden.

Scholz will jetzt die Bafin reformieren. Diese solle künftig „mehr in Richtung der amerikanischen Finanzaufsicht SEC gehen“, die umfassendere Befugnisse habe. Außerdem sollen Wirtschaftsprüfer bei Unternehmen häufiger wechseln.

Während die Opposition Scholz zu umfassenden Aussagen in der Sache vor dem Finanzausschuss aufgerufen hat, versucht die SPD, Altmaier in die Verantwortung zu nehmen. Immerhin seien es die Wirtschaftsprüfer gewesen, die jahrelang die Bilanzen abgesegnet hätten. Und die Aufsicht über die Wirtschaftsprüfer sei nun mal beim Wirtschaftsministerium angesiedelt.

Dem Handelsblatt zufolge soll sich der zuvor flüchtige Wirecard-Vorstand Jan Marsalek, den die Münchner Staatsanwaltschaft per Haftbefehl sucht, unter Aufsicht des Militärgeheimdienstes GRU in der Russischen Föderation befinden.

Marsalek soll bereits früher enge Kontakte nach Russland und in diesem Zusammenhang auch in Geheimdienstkreise gepflegt haben.

(Mit Material der dpa)



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