Forscher: Müssen dafür sorgen, dass Impfungen wieder akzeptiert werden

Die WHO verzeichnete jüngst die niedrigste Zahl routinemäßiger Kinderimpfungen seit Jahrzehnten, mögliche Gründe seien Einschränkungen während Corona. Eine Studie mit 17.000 Teilnehmern aus acht Ländern lässt anderes vermuten.
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Das Vertrauen in Impfungen ist teilweise erheblich gesunken. (Symbolbild)Foto: iStock
Von 15. Juni 2023

In den vergangenen zwei Jahren erhielten sechs Millionen Kinder in Afrika weniger Routineimpfungen gegen Krankheiten wie Tetanus, Polio, Diphtherie und Masern. Das ist der größte anhaltende Rückgang bei der Inanspruchnahme von Routineimpfungen im Kindesalter seit drei Jahrzehnten. In diesem Zusammenhang warnen Weltgesundheitsorganisation (WHO) und das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF), dass zunehmende Ausbrüche die jahrzehntelangen Fortschritte bei der Bekämpfung vermeidbarer Krankheiten zu vernichten drohen.

Bislang ging man davon aus, dass der Rückgang auf die Unterbrechung der Impfprogramme durch die Corona-Krise zurückzuführen ist. Eine Studie mit 17.000 Personen aus acht Ländern deutet jedoch darauf hin, dass es auch andere mögliche Gründe geben könnte: Demnach ist das Vertrauen der Bevölkerung in Impfstoffe in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara seit der COVID-19-Pandemie stark gesunken.

Frühwarnzeichen für breiten Vertrauensverlust

Zu diesem Schluss kommen Wissenschaftler der London School of Hygiene & Tropical Medicine (LSHTM) und der Afrikanischen Zentren für Seuchenkontrolle und -prävention (Africa CDC). Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie Anfang Juni in der Fachzeitschrift „Human Vaccines & Immunotherapeutics“.

„Unsere Studie zeichnet ein besorgniserregendes Bild des sinkenden Vertrauens in Impfstoffe in vielen subnationalen Regionen in Afrika südlich der Sahara“, erklärt der Hauptautor der Studie, Dr. Alex de Figueiredo. Insbesondere – aber nicht ausschließlich – in der Demokratischen Republik Kongo seien die Vertrauensverluste besonders groß.

Die Ergebnisse könnten ein Frühwarnzeichen für einen breiteren Vertrauensverlust in Impfstoffe sein. Ein regionaler Vertrauensverlust, wie er in dieser Studie festgestellt wurde, könne zu einer Häufung von nicht geimpften Personen führen. Dies wiederum könne sich negativ auf die „Herdenimmunität“ auswirken, so die Autoren. Andererseits tragen genesene Personen wiederum zur Verbesserung der Situation bei. Bezüglich COVID-19 war diese Personengruppe tendenziell sogar besser und länger geschützt als Personen mit einer, zwei oder mehr Impfungen. Auch gegenüber diesen Wirkstoffen zeichnete sich zwischen 2020 und 2022 ein Meinungswandel ab.

Vertrauen um bis zu 44 Prozentpunkte gesunken

Für die Untersuchung führten die Forscher 2020 und 2022 persönliche Befragungen bei 17.187 Männern und Frauen in der Demokratischen Republik Kongo, Elfenbeinküste, Kenia, Niger, Nigeria, Senegal, Südafrika und Uganda durch.

Die Befragten sollten dabei angeben, wie stark sie Aussagen wie „Impfstoffe sind für alle Altersgruppen wichtig“, „Impfstoffe sind für Kinder wichtig“ und „Impfstoffe sind sicher“ zustimmen. Sie wurden auch speziell zu COVID-19-Impfstoffen befragt und sollten angeben, wie sehr sie der Meinung sind, dass COVID-19-Impfstoffe wichtig, sicher und wirksam sind – sowohl im Jahr 2020 vor ihrer Entwicklung als auch im Jahr 2022 nach ihrer Einführung.

Die Ergebnisse zeigen, dass die Meinung, Impfstoffe seien für Kinder wichtig, in allen acht Ländern zwischen 2020 und 2022 abnahm. In der Demokratischen Republik Kongo zeigte sich der Rückgang der Zustimmung von anfangs 83,1 auf 63,2 Prozent besonders deutlich.

UNICEF stellte unabhängig davon zwischen 2019 und 2021 einen Vertrauensverlust in 52 von 55 untersuchten Ländern fest. Die Organisation der Vereinten Nationen geht dabei von Verlusten von bis zu 44 Prozentpunkten (PP) aus. Das entspricht einer Halbierung derjenigen, die Impfungen und Impfstoffen vertrauen. Deutschland steht mit einem Rückgang um acht Prozentpunkte auf 81 Prozent verhältnismäßig gut da. Eine Steigerung des Vertrauens weist der UNICEF-Bericht für China, Mexiko und Indien aus.

Impfstoffe weniger wichtig, Wirksamkeit und Sicherheit fraglich

In Afrika nahm indes auch die wahrgenommene Wichtigkeit von Impfungen im Allgemeinen mehrheitlich (stark) ab, stellten die Forscher um Dr. de Figueiredo fest. Lediglich im Niger und Senegal empfanden die Befragten Impfungen für alle Altersgruppen etwas wichtiger als vor Corona.

Das Vertrauen in Corona-Impfungen stieg indes nur in der Elfenbeinküste, während dort gleichzeitig Impfungen im Allgemeinen sowohl für alle Altersgruppen (-5 PP) als auch für Kinder (-10 PP) 2022 als weniger wichtig angesehen wurden.

In der Demokratischen Republik Kongo, Kenia, Niger, Senegal und Nigeria hielten die Menschen die COVID-19-Intervention im Jahr 2022 zudem für weniger wirksam als sie es im Jahr 2020 erwartet hatten. In Südafrika war der Rückgang zwar beobachtbar, aber nicht signifikant.

Ergebnisse der Umfragen zur Wichtigkeit, Sicherheit und Wirksamkeit von Impfstoffen in acht afrikanischen Ländern. Foto: de Figueiredo et al. (2023), (CC BY-NC-ND 4.0)

Während 2022 vor allem die über 60-Jährigen Impfungen im Allgemeinen sicherer, wirksamer und wichtiger für Kinder einschätzen, ließen sich derartige Zusammenhänge insbesondere unter jüngeren Befragten nicht erkennen. Keine Verbindungen konnten die Forscher ebenfalls bezüglich Geschlecht, Bildung, Beschäftigungsstatus oder Religionszugehörigkeit feststellen.

„Widerstandsfähigkeit des Immunisierungssystems wiederherstellen“

Heidi Larson, Gründungsdirektorin des Projekts zum Vertrauen in Impfungen an der LSHTM, sieht in den Ergebnissen die Chance, frühzeitig einzugreifen und gegenzusteuern. Sie sagte, „Frühwarnsignale für Vertrauensverluste, wie sie in dieser Studie festgestellt wurden, können bei anderen Epidemien, Pandemien oder anderen aufkommenden Krisen Zeit zum Reagieren geben“.

Die „Überwachung des Vertrauens“ könne zudem klarere Signale für die Regionen und Gruppen liefern, die mit Vertrauensverlusten konfrontiert sind, und „politische Entscheidungsträger und Interessengruppen besser auf mögliche Verluste bei der Impfstoffaufnahme vorbereiten.“

„In Anbetracht des weltweiten Rückgangs der Routineimpfungen in den letzten zwei Jahren könnte sich der Vertrauensverlust in die Impfstoffe als äußerst störend erweisen“, ergänzte Dr. de Figueiredo. „Und das“, so der Londoner Mathematiker weiter, „zu einem Zeitpunkt, an dem konzertierte Anstrengungen unternommen werden, um dem Rückgang der Routineimpfungen nach der Pandemie entgegenzuwirken.“

Daher sei eine gründliche Untersuchung erforderlich, um herauszufinden, ob der Vertrauensverlust in COVID-19-Impfstoffe Misstrauen gegenüber anderen Impfprogrammen auslöst, so die Autoren. Dr. de Figueiredo sagte dazu:

„Wir müssen verstehen, wie sich die COVID-19-Pandemie auf das Vertrauen in Routineimpfprogramme auswirkt, nicht nur in Afrika, sondern weltweit. […] Wenn wir verstehen, welche Rolle die COVID-19-Pandemie und die damit verbundenen Maßnahmen für das Vertrauen in Impfstoffe im Allgemeinen gespielt haben, können wir die Impfstrategien nach der COVID-Pandemie anpassen und dazu beitragen, die Widerstandsfähigkeit des Immunisierungssystems wiederherzustellen.“

Mit anderen Worten, man will dafür sorgen, dass vorhandene und kommende Impfprogramme (wieder) stärker akzeptiert werden.



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