Berlin-Demo: „Und plötzlich schlägt dir der blanke Hass entgegen“ – Eine Teilnehmerin berichtet

„Die Medien haben ganze Arbeit geleistet“, berichtete heute eine alleinerziehende Mutter. Die Corona-Maßnahmen haben tiefe Spuren in ihrer kleinen Familie hinterlassen. Aber der blanke Hass, der ihr jetzt an ihrem Wohnort entgegenschlägt, sprengt den Rahmen. Warum? Sie hat es gewagt am 1. August nach Berlin zur Demo „Das Ende der Pandemie – Tag der Freiheit“ zu fahren.
Von 5. August 2020

Anfangs schien es alles nachvollziehbar. Wenn man sich vor einer von der WHO ausgerufenen Corona-Pandemie schützen will, vertraut ein gutgläubiger Bürger den Maßnahmen der Politiker und folgt ihrem Aufruf. In Mecklenburg-Vorpommern allerdings ticken die Uhren anders. Hier hat die Corona-Pandemie keine gravierenden Spuren hinterlassen, jedenfalls nicht in den Zahlen der Infizierten. Innerhalb der Wirtschaft und vor allem am Verhalten der Menschen hingegen ist der Einfluss deutlich spürbar. Das bekam nun auch eine zweifache Mutter zu spüren. Sie möchte anonym bleiben. In diesem Bericht nennen wir sie Katja.

Als Mecklenburg-Vorpommern in den Lockdown ging, zeigte sich Katja noch optimistisch. Arbeiten im Homeoffice, für ihre Kinder da sein. Das fühlte sich gut an. Schon bald holte die Realität die Mutter von einem drei- und einem zehnjährigen Kind ein. Die Umschulung, in der sie sich befand, zog die Weiterbildung trotz Corona durch. Das bedeutet acht Stunden Online-Schulung, während Katja die beiden Kinder betreuen und für ihren älteren Sohn als Hobbylehrerin fungieren musste.

Nach kurzer Zeit herrschte in ihrem Haushalt „das absolute Chaos“. Nicht nur, dass sie die Hausarbeit kaum bewältigen konnte, auch in der Psyche der Kinder saß der Schock über den Lockdown tief. Abgesperrte Spielplätze, Menschen mit Gesichtsmasken und dann noch die Nachrichten im Radio – man wollte sich ja informieren. Für Katjas zehnjährigen Sohn war das zu viel. „Jede Nacht hat er sich in den Schlaf geweint“, erklärt Katja und fügt hinzu. „Er dachte, wir würden sterben.“

Katja gehört in Anbetracht ihrer Krankheitsgeschichte eigentlich in die vom Robert Koch-Institut bestimmte Risikogruppe. Sie ist selbst Asthmatikerin. Bei jeder Grippewelle hat sie zu kämpfen, damit sie keine Lungenentzündung bekommt. So nahm sie auch das neuartige Virus anfangs durchaus ernst. Aber nach zwei Wochen Lockdown war Katja am Ende ihrer Kräfte, ausgebrannt. Sie hatte Angst, das alles nicht mehr bewältigen zu können. Echte Angst vor dem Virus hatte sie nicht.

Denn in Mecklenburg-Vorpommern war die Situation anders als in anderen Gebieten. Ab und zu gab es einmal einen Infizierten, jedoch es schien nichts Dramatisches dabei.

Als Katja schließlich den Aufruf für die Berliner Demo sah, spürte sie, dass sie dorthin musste. Dabei hatte sie sich bislang nicht dafür interessiert. Auch die Demonstrationen in Stuttgart beispielsweise hatte sie nur am Rande wahrgenommen. Doch nun konnte sie einfach nicht anders. Sie nahm ihre Kräfte zusammen und fuhr nach Berlin.

Gänsehautfeeling nach langer Isolation

Die dortigen Begegnungen trieben ihr Tränen in die Augen. Nach einer langen Zeit der Isolation gab es Menschen, mit denen sie ins Gespräch kam. „Das war wie in eine andere Welt, in die man eingetaucht ist“, berichtet sie von dem Gänsehautgefühl in Berlin. Nach ihrer Einschätzung waren „deutlich mehr als 20.000 Menschen“ vor Ort. Die Stimmung sei wie in den 1990er Jahren gewesen. Um ihren Sohn auf dem Laufenden zu halten, teilte sie ihren Status von der Demo über WhatsApp und dachte sich nichts dabei.

Als Katja wieder nach Hause kam, holte die Realität sie schnell ein. Am Montagmorgen kam sie etwas später zu ihrer Umschulungsmaßnahme, weil sie ihr Kind noch zur Schule gebracht hatte.

Schon als sie das Gebäude betrat, nahm der Chef – bedeckt mit Gesichtsmaske – sie zur Seite. „Mein Magen hat sich plötzlich zusammengezogen“, beschreibt Katja die Situation. Sie wurde stigmatisiert und ausgegrenzt, weil sie an der Berliner Demo teilgenommen hatte. Ab sofort wurde sie nicht mehr als Umschülerin, sondern als potenzielle Gefahr gesehen.

Ausschluss aus der Umschulung

Der Mann drückte Katja ein Schreiben in die Hand. Darin heißt es:

„Da Sie am 1.8.2020 nachweislich an einer Veranstaltung teilgenommen haben (Demonstration gegen die Corona-Auflagen in Berlin), die von der Polizei auf Grund von Verstößen gegen die Corona-Abstandsregeln aufgelöst worden ist, besteht begründeter Anlass, dass Sie sich mit Corona infiziert haben könnten und Gefahr für die Mitarbeiter …  sowie die Teilnehmer Ihres Umschulungskurses besteht.“

Die Mitarbeiter und Umschüler seien „erheblich verunsichert“ und wollten nach mündlicher Aussage des Mannes nichts mehr mit Katja zu tun haben. Allerdings äußerte sich keiner ihr gegenüber – weder positiv, noch negativ.

Da man dafür verantwortlich sei, dass die laufende Umschulung nicht zum „neuen Corona-Hotspot“ werde, dürfe Katja bis zum 14. August nicht an der Umschulung teilnehmen.

„Da Sie sich selbst und bewusst in diese Situation gebracht haben, sind Sie für das Nacharbeiten der Inhalte auch selbst verantwortlich“, heißt es weiter in dem Schreiben. Die Bundesagentur für Arbeit, die Träger der Maßnahme ist, werde informiert.

Alternativ könne Katja sich „freiwillig testen lassen“ und mit Vorlage eines negativen Testergebnisses wieder regulär an der Umschulung teilnehmen, so der Wortlaut des Schreibens. Mündlich ist die Alleinerziehende jedoch nach ihren Angaben darauf hingewiesen worden, dass sie mindestens zwei negative Tests vorweisen müsse.

Nachrichten verändern das Umfeld

Und auch in der Nachbarschaft hat man kein Verständnis für Katjas Teilnahme an der Demo. Sie wird von Nachbarn angefeindet: „Wenn ein zweiter Lockdown kommt, bist du schuld!“ Aufgrund der Berichterstattung in den Mainstream-Medien schlägt ihr „jetzt plötzlich der blanke Hass entgegen“.

Ob sich Katja während der Demonstration an die Hygiene-Regeln gehalten habe, den Mund-Nasen-Schutz getragen und Abstand aufgrund ihrer Asthma-Erkrankung eingehalten hat, fragt niemand. Pauschal gilt sie als Virenschleuder.

„Die Medien haben wirklich ganze Arbeit geleistet“, betont Katja. Die ganzen Äußerungen der Politiker, die die Demonstranten im Nachhinein kritisieren oder – wie SPD-Parteivorsitzende Saskia Esken – als „Covidioten“ betiteln, hätten die Menschen sehr stark beeinflusst und vor allem verängstigt.

Katja kann die Welt nicht mehr verstehen. Sie ist müde und hat momentan keine Kraft, sich gegen diese Maßnahmen zu wehren. Sie kann sich auch nicht an die Bundesagentur für Arbeit wenden und lässt alles auf sich zukommen.

Mecklenburg-Vorpommern in Zahlen

Während sich in anderen Bundesländern die Gesamtzahl der Infizierten in einem fünfstelligen Bereich bewegen, zählt Mecklenburg-Vorpommern insgesamt 889 registrierte Fälle. Aktuell (5. August) sind  75 Infizierte gemeldet (889 Infizierte abzgl. 794 Genesenen abzgl. 20 verstorbene Infizierte) auf rund 1,6 Millionen Menschen.

Die Anzahl der Verstorbenen ist laut RKI-Berichten seit dem 12. Mai konstant bei 20 Todesfällen geblieben, mit anderen Worten: seit fast drei Monaten ist niemand an der von der WHO ausgerufenen Pandemie in Mecklenburg-Vorpommern gestorben.

Von 6.507 Kindern, die mit akuten Erkältungssymptomen in 54 Kinderarztpraxen behandelt wurden, wurden 2.645 auf COVID-19 getestet. Lediglich zwei davon wurden in der 30. Kalenderwoche positiv getestet. Hier gibt’s es den Bericht des Landesgesundheitsamtes zum Download: LAGuS_COVID-19_Pädiater_Wochenbericht_KW31

Zum Vergleich: Die Zahl der gemeldeten Influenza-Fälle im Jahr 2020 beträgt bis zur 24. Kalenderwoche, die mit dem 14. Juni endete, 3.671 Patienten. Im Jahr zuvor waren es im Vergleichszeitraum noch 6.733 Menschen.

Auf vielfachen Wunsch veröffentlichen wir hier das bereits im Text verlinkte Schreiben, das Katja überreicht wurde.

Aufforderungsscheiben an „Katja“. Foto: privat



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