Antarktis-Gletscher schrumpfen und wachsen mit Ebbe und Flut
Die meisten Gletscher der Antarktis fließen direkt in den Ozean und bilden große schwimmende Schelfeisflächen. Dieser Jahrzehnte und Jahrhunderte währende Prozess führt – anders als oft kommuniziert – zu einem stetigen Wachstum des Eises an den Polen.
Wie stabil die Gletscher sind, hängt dabei auch von der sogenannten Grundlinie ab, jenem Punkt, an dem ein Gletscher sich vom Land löst und zu schwimmen beginnt. Neue Messungen zeigen indes, dass dies kein fester Punkt ist. Im Gegenteil: Die Grenze zwischen Festlandgletscher und schwimmendem Schelfeis gleitet mit beachtlicher Geschwindigkeit teils kilometerweit hin und her.
Meeresspiegel beeinflusst Eis, Eis beeinflusst Meeresspiegel
„Normalerweise denken wir, dass Eisschildveränderungen sehr langsam sind und sich über Jahrzehnte, Jahrhunderte oder sogar Jahrtausende hinziehen. Unsere Ergebnisse zeigen jedoch, dass es einige Prozesse gibt, die innerhalb von Minuten bis Stunden ablaufen und erhebliche Auswirkungen haben können“, erklärte Bryony Freer, Glaziologin der British Antarctic Survey und der Universität Leeds.
Im Rahmen eines Forschungsaufenthalts in den USA untersuchte sie die Schlüsselregion, in der das antarktische Landeis in den umgebenden Ozean überläuft. Dabei erkannte sie, dass der zusätzliche Auftrieb bei steigender Flut einen größeren Teil des Schelfeises vom Meeresboden abhebt und sich die Grundlinie vorübergehend landeinwärts bewegt. Bei Ebbe kehrt sie in ihre seewärtige Position zurück.
Bildlich gesprochen schrumpft die Fläche des antarktischen Festlandeises bei Flut. Senkt sich das Eis bei Ebbe wieder, wächst das Festlandeis auf seine vorherige Größe. Streng genommen passiert mit dem Schelfeis der umgekehrte Prozess: Wachstum bei Flut und Rückgang bei Ebbe.
In Freers Studie heißt es dazu, die Beobachtung und das Verständnis der Dynamik dieser Region könnten helfen, die Reaktion der Antarktis auf den Klimawandel und damit den Anstieg des globalen Meeresspiegels vorherzusagen.
Gletscherwanderung in der Antarktis mit bis zu 30 km/h
Frühere Messungen solcher Grundlinienbewegungen waren auf kleine Regionen und kurze Zeiträume beschränkt. In Vorbereitung der Ende September in der Fachzeitschrift „The Cryosphere“ erschienenen Arbeit haben die Forscher ein großes Stück des Filchner-Ronne-Schelfeises fast fünf Jahre lang beobachtet.
Dazu nutzten Freer und Kollegen vor allem Daten des ICESat-2-Satelliten. Mit dessen Hilfe konnten sie die Höhe der Eisoberfläche auf wenige Zentimeter genau messen und feststellen, wie sie mit den täglichen Gezeiten steigt und sinkt. Da sich die Dicke des Eises in diesem Zeitraum nicht verändern kann, konnten sie von der gemessenen Höhe auf die Lage der Grundlinie schließen.
Demnach wandert diese am Filchner-Ronne-Schelfeis um bis zu 15 km. Damit ist es eine der größten Veränderungen, die in der Antarktis beobachtet wurden. Die Messungen zeigten zudem, dass sich die Grundlinie mit mehr als 30 km pro Stunde bewegen kann, wodurch Meerwasser mehrere Kilometer weiter landeinwärts unter das Inlandeis gespült werden kann.
Dieser Kontakt mit Meerwasser könnte dazu beitragen, dass das Eis von unten schmilzt. In weniger stabilen Regionen der Antarktis wie dem Thwaites-Gletscher hat dieser Prozess bekanntermaßen zu einem langfristigen Rückzug der Grundlinie geführt.
Eine „besonders spannende Erkenntnis“
„Es ist von entscheidender Bedeutung, dass wir sowohl unsere Beobachtungen als auch die Modellierung dieser Gezeitenprozesse verbessern, um ihre Funktionsweise besser zu verstehen und die wahrscheinlichen Auswirkungen auf die langfristigen Veränderungen des Eisschildes zu ermitteln“, so Freer. Ihre Mitautorin und Leiterin des ICESat-2-Wissenschaftsteams, Prof. Helen Amanda Fricker von der Scripps Institution of Oceanography in Kalifornien, ergänzte:
„Diese Arbeit zeigt, wie die beispiellose räumliche und zeitliche Erfassung durch ICESat-2 neue Informationen über dynamische Merkmale auf Schelfeis offenbaren kann.“
Die Forscher empfehlen daher, dass alle künftigen satellitengestützten Messungen der Position der Grundlinie zusammen mit der Gezeitenhöhe und -phase sowie einem Zeitstempel versehen werden sollten. Außerdem wollen sie die Analyse für einen größeren Teil der Antarktis wiederholen, denn die Bewegung der Grundlinie hängt vom Tidenhub, von der Form des Meeresbodens und von der Stärke des Eises ab.
Die neue Studie ergab auch, dass sich die Grundlinie in einigen Regionen bei steigender Flut viel schneller landeinwärts bewegte, als sie später bei sinkender Flut zurückkehrte. Dies sei eine besonders spannende Erkenntnis, so die Forscher. Sie vermuten, dass das Wasser bei Ebbe unter dem Eis eingeschlossen wird und daher länger braucht, um herausgedrückt zu werden.
Das Herausströmen des Wassers über einen längeren Zeitraum kann jedoch auch dafür sorgen, dass der Gletscher schneller – im Sinne von Zentimetern pro Jahr – in Richtung Ozean fließt.
(Mit Material der Universität von Leeds)
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