Virtuelle Berührungen und Krankheiten: Wenn wir Dinge fühlen, die gar nicht da sind

Was passiert in unserem Körper, wenn wir Dinge fühlen, die gar nicht da sind? Dieser Frage sind Neurowissenschaftler der Ruhr-Universität Bochum jüngst in einem Experiment nachgegangen.
Was passiert in unserem Körper, wenn wir Dinge fühlen, die gar nicht da sind?
Was passiert in unserem Körper, wenn wir Dinge fühlen, die gar nicht da sind?Foto: iStock
Von 20. November 2023

Virtuelle Viren, realer Schnupfen? Virtual Reality (VR) ist nicht nur eine Technologie für Spiele und Unterhaltung, sondern besitzt auch Potenzial für Forschung und Medizin. Forscher der Ruhr-Universität Bochum haben mithilfe von VR nun neue Einblicke in die menschliche Wahrnehmung gewonnen.

Sie nutzten Szenarien, bei denen Versuchspersonen ihren eigenen Körper mit einem virtuellen Objekt berührten. Zur Überraschung führte dies zu einem Kribbelgefühl an der Stelle, an der der Avatar ihres Körpers berührt wurde.

War alles also nur eine Einbildung? Im Prinzip ja, denn dieser Effekt trat auf, obwohl kein physischer Kontakt zwischen virtuellem Objekt und Körper stattfand. Die Forscher um Dr. Artur Pilacinski und Prof. Dr. Christian Klaes aus der Abteilung Neurochirurgie beschreiben dieses Phänomen als Phantom-Touch-Illusion.

„Menschen in der Virtuellen Realität haben manchmal das Gefühl, Dinge zu berühren, obwohl sie tatsächlich nur auf virtuelle Objekte stoßen“, erläutert Erstautor Artur Pilacinski den Ursprung der Forschungsfrage. „Wir konnten zeigen, dass die Phantom-Touch-Illusion von den meisten Versuchspersonen als Kribbeln oder prickelndes, elektrisierendes Gefühl beschrieben wird oder auch als ob Wind durch ihre Hand wehen würde.“

Verschiedene Sinneswahrnehmungen

Die Neurowissenschaftler wollten schließlich verstehen, was hinter diesem Phänomen steckt und welche Prozesse in Gehirn und Körper dabei eine Rolle spielen. Sie beobachteten, dass die Phantom-Touch-Illusion ebenfalls auftrat, wenn die Versuchspersonen Teile ihres Körpers berührten, die in der Virtuellen Realität nicht sichtbar waren.

„Das deutet darauf hin, dass die menschliche Wahrnehmung und das Körpergefühl nicht nur auf visuellen Aspekten basiert, sondern auf einer komplexen Kombination aus vielen Sinneswahrnehmungen – und der Vorstellung des eigenen Körpers“, erklärt Zweitautorin Marita Metzler.

An der Studie nahmen insgesamt 36 Personen teil. Zuerst gewöhnten sich die Teilnehmer an die von einer VR-Brille geschaffenen Umgebung, indem sie sich darin bewegten und virtuelle Objekte berührten. Im Anschluss bekamen sie die Aufgabe, ihre Hand in der virtuellen Umgebung mit einem virtuellen Stab zu berühren.

Sodann fragten die Forscher die Studienteilnehmer, ob diese etwas fühlen konnten. Falls nicht, sollten sie die Berührung fortsetzen und die Frage wurde später erneut gestellt. Wenn sie Empfindungen verspürten, sollten sie diese beschreiben und ihre Intensität an verschiedenen Handstellen bewerten. Dieser Prozess wurde für beide Hände wiederholt.

Virtuelle und eingeredete Empfindungen

In einem Kontrollexperiment untersuchten die Wissenschaftler, ob ähnliche Empfindungen auch ohne optischen Kontakt mit virtuellen Objekten wahrgenommen werden können. Anstelle der virtuellen Objekte nutzten die Forscher einen kleinen Laserpointer. Das Ergebnis: Es traten keine Empfindungen auf, was den Schluss zulässt, dass die Phantom-Touch-Illusion nur bei virtuellen Berührungen auftritt.

„Die Entdeckung der Phantom-Touch-Illusion eröffnet neue Möglichkeiten für die weitergehende Erforschung der menschlichen Wahrnehmung und könnte auch in den Bereichen Virtual Reality und Medizin Anwendung finden“, beschreibt der beteiligte Wissenschaftler Christian Klaes. „Sie könnte sogar dazu beitragen, das Verständnis von neurologischen Erkrankungen und Störungen zu vertiefen, die die Wahrnehmung des eigenen Körpers beeinflussen.“

Das Bochumer Team plant, seine Forschung zur Phantom-Touch-Illusion und den zugrunde liegenden Prozessen weiterzuführen. Aus diesem Grund starteten sie eine Zusammenarbeit mit der Universität Sussex.

„Es ist wichtig, zunächst zwischen den tatsächlichen Empfindungen von Phantom-Touch und anderen kognitiven Prozessen zu unterscheiden, die an der Schilderung solcher Empfindungen beteiligt sein können […]“, so Artur Pilacinski. „Außerdem wollen wir die neuronalen Grundlagen […] besser verstehen und arbeiten hierfür mit weiteren Partnern in der Forschung zusammen.“

Was die Forscher unerwähnt lassen, ist, dass es auch „Nebenwirkungen“ geben kann. Denn so ist beispielsweise bekannt, dass die menschliche Vorstellung die körperliche Gesundheit beeinflussen kann. Während die virtuelle Berührung also reale Empfindungen auslösen kann, ist es ebenso denkbar, dass eine virtuelle Krankheit dem Körper schadet.

Die Studie erschien am 18. September 2023 in der Zeitschrift „Scientific Reports“.



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