600 Erdbeben im April: Kruste der Campi Flegrei wird schwächer

Die Campi Flegrei, Italiens „Feuerfelder“, kommen nicht zur Ruhe. Forscher beobachten den einzigen Supervulkan Europas seit Langem, doch der behält seine mitunter beunruhigenden Geheimnisse – größtenteils – für sich.
Der Vesuv überragt die Ruinen Pompejis und teilt seine Magmakammer mit den Campi Flegrei, den „brennenden Feldern“.
Der Vesuv überragt die Ruinen Pompejis und teilt seine Magmakammer mit den Campi Flegrei, den „brennenden Feldern“.Foto: iStock
Von 4. Juli 2023

Die Kruste des süditalienischen Vulkans Campi Flegrei wird schwächer und ist anfälliger für Ausbrüche. Dies geht aus einer neuen Studie von Forschern des University College London (UCL) und des italienischen Nationalen Forschungsinstituts für Geophysik und Vulkanologie (INGV) hervor.

Hauptaugenmerk der Forscher um den Londoner Geowissenschaftler Professor Christopher Kilburn waren dabei Muster der Erdbeben und der Bodenhebung. In der Fachzeitschrift „Nature’s Communications Earth & Environment“ kommen Sie zudem Schluss, dass Teile des Vulkans fast bis zur Bruchgrenze gedehnt wurden.

Fast 70 Prozent schwächer als vor 40 Jahren

Die Campi Flegrei, zu Deutsch Phlegräischen Felder, zählen als einziger Supervulkan Europas und sind seit mehr als 70 Jahren unruhig. Während den zweijährigen Ausbrüchen in den 1950er-, 1970er- und 1980er-Jahren sowie einer längeren Unruhephase im letzten Jahrzehnt kam es zu Zehntausenden kleinen Erdbeben. In diesem Zeitraum wurde die Küstenstadt Pozzuoli um insgesamt fast vier Meter angehoben.

Aus diesen Daten entwickelten Kilburn und Kollegen ein Modell, das auf der Physik des Zerbrechens von Gestein beruht. In Ihrer jüngsten Arbeit beschreiben sie die erstmalige Anwendung – in Echtzeit – auf einen Vulkan. Die Anfang Juni veröffentlichte Studie sei ein wichtiger Schritt in Richtung des Ziels, die Vorhersage von Eruptionen weltweit zu verbessern, so die Autoren.

„Wir haben [unser] Modell zum ersten Mal im Jahr 2017 eingesetzt“, blickt Prof. Kilburn zurück. „Seitdem hat sich Campi Flegrei so verhalten, wie wir es vorhergesagt haben, mit einer zunehmenden Anzahl kleiner Erdbeben, die auf Druck von unten hinweisen.“ Weiter sagte er:

„Unsere neue Studie bestätigt, dass sich der Campi Flegrei einem Ausbruch nähert. Dies bedeutet jedoch nicht, dass eine Eruption garantiert ist. Der Bruch könnte einen Riss durch die Kruste öffnen, aber das Magma muss noch an der richtigen Stelle nach oben gedrückt werden, damit es zu einer Eruption kommt.“

Dr. Nicola Alessandro Pino vom Vesuv-Observatorium ergänzte: „Unsere Ergebnisse zeigen, dass Teile des Vulkans schwächer werden. Das bedeutet, dass er brechen könnte, obwohl die Spannungen, die ihn auseinanderziehen, geringer sind als bei der letzten Krise vor 40 Jahren.“

Die derzeitige Zugfestigkeit – die maximale Spannung, die ein Material aushalten kann, bevor es bricht, wenn es gedehnt wird – dürfte etwa ein Drittel des Wertes von 1984 betragen, so die Forscher.

„Können nicht sehen, was im Untergrund passiert“

Weiter erklären die Autoren, dass die Auswirkungen der Unruhen seit den 1950er-Jahren kumulativ sind. Das bedeutet, dass einem eventuellen Ausbruch relativ schwache Signale vorhergehen können. Dies war der Fall bei der Eruption der Rabaul-Caldera in Papua-Neuguinea im Jahr 1994, der kleine Erdbeben vorausgingen, die nur ein Zehntel so häufig auftraten wie während einer Krise ein Jahrzehnt zuvor.

Im April registrierten Forscher und Behörden mehr als 600 Erdbeben in der Region, die bisher höchste monatliche Zahl. Die Störung sei auf die Bewegung von Flüssigkeiten, etwa drei Kilometer unter der Oberfläche, zurückzuführen. Einerseits könnte es sich dabei um geschmolzenes Gestein oder Magma handeln, andererseits um natürliches vulkanisches Gas.

Magmatisches Gas, das in Lücken im Gestein eindringt und die 3 km dicke Kruste „wie ein Schwamm ausfüllt“, sei wahrscheinlich der Auslöser der jüngsten Unruhen. Das Muster der Erdbeben von 2020 deute indes darauf hin, dass das Gestein unelastisch reagiert: Es bricht eher, als dass es sich biegt.

Dr. Stefania Danesi vom INGV Bologna sagte: „Wir können nicht sehen, was im Untergrund passiert. Stattdessen müssen wir die Hinweise entschlüsseln, die uns der Vulkan gibt, wie Erdbeben und Bodenerhebungen“.

Auf alle Entwicklungen vorbereiten

Dennoch können die Forscher derzeit nicht sagen, ob und wann der nächste Ausbruch der Campi Flegrei oder benachbarter Vulkane ansteht. Dr. Stefano Carlino vom Vesuv-Observatorium erklärte:

„Der Campi Flegrei könnte in eine neue Routine des sanften Auf- und Abschwellens übergehen, wie dies bei ähnlichen Vulkanen auf der ganzen Welt der Fall ist. Er könnte auch einfach zur Ruhe kommen. Wir können noch nicht mit Sicherheit sagen, was passieren wird. Wichtig ist, dass wir auf alle Entwicklungen vorbereitet sind.“ Dies treffe genauso auf andere Vulkane zu, die seit Generationen ruhig sind.

Derweil möchten die Forscher ihr Modell auf weitere Vulkane anwenden, die nach langer Zeit wieder erwacht sind. Dabei werden sie versuchen, zuverlässigere Kriterien für die Entscheidung zu finden, ob ein Ausbruch wahrscheinlich ist. Dies ist derzeit lediglich anhand von statistischen Daten möglich, die für jeden einzelnen Vulkan spezifisch sind, anstatt auf grundlegende Prinzipien zurückzugreifen, die auf mehrere Vulkane angewendet werden können.

Gegebenenfalls können sie mit diesem Wissen zukünftig auch vorhersagen, wann und wo sich auf den Campi Flegrei neue Wege für Magma oder Gas öffnen werden.

Campi Flegrei: Europas einziger Supervulkan

Während der Vesuv der wohl bekannteste Vulkan Europas ist, sind die Phlegräischen Felder der weitaus gefährlichere. Ähnlich wie der Vulkan unter dem Yellowstone-Nationalpark zählen die wortwörtlich übersetzten „brennenden Felder“ als Supervulkan, dem einzigen dieser Größe in Europa. Dabei handelt es sich nicht um einen klassischen Berg, sondern vielmehr eine sanfte Senke mit mehreren Kilometern Durchmesser.

So erstrecken sich die Campi Flegrei über Hunderte Quadratkilometer und sind teilweise dicht besiedelt. Sie entstanden vermutlich vor 40.000 Jahren, als die leere Magmakammer des Ignimbrits Campana zusammenbrach. Historische Untersuchungen ergaben, dass die Phlegräischen Felder mit antiken Städten wie Neapel, Pozzuoli und Cuma mehrfach von lokalen, vulkanisch bedingten Erdbeben betroffen waren.

Eine besonders intensive seismische Aktivität wurde ab 1470 dokumentiert, mehrere Jahrzehnte vor dem Ausbruch des Monte Nuovo, dem letzten Ausbruch der Campi Flegrei im Jahr 1538. Zahlreiche Dokumente dieser Zeit belegen eine starke Hebung des Bodens, die ebenfalls Jahrzehnte vor dem Ausbruch begann. Eine erneute Hebung begann 1950. Zeitweise vollzog sie sich so schnell, „dass es Streitigkeiten über die Zuweisung von Eigentum an neu aus dem Meer entstandenem Land gab“.

Ein Ausbruch „ist kein Witz“

Im Juni 2019 veröffentlichten italienische Medien, dass es einen Katastrophenplan für den Fall eines erneuten Ausbruchs des Vesuvs sowie der östlich gelegenen „Campi Flegrei“ gibt. Kurz zuvor hatten die Kommunen die Verteilung von 1,155 Millionen Menschen geregelt. Vincenzo De Luca, Präsident des Regionalrates von Kampanien, sagte anlässlich der Vorstellung der Evakuierungspläne:

„Es ist kein Witz, sondern die ernste Art und Weise, sich auf katastrophale Ereignisse vorzubereiten. Die [Menschen] müssen auswendig wissen, was sie im Notfall tun sollen. Wissen, wohin sie gehen müssen und wie sie es tun sollen. Ein organisatorisches Evakuierungsmodell muss getestet werden.“

Betrachtet man allein die zeitliche Abfolge der Ereignisse im 15. und 16. Jahrhundert, ist ein Ausbruch der Campi Flegrei seit fünf Jahren überfällig. Vergleicht man die Phlegräischen Felder jedoch mit dem Yellowstone-Supervulkan, können sich die Italiener beruhigt zurücklehnen. Yellowstone ist mehrere Tausend Jahre überfällig und trotzdem (noch) nicht ausgebrochen.



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