Insolvenzwelle erfasst Deutschland: Firmenpleiten um 50 Prozent gestiegen
Vor Kurzem schickte der „Pensions-Sicherungs-Verein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (PSVaG)“ seinen Mitgliedern ein Rundschreiben. In diesem Schreiben informierte der Verein über das aktuelle Insolvenz- und Kapitalmarktgeschehen, so wie über den möglichen Beitragssatz für 2023. Der Journalist Henning Rosenbusch teilte Auszüge dieses Schreibens auf seinem Twitter-Account.
Der Pensionssicherungsverein (PSV) meldet 𝟓𝟎 𝐏𝐫𝐨𝐳𝐞𝐧𝐭 (!) 𝐦𝐞𝐡𝐫 𝐈𝐧𝐬𝐨𝐥𝐯𝐞𝐧𝐳𝐞𝐧 𝐚𝐥𝐬 𝐢𝐦 𝐕𝐨𝐫𝐣𝐚𝐡𝐫.
Klima- (Wirtschafts)minister wird das wahrscheinlich nicht sonderlich beeindrucken. Er ist seit Monaten ausschließlich mit seinem Heizungsgesetz… pic.twitter.com/SzVg2qO1ic
— henning rosenbusch (@rosenbusch_) July 13, 2023
Ein Satz in diesem Schreiben lässt aufhorchen: „Das bisherige Schadensgeschehen (Insolvenzen) des Jahres 2023 liegt etwa 50 Prozent über dem sehr niedrigen Niveau des Vorjahres.“
Im Juni höchster Wert seit sieben Jahren
Tatsächlich sind die Zahlen der Firmenpleiten alleine im Juni mitten in der Konjunkturflaute auf den höchsten Wert seit sieben Jahren gestiegen. Laut Angaben des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) sind im Juni insgesamt 1.050 Insolvenzen von Personen- und Kapitalgesellschaften registriert worden. Das seien 16 Prozent mehr als im Mai und 48 Prozent mehr als im Juni 2022. Damit sei der höchste Wert seit Juni 2016 gemessen worden.
Alle zugrundeliegenden Daten als Excel-Download findet man unter diesem Link.
Die deutsche Wirtschaft stecke derzeit in einer Rezession und wird nach Prognosen der meisten Institute 2023 weiter schrumpfen.
Das Wirtschaftsinstitut in Halle berechnet die Zahl der von Insolvenz betroffenen Arbeitsplätze nicht insgesamt, sondern mit Blick auf die größten zehn Prozent der insolventen Unternehmen. Die Analyse des IWH kommt in diesem Segment auf etwa 15.400 Arbeitsplätze, die im Juni betroffen waren. Das ist der höchste Wert seit August 2020.
Die Zahl der betroffenen Beschäftigten in den größten zehn Prozent der Unternehmen liegt damit, nach IWH-Angaben, im Juni 40 Prozent über dem Durchschnittswert für den Monat Juni in den Jahren 2016 bis 2019. Im ersten Halbjahr 2023 waren mit 64.000 Beschäftigten ein Drittel mehr Menschen in großen Unternehmen von Insolvenz betroffen als im Mittel der Jahre 2016 bis 2019. „Das erste Halbjahr 2023 war vergleichsweise stark von Insolvenzen betroffen“, fasst Steffen Müller, Abteilungsleiter für Strukturwandel und Produktivität sowie Insolvenzforschung am IWH, das Ergebnis seiner Analyse bei der Vorstellung zusammen.
IWH erwartet leichten Rückgang der Insolvenzzahlen
Für den Anstieg der Zahlen im Juni hat das Institut eine Erklärung und macht Hoffnungen, dass sich die Zahlen zukünftig verbessern könnten. So sei im Juni die große Anzahl Arbeitstage für den Anstieg verantwortlich. Dadurch seien mehr Meldungen bei den zuständigen Amtsgerichten möglich gewesen als noch im Mai, der traditionell viele Feiertage hat. „Die Frühindikatoren des IWH lassen für die kommenden Monate wieder einen leichten Rückgang der Insolvenzzahlen erwarten“, so Steffen Müller.
Für seine Analysen wertet das IWH die aktuellen Insolvenzbekanntmachungen der deutschen Registergerichte aus. Diese werden mit Bilanzkennzahlen betroffener Unternehmen verknüpft. Damit könnten deutlich schneller als die amtliche Statistik belastbare Befunde zum bundesweiten Insolvenzgeschehen für Personen- und Kapitalgesellschaften geliefert werden, so das Institut.
Schlechtes Konsumklima verschärft Situation
Ende Juni veröffentlichte auch die Wirtschaftsauskunftei Creditreform Zahlen zu Unternehmensinsolvenzen. Demnach registrierte das Unternehmen in den ersten sechs Monaten dieses Jahres insgesamt 8.400 Firmenpleiten.
Das sind 16,2 Prozent mehr als im ersten Halbjahr 2022 (7.230 Fälle). Eine höhere prozentuale Zunahme gab es im Vergleichszeitraum zuletzt 2002. „Die enormen Kostenbelastungen durch zu hohe Energie- und Materialpreise zeigen Wirkung. Nach Jahren sinkender Insolvenzzahlen hat sich der Trend gedreht“, sagt Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Creditreform Wirtschaftsforschung.
Verschärft habe sich der Gegenwind auch durch das schlechte Konsumklima. „Die Inflation verunsichert Verbraucher und bremst die Kauflaune deutlich“, so Hantzsch weiter. „Für viele Betriebe werden die großzügig verteilten Staatsgelder der Vergangenheit jetzt zum Bumerang. Die Rückzahlungen der Hilfen und teils verschleppte Anpassungen des Geschäftsmodells führen bei dauerhaft steigenden Zinsen in die finanzielle und wirtschaftliche Sackgasse“, erläutert der Experte.
Die Untersuchung der Creditreform Wirtschaftsforschung belegt eine deutlich gestiegene Zahl an Insolvenzen von mittleren und großen Unternehmen. Die Fallzahlen bei Großunternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern lag um rund 67 Prozent über dem Vorjahreswert. Bei Unternehmen mittlerer Größe mit 51 bis 250 Beschäftigten nahmen die Insolvenzen sogar um 133,3 Prozent zu.
Zahl der Zahlungsausfälle könnte sich beschleunigen
Der Trend der ansteigenden Insolvenzzahlen, so die Schätzung, dürfte sich in diesem Jahr fortsetzen. „Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Unternehmen bleiben durch die Inflation und auch durch die Zinswende sehr angespannt. Die Zahl der Zahlungsausfälle könnte sich in den kommenden Monaten sogar noch beschleunigen“, glaubt Hantzsch. Damit ist seine Prognose deutlich pessimistischer als die des IWH.
Die aktuelle Creditreform Studie zeigt einen deutlich negativen Einfluss von steigenden Zinsen und schwacher Ertragslage auf das Insolvenzgeschehen. Für eine zunehmende Anzahl an Unternehmen ist die Schuldentragfähigkeit schon unter den aktuellen Bedingungen nicht mehr gegeben. Jede weitere Erhöhung des Zinsniveaus sei für die Unternehmensstabilität in Deutschland problematisch. Zudem werden Erträge und preisbereinigte Umsätze der deutschen Unternehmen 2023 wohl stagnieren, was die Bewältigung steigender Zinslasten schwierig mache.
In den vergangenen Monaten hatten insbesondere viele Schuhhändler wie Görtz, Reno, die HR-Handelsgruppe, aber auch die große Kaufhauskette Galeria Karstadt Kaufhof sowie der Modehändler Peek & Cloppenburg Insolvenzanträge gestellt.
Zuletzt traf es aber auch Traditionsunternehmen wie Weck. Die Firma für Einkochgläser musste nach mehr als 123 Jahren Insolvenz anmelden.
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