„Durchbruch“ bei Kernfusion: Energie reicht für 25 Minuten Wasserkocher

In Kalifornien haben Forscher erstmals mehr Energie mittels Kernfusion freigesetzt als injiziert wurde. Unterm Strich würde die Energie gerade für den Computer zum Schreiben dieses Artikels reichen – wenn sie nutzbar gemacht werden könnte.
Titelbild
In einem Labor in Kalifornien lieferte eine Kernfusion erstmals mehr Energie, als sie benötigte.Foto: Lawrence Livermore National Laboratory
Von 14. Dezember 2022

Erstmals habe eine Kernfusion mehr Energie freigesetzt, als für ihre Zündung benötigt wurde. Das berichteten US-amerikanische Medien am Sonntag, 11. Dezember, unter Berufung auf drei anonyme, mit der Forschung vertraute Personen.

Die in der National Ignition Facility (NIF) am Lawrence Livermore National Laboratory in Kalifornien erzielten Ergebnisse sollen demnach am Dienstagvormittag (Ortszeit) während einer Pressekonferenz vorgestellt werden. In der Einladung heißt es, dass US-Energieministerin Jennifer Granholm einen „großen wissenschaftlichen Durchbruch“ verkünden werde. „Es ist das erste Mal, dass das jemals in einem Labor geschafft wurde“, sagte Granholm sodann.

Wenn es gelinge, die Kernfusion weiter voranzubringen, könne sie zur Erzeugung von sauberem Strom und Kraftstoffen für den Verkehr, von Energie für die Schwerindustrie und vieles mehr genutzt werden, sagte Energieministerin Granholm. Es sei ein „Meilenstein“. „Und jeder, der an diesem Durchbruch in der Kernfusion beteiligt war, wird in die Geschichtsbücher eingehen“, so die Ministerin weiter. Das Experiment war der US-Regierung zufolge am 5. Dezember gelungen.

Der immerwährende Traum von sauberer Energie

Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) sprach am Dienstag von einem „historischen Tag für die Energieversorgung der Zukunft“. „Erstmals haben Forschende gezeigt, dass man die Sonne tatsächlich auf die Erde holen und mit der Fusion netto Energie erzeugen kann“, so die Ministerin. „Das wird die Energieversorgung revolutionieren und unseren Energiemix perspektivisch um eine klimaneutrale, verlässliche und wirtschaftliche Quelle ergänzen.“

Die Kernfusion gilt als der Heilige Gral der Energieerzeugung, da weder CO₂ noch radioaktive Abfälle entstünden. Zudem könnte bereits eine Tasse Brennstoff – im konkreten Fall eine spezielle Form von Wasser – einen Haushalt über Jahrhunderte mit Energie versorgen. Jedoch wird seit über 70 Jahren an der Technik geforscht, wobei die Zeit bis zur Marktreife seither nahezu unverändert mit „in einigen Jahrzehnten“ angegeben wird.

Auch diesmal könnten bis zu einer industriellen Nutzung der Technologie auch nach dem Durchbruch, der bei dem Experiment vom 5. Dezember erzielt wurde, „Jahrzehnte“ vergehen, wie die Leiterin des Lawrence Livermore National Laboratory, Kim Budil, am Dienstag einräumte.

Energie für 25 Minuten Wasserkocher

Schon vor knapp einem Jahr waren Fortschritte bei der Kernfusion an dem Institut verkündet worden. Dabei sei die Zündung des Plasmas erreicht worden, berichtete ein Forschungsteam Anfang des Jahres in der Fachzeitschrift „Nature“. Dies führt letztlich dazu, dass die Fusionsreaktion sich selbst erhält. 2013 gelang es, mehr Energie freizusetzen, als zuvor durch Kompression in die Reaktionszone eingebracht wurde. Die zugehörige Studie erschien ebenfalls in „Nature“.

Bei der klassischen „heißen“ Kernfusion sind sonnenähnliche Bedingungen nötig. Aufgrund der irdischen Druckverhältnisse, die viel geringer sind als auf dem Zentralstern des Sonnensystems, müssen die Temperaturen sogar noch deutlich höher liegen. Das machte die technische Nutzung sehr schwierig, zumal alle bekannten Materialien bei diesen Temperaturen augenblicklich verdampfen würden. Entsprechend gibt es trotz Dekaden der Forschung bislang keinen funktionierenden Reaktor, sondern lediglich Versuchsanlagen.

Die Forscher in Kalifornien nutzten für ihre Experimente die weltweit größte und stärkste Laseranlage, um winzige Mengen von schwerem und überschwerem Wasserstoff (Deuterium und Tritium) in ein mehrere Millionen Grad heißes Plasma zu verwandeln. Dabei erhitzen knapp 200 Laserstrahlen das Innere eines wenige Millimeter großen Behälters. In ihrem jüngsten Experiment beobachteten sie dabei in Sekundenbruchteilen eine Energiefreisetzung von 3,15 Megajoule. Damit könnte man einen Wasserkocher rechnerisch etwa 25 Minuten lang betreiben.

„Ein wirklich monumentaler Schritt“

Der „große wissenschaftliche Durchbruch“ dabei ist, dass die Laser nur etwa 2,05 Megajoule Energie in das System eingebracht haben. Somit ergibt sich ein Nettogewinn von 1,1 Megajoule. Das reicht in etwa für den Computer zum Schreiben dieses Artikels. – Wie in der Forschung üblich, berücksichtigt diese Rechnung allerdings nur die Laserenergie, nicht den gesamten Energiebedarf der mehrere Fußballfelder großen Forschungseinrichtung, die für den Betrieb der Anlage nötig ist.

Die tiefstgefrorene Probe (unter -250 °C) enthält Deuterium und Tritium, die während der Fusion Energie freisetzen. Foto: Lawrence Livermore National Laboratory

Die Zielkammer der National Ignition Facility. In ihrem Inneren beschießen Laser eine etwa pfefferkorngroße Probe. Foto: Lawrence Livermore National Laboratory

Die Anlage benötige laut Budil etwa 300 Megajoule Energie, um zwei Megajoule Laserenergie zu liefern, die drei Megajoule Fusionsausbeute erzeugten. Laut Berechnungen sei es möglich, eine Ausbeute von Hunderten Megajoule zu erzielen, „aber davon sind wir im Moment noch sehr weit entfernt“.

Hinzu kommt, dass die freigesetzte Energie in Form von Wärme vorlag, die – mit einem Verlust von etwa 50 Prozent – in elektrische Energie umgewandelt werden muss, bevor Kernfusion einen Wasserkocher oder Computer versorgen kann. Mit anderen Worten: Vor der tatsächlichen Nutzung muss die Energieausbeute mindestens um den Faktor 600 gesteigert werden, ein funktionierender Reaktor gebaut und die Energieübertragung von Plasma auf Dampfturbine erfunden werden.

Nun komme es darauf an, den Prozess zu verfeinern sowie einfacher zu machen, so Budil. „Die Entzündung (des Plasmas) ist ein erster Schritt, ein wirklich monumentaler Schritt.“ Er schaffe die Voraussetzungen für ein Jahrzehnt der Transformation.

Kernfusion: sauber, sicher, fast unendlich

Sowohl klassische Kernkraftwerke als auch zukünftige Kernfusionsanlagen gewinnen Energie aus den Bindungskräften von Atomkernen. Bei der Kernspaltung werden große Atome gespalten, es entsteht unter anderem radioaktiver Abfall sowie weitere Zerfallsprodukte. Die Reaktion kann man sich wie einen Billardtisch vorstellen, auf dem der erste Stoß den dreieckigen Kugelhaufen spaltet. Die dabei entstehende Wärme wird abgeführt und mittels Dampfturbinen in elektrische Energie umgewandelt. Einzelne Billardkugeln springen dabei außerdem auf andere Tische über, wo die Reaktion von neuem beginnt.

Bei der Kernfusion hingegen werden kleine Atomkerne zu größeren verschmolzen. Diese Energiegewinnung ähnelt den Vorgängen in Sternen wie der Sonne und lässt sich eher mit einem Obstnetz vergleichen: Dabei besteht jedes Atom aus einem „Netz“ Bindungsenergie, das die „Früchte“ des Atoms – Protonen, Neutronen und Elektronen – zusammenhält.

Im Fall von Wasserstoff befindet sich in diesem Netz ein Proton (positiv geladen) und ein Elektron (negativ geladen). Das nächst größere Obstnetz, Helium, umschließt zwei Protonen und ein Neutron. Jedoch benötigt auch Helium nur ein Netz an Bindungsenergie. Verschmelzen also zwei Wasserstoff-Früchte zu einer Helium-Frucht, wird dennoch nur ein Obstnetz benötigt. In der Folge ist ein Netz (eine Portion Bindungsenergie) „über“ und steht nun zur freien Verfügung.

Beide Formen gehen grundsätzlich auf die Einstein’sche Formel E = m · c² zurück. Sie besagt, dass Masse (m) und Energie (E) zwei Seiten derselben Medaille sind. Die Formel besagt auch, dass die Masse in dieser Gleichung mit der Lichtgeschwindigkeit zum Quadrat (c²) zu multiplizieren ist. Das erklärt, warum die Energie aus einem Gramm Bindungsenergie dem Energiegehalt von über zwei Millionen Litern Benzin entspricht.

Kalte Fusion in Greifweite?

Neben den großen nationalen und internationalen Forschungsprojekten zur „heißen“ Fusion wie ITER und Wendelstein forschen auch Privatpersonen (Bill Gates), Konzerne (Lockheed Martin) und Behörden (NASA, US-Navy) an der Kernfusion. Lockheed Martin kündigte 2014 an, in zehn Jahren – 2024 – einen einsatzbereiten Reaktor vorstellen zu können, der zudem klein genug sei, um ein Flugzeug oder Schiff anzutreiben.

Noch kleiner sollen diverse, vermeintlich bereits laufende, Reaktoren der „kalten“ Fusion sein. Sowohl Dr. Andrea Rossi mit seiner Leonardo Corporation und Dr. Randell Mills mit seiner Firma Brilliant Light Power stehen nach verschiedenen Angaben kurz vor dem Markteintritt.

Rossi ließ im Alleingang 2015 seine Technologie des „Ecat“ patentieren. Auf „Researchgate“ erzielten seine Publikationen mehr als 100.000 Aufrufe. Bei einer Million Interessenten wolle er die Serienfertigung eines 100-Watt-Geräts und den Markteintritt wagen. 800.000 Vorbestellungen für den etwa kaffeetassengroßen Fusionsreaktor soll er bereits erhalten haben.

Im Gegensatz zu Rossi ist Mills mit seinem Unternehmen bereits in einen der größten US-amerikanischen Energiekonzerne eingegliedert, der Markteintritt sei für 2023 geplant. Seine Geräte sind etwa doppelt so groß wie ein Kühlschrank und liefern 250 bis 350 kW.

Insbesondere kleine Anlagen für den Privatgebrauch stoßen jedoch auf enormen wirtschaftlichen Widerstand: Energieversorger sehen sich einer existenziellen Gefahr gegenüber. Wenn Fusionsenergie im Hosentaschen- oder Kühlschrankformat verfügbar ist, sind zentrale Kraftwerke, Überlandleitungen oder Verteilernetze überflüssig.

(Mit Material der Nachrichtenagenturen)



Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion