Angriff der Killerwale: Forscher rätseln nach Attacken auf Boote vor Spanien und Portugal

Von der Meerenge von Gibraltar bis Galizien häufen sich Vorfälle mit Orcas, die Yachten belästigen. Was die Schwertwale dazu treibt, Ruder abzubrechen und Bissspuren an den Rümpfen zu hinterlassen, stellt Forscher vor Rätsel. Einheimische Biologen kennen die Wale, seit sie Babys waren – haben aber "noch nie Angriffe gesehen oder von Angriffen gehört".
Orcas oder Killerwale ziehen Schaulustige zum "Whale Watching" an.
Orcas oder Killerwale ziehen Schaulustige "Whale Watcher" an.Foto: iStock
Von 16. September 2020

Seit dem Sommer haben Seeleute nach beunruhigenden Begegnungen mit Orcas Notrufe abgesetzt. Zwei Boote verloren einen Teil ihrer Ruder, mindestens ein Besatzungsmitglied erlitt Quetschungen durch den Aufprall, und mehrere Boote erlitten schwere Schäden.

Die spanischen Schifffahrtsbehörden warnen regelmäßig bei Sichtungen, „Abstand zu halten“. Berichte von Seeleuten, die im Juli und August die Straße von Gibraltar befuhren, lassen jedoch vermuten, dass dies schwierig sein könnte – zumindest eine Schule Wale scheint Boote aktiv zu verfolgen. Das sei nach Ansicht der Wissenschaftler „höchst ungewöhnlich“ und „beunruhigend“.

Orcas sind neugierig, aber eigentlich nicht brutal gegenüber Booten

Ende Juli sahen sich die Skipper eines etwa 14 Meter langen Bootes plötzlich von neun Orcas umgeben. Die Meeressäuger rammten wiederholt das Boot und brachen das Ruder, woraufhin Autopilot und Motor ihre Funktion versagten. Nach etwa 90 Minuten – einschließlich Notruf und Vorbereitungen zur Aufgabe des Bootes – verschwanden die Killerwale von selbst.

Das manövrierunfähige Boot wurde später ins spanische Barbate geschleppt. Nach dem Auskranen im Hafen zeigte sich das Ausmaß der Schäden: Das untere Drittel vom Ruderblatt fehlte, die Oberfläche des restlichen Blattes war stark beschädigt. Außerdem zeugten Bissspuren am Rumpf von der Begegnung.

Erst eine Woche zuvor berichtete der Kapitän einer anderen Yacht von einer etwa 50-minütigen Orca-Begegnung, die „dem Steuermann fast die Schulter ausgekugelt“ hatte. Andere Segler berichteten von Orca-Begegnungen „wie mit dem Vorschlaghammer“, von gebrochenen Steuerkabeln und gewaltsamen Richtungsänderungen des Schiffs. Aber auch harmlose Begegnungen wurden berichtet.

Bislang ist nicht bekannt, ob alle Angriffe auf ein und dieselbe Gruppe Wale zurückzuführen ist. Dr. Ruth Esteban, die die Orcas von Gibraltar ausgiebig studiert hat, hält es jedoch für unwahrscheinlich, dass zwei Gruppen ein solch ungewöhnliches Verhalten zeigen würden, berichtet der britische „The Guardian“.

Fiberglas-Ruder auf dem Speiseplan gestresster Schwertwale?

Gewaltige Begegnungen zwischen Walen und Booten sind nicht unbekannt. Selbst wenn es zu schweren Schäden kam und Besatzungen ihre Schiffe aufgeben mussten, ignorierten die Meeressäuger die Menschen in Rettungsbooten. Es scheint, als ob die Boote den Zorn der Wale auf sich zogen.

Insgesamt leben nunmehr etwa 50 Orcas im Gebiet um Gibraltar – Tendenz sinkend. Die Meerenge ist eine der wichtigsten Schifffahrtsrouten – wobei die Anwesenheit der Wale noch mehr Schiffe anlockt. Der Walforscher Ezequiel Andréu Cazalla bezeichnet die Straße von Gibraltar sogar als „der schlimmste Lebensraum für Orcas“.

Auch Rocío Espada beobachtet mit dem meeresbiologischen Labor der Universität Sevilla die wandernde Orcapopulation in der Meerenge von Gibraltar seit Jahren. Sie war erstaunt. „Für Killerwale ist es verrückt, ein Stück aus einem Fiberglas-Ruder zu beißen“, sagt sie.

Ich habe gesehen, wie diese Orcas von Babys heranwuchsen. Ich kenne ihre Lebensgeschichte, [aber] ich habe noch nie Angriffe gesehen oder von Angriffen gehört“.

Orcas oder Schwertwale gehören zur Familie der Delfine und verhalten sich ähnlich wie ihre verspielten Verwandten. Der Beiname „Killerwal“ entstammt vermutlich der englischen Bezeichnung „killer whale“. Es sei normal, sagte Espada, dass Orcas Schiffen folgen. Selbst das Festhalten am Ruder ist nicht ungewöhnlich: „Manchmal beißen sie in das Ruder und lassen sich hinterher ziehen.“ Aber nie mit genug Kraft, um es zu brechen. Dieser Rammstoß, so Espada, könnte auf Stress hindeuten. 

Die Orcas kehren jedoch aus einem einzigen Grund in dieses lärmende, verschmutzte Gewässer zurück – um zu fressen. Ihre Lieblingsspeise: Blauflossen-Thunfisch. Der gilt allerdings auch unter Menschen als äußerst schmackhaft, sodass Fischer und Meeressäuger sich eher als Konkurrenten, denn als Nachbarn betrachten würden. So haben einige Orcas gelernt, Thunfisch von den Leinen der Fischer zu fressen.

„Angepisste“ Orcas verteidigen ihr Revier

Das komplexe Gleichgewicht zwischen Thunfisch, Orcas und Menschen bezeichnen Biologen als Verarmung. In den Augen der Fischer ist es Diebstahl, sodass einige unerlaubte Maßnahmen gegen die geschützten Tiere ergreifen. Sowohl das Wissen der Orcas, als auch die „Vergeltungsmaßnahmen“ der Fischer sind jedoch keine neuen Erscheinungen und erklären nicht die zunehmende Zahl und Intensität der Angriffe.

Jörn Selling, Marinebiologe der Stiftung für Informationen und Forschung über marine Säugetiere (FIRMM), sieht einen anderen Grund: COVID-19. Selling fasziniert die Vorstellung, dass Orcas sich zwei Monate nahezu völlig frei bewegen konnten. „Kein Großwildfischen, kein Whale Watching oder Segelboote, keine Schnellfähren, weniger Handelsschiffe“. Das sei „etwas, was die meisten [Wale] wahrscheinlich noch nie zuvor erlebt haben“. Die Rückkehr der Menschen und damit Lärm, Belästigung und Nahrungskonkurrenz könnte sie verärgert haben. Weiter sagte Selling:

Es gibt einen sehr unwissenschaftlichen Satz, den ich immer wieder von Forschern höre: ‚Angepisst‘.“

Ken Balcomb vom Center for Whale Research beobachtete bereits vor Jahren ein ähnliches Verhalten. „Ich habe gesehen, wie sie sich Boote anschauten, die Fische ziehen. Ich glaube, sie wissen, dass der Mensch irgendwie mit der Nahrungsknappheit zu tun hat. Und ich glaube, sie wissen, dass die Nahrungsknappheit ihnen körperliche Not bereitet und auch dazu führt, dass sie Babys verlieren“, zitiert „The Guardian“. Lori Marino, Neurowissenschaftlerin und Präsidentin des Whale Sanctuary Project, fügte hinzu:

Wenn wir darüber sprechen, ob Killerwale die […] Fähigkeit haben, absichtlich auf jemanden loszugehen, wütend zu sein oder wirklich zu wissen, was sie tun, dann müsste ich sagen, die Antwort ist ja. Sie verteidigen wahrscheinlich ein Territorium oder Ressourcen“.



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