Ärzte: Herkömmliches Krebsmedikament wirkt nicht so wie gedacht

Eigentlich sollte das Krebsmedikament – wie im Labor gezeigt – die Teilung der krankhaften Krebszellen komplett stoppen. Allerdings ist die tatsächliche dem Menschen verabreichte Konzentration geringer. Daher kommt es zu einer anderen Wirkung.
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Eine neue Studie wirft Fragen zur tatsächlichen Wirkung gängiger Krebsmedikamente auf. Symbolbild.Foto: iStock
Von 15. November 2023

Ein Krebsmedikament soll das Tumorwachstum eindämmen oder gar gänzlich stoppen und so den Patienten von der Krankheit heilen. Neue Fragen zur Wirkung und Effektivität dieser Medikamente wirft nun eine neue US-amerikanische Studie auf.

So haben die Forscher um Prof. Beth Weaver und Mark Burkard herausgefunden, dass die Chemotherapie möglicherweise nicht ihr volles Potenzial ausschöpft. Dies liege zum Teil daran, dass Forscher und Ärzte lange Zeit nicht verstanden haben, wie einige der gebräuchlichsten Krebsmedikamente wirklich funktionieren.

Irrtum in der Wirkungsweise

Im Speziellen ist eine Klasse von Medikamenten betroffen, die als Mikrotubuli-Gifte bekannt sind. Bislang ging man davon aus, dass diese die Krebstumore behandeln, indem sie die Zellteilung stoppen, das heißt, dass sich Krebszellen nicht weiter vermehren und ausbreiten.

Laut den Forschern der Universität von Wisconsin-Madison scheinen die Mikrotubuli-Gifte jedoch nicht wirklich die Teilung der Krebszellen im Patienten zu verhindern. Vielmehr scheinen sie die Zellteilung zu verändern, und das manchmal so stark, dass Krebszellen absterben und sich die Krankheit zurückbildet.

Krebs wächst und breitet sich aus, weil sich Krebszellen unbegrenzt teilen und vermehren können. Gleichzeitig ist bei gesunden Zellen nur eine begrenzte Anzahl von Teilungen möglich. Die Annahme, dass Mikrotubuli-Gifte die Krebszellen an der Teilung hindern, beruht auf Laborstudien, die genau das belegten.

Doch diese zuverlässige Wirkung konnten die Forscher speziell im Krebsmedikament „Paclitaxel“, das auch unter dem Namen „Taxol“ bekannt ist, nicht nachweisen. Dieses Medikament wird für gewöhnlich bei Eierstock- und Lungenkrebs angewendet.

„Das war eine Art Aha-Erlebnis“, erklärt Weaver. „Jahrzehntelang dachten wir alle, dass Paclitaxel bei Tumoren im Patienten wirkt, weil es die Zellteilung stoppt. So wurde es mir als Studentin beigebracht. Wir alle wussten das, denn das haben Labors in der ganzen Welt mit Zellen in einer Schale gezeigt. Das Problem war nur, dass wir es in höheren Konzentrationen verwendet haben als das, was schließlich tatsächlich in die Tumore gelangt.“

Auf das falsche Pferd gesetzt?

Mit dieser Erkenntnis wollten Weaver und ihre Kollegen herausfinden, ob auch andere Mikrotubuli-Gifte auf die gleiche Weise wirken. Diese Frage habe erhebliche Auswirkungen auf die Forschung und die Suche nach neuen Krebsbehandlungen.

Bei der Entdeckung von Medikamenten gehe es oft darum, die Mechanismen zu erkennen, nachzuahmen und zu verbessern, von denen man annimmt, dass sie für die therapeutische Wirkung verantwortlich sind.

Obwohl Mikrotubuli-Gifte noch nie ein Garant für die erfolgreiche Heilung waren, scheinen sie bei vielen Patienten gewirkt zu haben. Deshalb versuchten Forscher seit Langem, andere Therapien zu entwickeln, die das nachahmen, was, wie sie glauben, das Krebsmedikament tut.

„Ein großer Teil der wissenschaftlichen Gemeinschaft untersucht immer noch den mitotischen Stillstand als Mechanismus zur Tumorabtötung“, sagt Weaver. „Wir wollten wissen, ob das für die Patienten von Bedeutung ist.“

DNA-Verlust bedeutet Zelltod

Im Rahmen seiner Studie untersuchte das Forscherteam die Wirksamkeit der Mikrotubuli-Gifte anhand von Tumorproben von Brustkrebspatienten. Dabei maßen die Forscher zunächst, wie viel von den Medikamenten in die Tumore gelangte. Im Anschluss daran untersuchten sie, wie die Tumorzellen der Patienten auf das Medikament reagierten.

Das Ergebnis: Nach der Behandlung mit dem Medikament teilten sich die Krebszellen zwar weiterhin, aber in abnormaler Weise. Diese abnormale Teilung konnte schließlich zum Absterben der Tumorzellen führen.

Normalerweise werden die Chromosomen einer Zelle verdoppelt, bevor die beiden identischen Chromosomensätze an die entgegengesetzten Enden der Zelle wandern. Ein Chromosomensatz wird in jede der beiden neuen Zellen einsortiert. Diese Wanderung erfolgt, weil die Chromosomen an einer sogenannten mitotischen Spindel befestigt sind. Diese Spindel besitzt üblicherweise zwei Pole.

Die Forscher fanden heraus, dass Paclitaxel und andere Mikrotubuli-Gifte Anomalien verursachen, die dazu führen, dass Zellen während ihrer Teilung drei, vier oder manchmal fünf Pole bilden. Diese Pole ziehen dann die beiden vollständigen Chromosomensätze in mehr als zwei Richtungen an und bringen das Genom durcheinander.

„Nach der Zellteilung hat man also Tochterzellen, die genetisch nicht mehr identisch sind und Chromosomen verloren haben“, sagt Weaver. „Wir haben errechnet, dass eine Zelle, die mindestens 20 Prozent ihres DNA-Gehalts verloren hat, mit großer Wahrscheinlichkeit sterben wird.“ Dies ist schließlich der wahre Grund, weshalb Mikrotubuli-Gifte bei vielen Patienten wirksam sind.

Neue Wege für die Forschung

Mit dieser neuen Erkenntnis wurde den Forschern nun klar, weshalb Behandlungen, die sich auf das Stoppen der Zellteilung stützten, enttäuschten. „Wir haben den falschen Weg eingeschlagen“, erklärt Prof. Weaver.

Tatsächlich schaffte es dieses Krebsmedikament also nicht, die Teilung der krankhaften Krebszellen zu verhindern, sondern es veränderte sie. Sei diese Veränderung aber groß genug, könne die Krebszelle schließlich absterben und sich die Krankheit zurückbilden.

Die Studie erschien am 26. Oktober 2023 im Fachmagazin „PLOS Biology“.

 



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