Atlantischer Sklavenhandel: Afrikas Herrscher machten ihn erst möglich

Der atlantische Sklavenhandel war seinerzeit ein florierendes Geschäft – nicht nur für Europäer, sondern auch für afrikanische Herrscher. Eine Analyse.
Atlantischer Sklavenhandel: Afrikas Herrscher machten ihn erst möglich
Afrikanische Gesichtsmasken – Der atlantische Sklavenhandel war keine einseitige Angelegenheit. Die afrikanischen Herrscher trugen sehr viel dazu bei.Foto: Andrea Forlani/iStock
Von 6. September 2022

Die Erforschung des atlantischen Sklavenhandels erlebt derzeit einen Aufschwung. Mehrere Studien sehen in ihm die Ursache für die Missstände in den afrikanischen Gesellschaften. Diese neueren Arbeiten stehen in der intellektuellen Tradition von Walter Rodney, einem Historiker und schwarzen Aktivisten aus dem südamerikanischen Guyana. Ihm zufolge habe der atlantische Sklavenhandel zu einer Unterentwicklung Afrikas geführt. Doch welche Auswirkungen der Sklavenhandel tatsächlich hatte, steht noch nicht eindeutig fest. Denn die Gelehrten streiten sich immer noch über die Folgen.

Bei all ihren Meinungsverschiedenheiten nehmen die gegnerischen Lager jedoch eine einseitige Haltung ein: Sie richten ihre Aufmerksamkeit nur auf die Folgen des Sklavenhandels und lassen die Vermittlerrolle der Afrikaner außen vor.

Die Forscher neigen dazu zu untersuchen, wie der Sklavenhandel die afrikanischen Gesellschaften veränderte, anstatt zu zeigen, dass die europäischen Händler in die komplexen soziopolitischen Netzwerke Afrikas eingebettet wurden.

Europäer erhielten Erlaubnis von afrikanischen Oberhäuptern

Lange bevor es einen Austausch mit den Europäern gab, existierten in Afrika bereits Reiche und Häuplingstümer. Als die Europäer in Afrika ankamen, erkannten sie schnell, dass ihr Glück vom Wohlwollen der afrikanischen Herrscher abhing. Ohne sich an die lokalen Vorschriften zu halten, konnten europäische Händler keine Geschäfte machen.

Häufig wird gelehrt, dass die Europäer in Afrika Festungen errichteten, aber nur selten wird darauf hingewiesen, dass solche Festungen ohne die Erlaubnis der afrikanischen Oberhäupter nicht hätten gebaut werden können.

Im Galinhas-Reich (heutiges Sierra Leone und Liberia) beschreibt das Vai-Sprichwort „Sunda ma gara, ke a sunda-fa“ – was so viel bedeutet wie „Ein Fremder hat keine Macht, nur seine Grundherren haben sie“ – die Beziehungen der ausländischen Händler zu den afrikanischen Herrschern. Die Afrikaner waren nicht geneigt, Landbesetzer zu dulden; die Europäer mussten für ihre Unterkünfte zahlen.

In Westafrika beispielsweise kassierten die Akwamu Pacht von den europäischen Festungen und beschäftigten einen Zollbeamten, der die Handelsströme überwachte. – Das Königreich Akwamu bestand zwischen 1600 und 1730 im heutigen Ghana, Togo und Benin.

Ein Auszug aus einem Bericht eines dänischen Beamten zeigt die Autorität der afrikanischen Herrscher: „Der König von Akwamu erhebt hier Zölle auf alle Waren, die den Fluss passieren. Um sicherzustellen, dass diese gezahlt werden, stellte er einen Beamten ein, der sich um seine Interessen kümmerte.“

Die Afrikaner zogen nicht nur finanzielle Vorteile aus den Gebühren für den Bau von Festungen auf afrikanischem Boden, die sie von den Europäern verlangten, sondern behielten auch Eigentumsrechte an dem Land. In einigen Fällen luden die Afrikaner die Europäer in ihre Handelszentren ein.

Die Vermietung von Grundstücken an Europäer wurde so lukrativ, dass die afrikanischen Herrscher an der Goldküste eine europäische Gruppe pro Handelsstadt zuließen. Ferner stärkte die intensive Rivalität zwischen den Europäern die Position der Afrikaner. Das ermöglichte es ihnen, von niedrigeren Preisen und einer größeren Auswahl an Waren zu profitieren.

Sklavenhändler auf Einladung

Der atlantische Sklavenhandel war eine entsetzliche Begebenheit. Er war jedoch dennoch ein Geschäft und kann mit wirtschaftlichen Methoden analysiert werden. Die Opfer des Handels waren überproportional Afrikaner. Das sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Sklavenhandel auch für viele Afrikaner ein legitimes Geschäft war, das an bereits bestehende Handelsvereinbarungen geknüpft war.

In seinem neuen Buch, „Slave Traders by Invitation: West Africa’s Slave Coast in the Precolonial Era“ (auf Deutsch etwa: „Sklavenhändler auf Einladung: Westafrikas Sklavenküste in der vorkolonialen Zeit“) stellt Finn Fuglestad fest, dass die Afrikaner den Sklavenhandel aufrechterhielten, indem sie die Europäer dazu einluden.

Die Afrikaner formalisierten die Handelsbeziehungen mit den Europäern sogar, indem sie Verträge abschlossen, die den Kauf von Sklaven regelten. Den Berichten des portugiesischen Beamten Diego Gomez aus dem 15. Jahrhundert zufolge waren einige Herrscher sehr darauf bedacht, ihre wirtschaftlichen Interessen zu verfolgen. So sehr, dass sie eine „außerordentlich hohe Bereitschaft“ zeigten, Eingeborene als Sklaven anzubieten. Die Zusammenarbeit mit Afrikanern war entscheidend für den Erfolg des Sklavenhandels und europäischer Handelszentren wie Liverpool.

Laut dem Historiker David Richardson waren die Afrikaner maßgeblich am Aufbau der Netzwerke und institutionellen Regelungen beteiligt, die das Gedeihen der britischen Sklavenhaltung ermöglichten. „Ohne die Vermittlung und Unterstützung der Afrikaner hätte die britische Sklavenhaltung nicht das Ausmaß erreichen können, das sie hatte“, schreibt er in seinem Buch „Principles and Agents: The British Slave Trade and Its Abolition“ („Regeln und Vermittler: Der britische Sklavenhandel und seine Abschaffung“).

Importierte Waren befriedigten Nachfrage der Afrikaner

Forscher spielen normalerweise nicht nur die Rolle Afrikas herunter, sondern meinen auch, dass der atlantische Handel die afrikanischen Volkswirtschaften schwächte. Diese Annahme basiert jedoch auf einem mangelnden Verständnis des wirtschaftlichen Nutzens. Wenn die importierten Waren die Nachfrage der Afrikaner befriedigten, kann man nicht behaupten, dass die Importe ihre Lage verschlechterten.

Die Afrikaner hatten bei Handelsverhandlungen die Oberhand und bestimmten häufig die Qualität und die Preise der Produkte, die sie von den Europäern bezogen. In seiner Arbeit erklärt der Forscher Daniel Cunha, dass die Afrikaner vor dem Import von Kupfer seine Qualität prüften, indem sie seine materiellen Eigenschaften wie die Röte, Leuchtkraft und den Klang bewerteten. Diese Eigenschaften waren für den rituellen und mythologischen Gebrauch wichtig.

Wegen der hohen Anforderungen der afrikanischen Händler wurden die Waren häufig sogar ohne Erklärung abgewiesen. Es gibt auch keine stichhaltigen Beweise dafür, dass die Einfuhren die lokale Produktion beeinträchtigten. Trotz der Importe florierte die Eisenindustrie in Kamerun und Bassar (im heutigen Togo) noch bis ins neunzehnte Jahrhundert hinein. Pieter Emmer räumt in einem erstklassigen Artikel mit dem Mythos auf, dass der atlantische Sklavenhandel einen erheblichen Einfluss auf die afrikanische Wirtschaft hatte:

„Der Wert der europäischen Importe nach Westafrika kann nicht mehr als 5 Prozent des Wertes der afrikanischen Inlandsproduktion betragen haben – und das unter der Annahme, dass die Afrikaner nicht mehr als ihren Eigenbedarf abdeckten … Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es keine Beweise dafür gibt, dass der atlantische Warenhandel zwischen 1500 und 1800 weder quantitativ noch qualitativ einen großen Unterschied für die Wirtschaft Westafrikas gemacht haben könnte“.

Die Brutalität des atlantischen Sklavenhandels ist wirklich abscheulich. Wir sollten jedoch nicht emotional werden, sondern das Thema objektiv betrachten. Die Sklaverei galt jahrhundertelang als rechtmäßiges Handelsgewerbe. Die Afrikaner – wie auch ihre Zeitgenossen – erlaubten sie und waren wegen wirtschaftlicher und politischer Ziele bereit, ihre Bevölkerung zu verkaufen. Wer also die Beteiligung Afrikas am atlantischen Sklavenhandel beschönigt, infantilisiert nur Afrikas Einwohner.

Über den Autor:

Lipton Matthews kommt aus Jamaika. Er ist Forscher und Wirtschaftsanalytiker. Seine Beiträge erschienen unter anderem bei Merion West, The Federalist, American Thinker, Intellectual Takeout, mises.org und Imaginative Conservative.

Dieser Artikel erschien im Original auf der Seite des Mises Institutes unter dem Titel: „The African Slave Trade Wouldn’t Have Been Possible without African Elites“ (deutsche Bearbeitung as)

Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe Nr. 60, vom 03. September 2022.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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