Führt die EZB-Niedrigzinspolitik zu Eigentumseingriffen und Rechtsbrüchen?

Am 4. September 2019 war die Anhörung der künftigen EZB-Präsidentin Christine Lagarde im EU-Parlament. Experten kritisieren Lagardes EZB-Strategie. Dr. Markus Krall erwartet Rechtsbrüche seitens Lagarde zur Aufrechterhaltung des Euro. Negativzinsen seitens der EZB seien Eingriffe in die Eigentumsgarantie, sagt der Verfassungsrechtler Paul Kirchhof.
Epoch Times9. September 2019

„Wir setzten uns über alle Lehrbücher der Geldtheorie und Geldpolitik hinweg, weil wir die Eurozone wirklich retten wollten (…) Die Lehren aus 5.000 Jahren Geld- und Wirtschaftsgeschichte waren eindeutig. Der Euro war nie zu retten.“ Das ist der Formulierungsvorschlag von Dr. Markus Krall, Manager bei Goetzpartners und Autor zu Themen der Geldpolitik, für die künftige Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB) Christine Lagarde. Diesen Satz könne sie zur Verkündung bei dem – seiner Meinung nach – vorprogrammierten Scheitern des Euro verwenden, schreibt Krall in einem Gastbeitrag bei „Tichys Einblick“.

Lagarde will Draghis Kurs weiterführen

Lagarde äußerte in ihrer Parlamentsanhörung am 4. August 2019, dass sie den Kurs von ihrem Vorgänger Mario Draghi weiterführen wird. Weitere Zinssenkungen und Anleihenkäufe seien damit zu erwarten, so Marcel Fratzscher, Leiter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in einem Gastbeitrag im „Handelsblatt“.

Die Eurozone sei wirtschaftlichen Risiken ausgesetzt, betonte Lagarde in der Anhörung. Denke man nur an den Handelskrieg zwischen China und den USA und die Gefahr einer Rezession. Die Inflation liege unter zwei Prozent und sei damit zu niedrig. Lagarde rechnet für einen längeren Zeitraum mit einer expansiven Geldpolitik, weil dies die Konjunktur fördere. Wie lange, sagte sie aber nicht. Die bisherigen Maßnahmen seien wirkungsvoll. Und die Maßnahmen der Vergangenheit würde sie unter Anpassung an veränderte Rahmenbedingungen auch wieder anwenden. Lagarde ließ offen, ob sie zur Stützung der Wirtschaft auch zu drastischen geldpolitischen Mitteln bereit sei.

Zugleich verteidigte sie die bisherigen Maßnahmen der EZB wie Nullzinsstrategie und Anleihenkäufe. Dadurch seien seit 2013 elf Millionen Arbeitsplätzen geschaffen worden. Ohne diese Maßnahmen wäre die Wirtschaft um zwei Prozent schwächer und die Krise noch viel schlimmer gewesen.

Finanzstrategieberater Friedrich & Weik: EZB-Maßnahmen haben Krise nur vertagt

Hauptziel der EZB, die ihren Sitz in Frankfurt hat, ist die Preisstabilität. Anlässlich der Finanzkrise senkte die EZB den Leitzins in 2016 auf null Prozent und tätigte erhebliche Anleihenkäufe. Seit 2014 müssen Banken Negativzinsen zahlen, wenn sie Geld bei der EZB einlagern. Aktuell beträgt der Einlagensatz minus 0,4 Prozent. Dies soll Banken anregen, mehr Kredite zu vergeben. Die EZB meint, dass dadurch die Wirtschaft angekurbelt werde und die Inflation steige.

Einige Experten sind in diesem Punkt jedoch generell anderer Auffassung. Friedrich und Weik sind der Meinung, dass sich die EZB durch die Maßnahmen seit der Finanzkrise lediglich teuer Zeit erkauft und die Krise nach hinten verschoben habe. Auch Dr. Daniel Stelter, Ökonom, Autor und Blogger meint, Zinssenkungen bewirken nur eine zeitliche Verschiebung des Zusammenbruchs. Es sei ein „Teufelskreislauf“, aus dem man nicht mehr herauskomme.

Lagarde: Untergrenze der Negativzinsen noch nicht erreicht

Zugleich führte die expansive Geldpolitik dazu, dass Sparer zunehmend weniger Zinsen für das Gesparte bekommen und sogar teilweise Negativzinsen entrichten müssen. Lagarde kündigte an, dass es noch Spielraum für weitere Zinssenkungen gäbe. Wie lange diese Phase andauern würde, könne sie nicht sagen.

Markus Ferber (CSU-Politiker) forderte in der Anhörung:

Ich erwarte, dass Christine Lagarde Ideen wie Helikoptergeld oder einer Bargeldabschaffung eine glasklare Absage erteilt. Das sind akademische Debatten, die man in einem Think Tank führen kann. Wer künftig eine der wichtigsten Zentralbanken der Welt führt, muss sich von solchen Ideen distanzieren.“

Lagarde lehnte die Forderung ab. Die EZB werde geeignete Instrumente zur Stabilisierung der Preisstabilität anwenden. Laut Ferber habe die „ultraexpansive Geldpolitik“ unter Draghi im Ergebnis wenig gebracht. Gerade in Südeuropa wurden viele Probleme „verschleiert“. Die Ära der Negativzinsen müsse unter Lagarde „ein Ende finden.“

Bankenbranche warnt: „Die negativen Zinsen schaden der großen Mehrheit“

Viele stehen Lagardes Haltung kritisch gegenüber. Der Vorstand der Deutschen Bank, Christian Sewing, warnt laut der Nachrichtenagentur Reuters bei einer Bankenveranstaltung in Frankfurt:

Gesamtwirtschaftlich wird eine weitere Zinssenkung auf dem aktuellen Niveau verpuffen. Sie wird lediglich die Vermögenspreise weiter in die Höhe treiben und die Sparer weiter belasten.“

Eine „echte Wirtschaftskrise“ könne kaum noch abgewendet werden. Die Zentralbanken hätten fast keine Mittel mehr. Durch die Strafzinsen entstünde ein Wettbewerbsnachteil zu US-Banken. Dort lägen die Leitzinsen aktuell bei 2,00 bis 2,25 Prozent. Die Deutsche Bank müsse für negative Einlagenzinsen einen dreistelligen Millionenbetrag pro Jahr zahlen. Eine Hochrechnung auf vier Jahre ergäbe zwei Milliarden Euro.

Martin Zielke, Vorstand der Commerzbank, kritisiert: „Ich halte das auch für keine nachhaltige, verantwortungsvolle Politik.“

EU-Abgeordneter Roman Haider: Verdeckte Staatsfinanzierung mit Enteignung der Sparer

Roman Haider, EU-Abgeordneter und Mitglied der Freiheitlichen Partei Österreichs kritisiert:

Die Politik der verdeckten Staatsfinanzierung muss ein Ende haben. Das bedeutet verdeckte Staatsfinanzierung durch die EZB bei gleichzeitiger Enteignung der Sparer.“

Die EZB betreibe eine „verantwortungslose Politik“. Leidtragenden seien die Sparer. Die EZB solle sich auf ihre Kernaufgabe der Preiswertstabilität konzentrieren. Durch Überfluten der Staaten „mit billigstem Geld“ würde die Staatsverschuldung erhöht und „uns teuer zu stehen kommen.“

Paul Kirchof: Zentralbank greift in Eigentumsrechte ein

Negativzinsen stellen einen Eingriff in die Nutzbarkeit des Eigentums (also in das Grundrecht der Eigentumsgarantie) dar, so der Staats- und Verfassungsrechtler Paul Kirchof in einem Gastbeitrag bei der Welt. Eigentlich sollten doch folgende Erwartungen erfüllt werden:

Der Bürger erwartet, dass ein Parlament seine Vertragsfreiheit gewährleistet, eine Bank ihm Zinsen anbietet und die EZB den Wert seines Geldes sichert.“

Seit Jahrzehnten sei der Sparzins ein Indikator, auf den der Bürger vertrauten könne. Aber jetzt verliere das Sparvermögen seine Zinschance, da ein möglicher Zinsanspruch durch den Eingriff der EZB ausgeschlossen werde. Es blieben nur Investitionen in Risikokapital oder Immobilien. Beides komme für den „Normalsparer“ nicht in Frage. Denn er wolle sein Vermögen mehren und habe nur eine begrenzte Liquidität. Betroffen seien vor allem jene Bürger, die weitblickend für Krise und Alter vorsorgen.

Das verärgert viele Sparer und setzt sie auch in Besorgnis. Viele bezweifeln zwischenzeitlich die Glaubwürdigkeit der EZB.

Was will Lagarde anders machen?

Lagarde will deshalb die Wogen glätten: Sie werde mit einer breiten Öffentlichkeit kommunizieren – nicht nur mit Experten, sondern mit allen. Die EZB müsse die Sorgen der Menschen beachten. Draghi hingegen kommunizierte nur mit der Fachwelt. Vor allem werde sie besser erklären, warum sie was sie tue, damit die Menschen die Entscheidungen der EZB besser verstehen. Sie betont dabei Gleichheit von Nationalität, Geschlecht und sozialem Hintergrunds. Die EZB müsse die Menschen verstehen, man müsse nicht notwendigerweise auf sie hören. Dialog sei ein zentraler Bestandteil der Politikgestaltung.

Und gerade hier habe Lagarde Fähigkeiten, so Fratzscher. Er sieht Lagarde als Kommunikatorin. Sie könne gut mit allen kommunizieren – mit Finanzmärkten, Politikern und Bürgern. Glaubwürdigkeit der EZB zu wahren und ihre Unabhängigkeit zu schützen – das sei die Aufgabe der Zukunft.

Mehr Grün in der EZB

Zugleich betonte Lagarde, dass sie Klimaschutz stärker einbeziehen wolle. Wie dies im Detail aussehen soll, äußerte sie jedoch nicht. Sie wolle mögliche Instrumente prüfen. Die Entwicklung grüner Finanzmärkte sei noch nicht weit genug vorangeschritten.

Sven Giegold (Bündnis 90/Die Grünen) hält das für sinnvoll. Sie habe verstanden, „dass Ökonomie und Ökologie zusammengehen“ müssten. Im Falle eines Klimakollaps, wäre das Finanzsystem ja auch nicht mehr stabil.

Motiviert die Vorgehensweise der EZB die Staaten eigentlich zur Krisenbewältigung?

Lagarde betonte jedoch auch, dass die EZB Unterstützung benötige. Staaten, die die Bedingungen hätten, müssten mit Strukturreformen mithelfen. In der Vergangenheit hat der IWF mehrfach die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse beanstandet.

Fratzscher meint, Regierungen müssten nationale Souveränität in der Wirtschafts- und Finanzpolitik zu Gunsten einer stärkeren europäischen Souveränität abgeben. Die EZB habe ihre geldpolitische Dominanz durch die Finanzpolitik der Staaten eingebüßt.

Haider und Kirchhof haben eine systematisch ganz andere Einschätzung. Haider meint, dass Staaten demotiviert würden, Strukturreformen durchzuführen oder nachhaltige Haushaltspolitik zu betreiben.

Kirchof sieht dies ähnlich. Die EZB ermuntere die Staaten, nichts zu tun – er nennt es „Entsolidarisierung“. Geld muss normalerweise durch Anstrengung erworben werden. Beide Seiten müssen bei einem Vertrag etwas tun. Wenn man Geld unverdient bekomme, werde man die einst auferlegten Auflagen nicht erfüllen und diese später sogar bestreiten und sogar dagegen kämpfen. Langfristiges Geld in Milliardenhöhe ohne Gegenleistung missachte „die Idee des freien Erwerbs und die Gleichheit der Erwerbschancen.“

Kirchhof: Bei einer Inflation von 2 Prozent stellt die EZB ihren Auftrag in Frage

Preisstabilität herstellen – dass die EZB zu dieser Aufgabe zurückkehren sollte, darüber sind sich Experten weitgehend einig. Auch Lagarde will das tun. Aber im Detail scheiden sich hier doch die Geister. Lagarde strebt eine Inflation von 2 Prozent an, notfalls über eine kurzfristige Steigerung von über 2 Prozent.

Die EZB erfülle das Mandat der Preisstabilität schon seit fast sechs Jahren nicht mehr, so Fratzscher. Sie müsse die Strategie der Geldpolitik neu überdenken. Sie könnte die Preisstabilität flexibler gestalten, zum Beispiel durch ein „breiteres und symmetrisches Band für das Inflationsziel und durch einen längeren Zeithorizont.“

Kirchhof hingegen meint, dass die EZB mit einer Inflation von zwei Prozent „ihren eigenen Auftrag infrage“ stelle. Der Auftrag sei: Wert des Geldes sichern. Nicht aber: Vergünstigungen für Schuldner. Und mit einer Nullzinspolitik stelle sie zudem noch „ihre Instrumentarien in Frage“. Auf den Märkten der „Kernwirtschaftsgüter“ wie Energie, Immobilien und Aktien sei die Inflation höher. Aber bei Einkäufen des normalen Verbrauchers sei die Inflation geringer.

Durch die verteuerten Kernwirtschaftsgüter ergäben sich außerdem erhebliche Auswirkungen für den normalen Sparer. Ein Grundstück wäre aufgrund der steigenden Preise in Ballungszentren für den Normalverdiener gar nicht mehr bezahlbar. Ein „Famliengut“, eine „wesentliche Grundlage bürgerlicher Sesshaftigkeit und Zugehörigkeit“ gehe verloren.

Und was sagt Lagarde zum Euro?

Bei der Anhörung wurde auch das Zitat Draghis aus 2012 angesprochen. Draghi sagte damals, „whatever it takes“, er werde alles Notwendige tun, um den Euro zu retten. Lagarde sagte dazu:

Ich hoffe, dass ich das nie sagen muss.“

Krall stellte bereits im Juli 2019 eine Verbindung zwischen Draghis Zitat und einem Zitat Lagardes zu Beginn ihrer Amtszeit beim IWF her. Es ging um die Rettung von Staaten zu Beginn der Eurokrise. Sie sagte:

Wir verletzten alle Rechtsvorschriften, weil wir einig auftreten und wirklich die Eurozone retten wollten (…) Der Vertrag von Lissabon war eindeutig. Keine Rettungsaktionen.“

Das Zitat Lagardes präzisiere das Zitat Draghis. Krall zufolge könne man den Euro ohnehin nicht retten, nur seinen Untergang hinauszögern. Wenn man die beiden Zitate kombiniere, werde ersichtlich, dass ein „Rechtsbruch nötig war und bleibt“. Nur so könne die „eine funktionierende Marktwirtschaft vorgaukelnde Scheinwelt des Eurosystems noch eine Weile aufrecht“ erhalten werden.

Weitere Maßnahmen in EZB-Sitzung am 11./12. September zu erwarten

Insider rechnen mit einem „Maßnahmenbündel“ bei dem nächsten EZB-Treffen vom 11. bis 12. September. Das berichtet die Nachrichtenagentur Reuters. Neue Anleihenkäufe, eine Senkung des Einlagensatzes (derzeit Minus 0,4 Prozent) und Erleichterungen für Banken seien geplant. Lagarde könne sich nicht zu dem Treffen äußern, da sie noch nicht im Dienst sei.

Dr. Markus Krall: EZB ist eine „fehlkonstruierte Vermögensvernichtungsmaschine“

Krall erklärt:

Die Politik hat das Bankensystem durch Ertragsverfall und Zombifizierung soweit ausgehöhlt, dass sein Kollaps bevorsteht.“

Er erwarte keine fundamentalen Veränderungen durch Lagarde. Aber nur wer „Dinge beim Namen nenne, werde bestehen“. Wir befänden uns in der größten „moralischen Krise des Kontinents seit 1945“. Er vermutet, dass der finale Kollaps erst komme, wenn wirklich alle Maßnahmen zur Anwendung gekommen seien, da Lagarde entsprechendes Handwerkszeug habe – wie „Druckerpresse, Helikoptergeld und Umverteilung von Nord nach Süd. (bm)



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