Wie wirksam sind Krebsmedikamente?

Krebs als Krankheit gibt es seit mindestens 3.000 Jahren, Krebsmedikamente seit über 200 Jahren. Dennoch sterben rund 50 Prozent aller Krebspatienten. Die Wirksamkeit der Medikamente ist dabei umstritten – und im schlimmsten Fall unerforscht.
Wie wirksam sind Krebsmedikamente?
Symbolbild.Foto: iStock
Von 10. September 2022

In Deutschland erkrankten 2018 laut dem Deutschen Krebsforschungszentrum etwa 498.000 Menschen neu an Krebs. Experten schätzen, dass diese Zahl bis 2022 auf über 510.000 ansteigt. Knapp die Hälfte der Erkrankten überlebt die Krankheit nicht, trotz fortschreitender medizinischer Kenntnisse. Vor 1980 starben noch mehr als zwei Drittel aller Krebspatienten an ihrer Erkrankung. Viele Gesundheitsexperten gehen davon aus, dass jeder Mensch irgendwann an Krebs erkrankt.

Krebs ist jedoch keine moderne Krankheit, wie beispielsweise rund 3.000 Jahre alte ägyptische Mumien zeigen. Es erscheint daher nicht überraschend, dass die Menschen seit Hunderten von Jahren nach Heilungsmöglichkeiten für Krebs suchen. So wurden die ersten Krebsursachen und -therapien gegen Ende des 18. Jahrhunderts entdeckt. Doch wie wirksam sind unsere heutigen Medikamente über 200 Jahre später?

Studien zeigen niedrige Wirkung

Für die allgemein bis 2018 gesunkene Sterblichkeitsrate bei Krebs werden oft die auf dem Markt verfügbaren Krebsmedikamente als Ursache angesehen. Studien legen jedoch nahe, dass die höhere Überlebensrate mit der Früherkennung und einer verbesserten Organisation der Krebsbehandlung zusammenhängt. Außerdem schreiten manche Krebsarten nur langsam voran, und die Patienten haben eine längere Überlebenszeit.

Wie wirksam diese Krebsmedikamente sind, sollte in einer 2019 erschienenen Studie erforscht werden. Darin untersuchten Wissenschaftler 85 Krebsmedikamente, die zwischen 2006 und 2018 zugelassen wurden. Im Mittelpunkt der Untersuchung stand dabei die sogenannte Reaktionsrate (RR) – also wie gut der Krebs auf das Medikament reagiert.

Die Autoren fanden heraus, dass die Hälfte aller untersuchten Medikamente in etwa zwei von fünf Fällen half. Das heißt aber auch, dass drei von fünf Tumoren nicht auf die Medikamente reagierten. Jedes sechste Medikament (16,5 Prozent) hat sogar bei vier von fünf Tumoren nicht gewirkt.

Eine weitere Studie zeigt, dass zwischen Mai 2016 und Mai 2021 insgesamt 207 Krebsmedikamente in den USA zugelassen wurden. Etwa 14 Prozent von ihnen ersetzen dabei zugelassene Medikamente im Rahmen der Standardbehandlungen. Die Mehrheit der neuen Krebsmedikamente war jedoch nur als Zusatztherapie (29 Prozent) oder als Alternative (42 Prozent) zur Standardbehandlung gedacht. Laut den Autoren sind ergänzende Behandlungen zwar von Vorteil, können aber auch mit mehr Kosten für die Patienten verbunden sein.

Neu, unerforscht, toxisch

Weiterhin haben Studien über neu eingeführte Krebsmedikamente ergeben, dass diese in der Regel gefährlicher sind als bereits bestehende Medikamente. Bei den neuen Krebsmedikamenten handelte es sich entweder um Medikamente mit neuen Inhaltsstoffen oder Wirkmechanismen, um sogenannte Nachahmerpräparate, auch Generika genannt.

Ein Generikum ist ein Medikament, das bezüglich seiner Wirkstoffe auf bereits zugelassenen Arzneimitteln basiert. Diese dürfen jedoch erst entwickelt und verkauft werden, wenn der Patentschutz des Vorbildmedikaments abgelaufen ist. Laut dem Verband „Progenerika“ sind etwa 79 Prozent der Medikamente in Deutschland Generika. In den USA liegt der Anteil bei über 90 Prozent.

Ärzte in den USA empfehlen ihren Patienten häufig, Generika in den ersten fünf bis sieben Jahren nach ihrer Freigabe zu meiden. Das liege daran, dass Generika vor allem auf ihre biologische Ähnlichkeit zum Vorbildmedikament und weniger auf ihre Sicherheit geprüft werden. Hinzu kommt, dass ein Großteil der Medikamente in Ländern wie Indien und China hergestellt wird, wo die Vorschriften für Arzneimittel weniger streng sind. So verbot die FDA in der Vergangenheit bereits die Herstellung von Generika an mehreren indischen Standorten aufgrund von Manipulationen und Verunreinigungen. In Deutschland werden Generika vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) oder der EMA auf ihre Sicherheit und Qualität hin untersucht.

Im Gegensatz zu Generika müssen neuartige Medikamente ausführlicher geprüft werden. In diesem Zusammenhang haben Studien ergeben, dass diese zwar in der Regel wirksamer sind, aber auch häufiger giftiger wirken. Die Forscher kritisieren darin zudem, dass klinische Studien häufig bei Patienten mit gutem Gesundheitsstatus und wenigen Begleiterkrankungen durchgeführt werden. In der Realität werden Medikamente jedoch oft Krebspatienten mit schwächerer Konstitution verschrieben.

Gesundheit versus Datenschutz

Unter anderem steht die Pharmaindustrie häufig wegen derartiger Auswahlverfahren in der Kritik. So bemängeln viele Forschungs- und Medienberichte die geringe Transparenz und die Nichtveröffentlichung (realistischer) klinischer Daten. Diese Forderungen stehen jedoch oft im Konflikt mit der Einhaltung der Datenschutzgesetze und dem Schutz von geistigem Eigentum. Beides erschwert die vollständige Offenlegung klinischer Studiendaten.

Im Jahr 2018 hat die Europäische Union die Datenschutz-Grundverordnung erlassen, um personenbezogene Daten von EU-Bürgern zu schützen. Dies umfasst auch die Daten für den Gesundheits- und Medizinbereich. In den USA gibt es kein vergleichbares Gesetz. Im Jahr 2007 erhielt die amerikanische Lebens- und Arzneimittelbehörde (FDA) zudem mehr Befugnisse, um mehr Studien von Arzneimittelherstellern zu verlangen. Kommen die Hersteller diesen Auflagen nicht nach, kann die Aufsichtsbehörde auch Geldstrafen verhängen.

Ein Großteil der Patientendaten aus klinischen Prüfungen für Krebsmedikamente in den USA ist jedoch trotz dieser Rechtsvorschriften nicht öffentlich. Zudem finden Forscher, die sich mit dem Thema beschäftigen, dass die Transparenz der klinischen Untersuchungen oft zu wünschen übrig lässt.

So wurden in einer aktuellen Studie 115 Krebsmedikamente untersucht, darunter weltweit führende Produkte. Mehr als die Hälfte (55 Prozent) der 304 begleitenden klinischen Studien haben keine Patientendaten veröffentlicht. Die Autoren fanden zudem heraus, dass von den zehn umsatzstärksten Krebsmedikamenten weniger als zehn Prozent der Daten vorlagen.

Diebstahl von Medikamenten

Das Zurückhalten von Daten hat neben dem Schutz von Patientendaten noch weitere Gründe. So werden Daten beispielsweise auch nur einer kleinen Anzahl von Personen, die an der Forschung teilnehmen, zugänglich gemacht. Dies kann dazu führen, dass Menschen aus dem Bereich der Arzneimittelentwicklung, im Dunkeln tappen. Viele große Unternehmen beauftragen zudem externe Forschungsgruppen mit der Durchführung ihrer Studien, was die Kontrolle, Analyse und Verarbeitung der Daten zusätzlich erschwert.

Ein wesentlicher Grund der Geheimhaltung ist jedoch die Minderung von Diebstahl pharmazeutischer Daten und Entwicklungen. Je mehr Personen Zugang zu den Aufzeichnungen haben, desto größer ist das Risiko einer ungewollten Verbreitung. China, Indien, der Iran und Russland haben eine lange Geschichte des Diebstahls von geistigem Eigentum. Im Zeitalter der Digitalisierung und des technologischen Fortschritts wird dies zusehends einfacher.

Gelangen Diebe beispielsweise an pharmazeutische Daten erfolgreicher Produkte, können sie leicht ähnliche Medikamente zu günstigeren Preisen herstellen und die Fälschungen verkaufen. Dabei steigt auch die Gefahr von minderwertiger Ware, was wiederum schwerwiegende gesundheitliche Folgen haben könnte. Besondere Vorsicht ist geboten, wenn Medikamente im Internet angeboten werden. Betrüger locken dabei oft mit verschreibungspflichtigen Medikamenten zu Schnäppchenpreisen.

Qualitätsverlust bei Studien

Eine im „British Medical Journal“ veröffentlichte Studie zeigt zudem, dass auch Arzneimittelzulassungsbehörden zu Medikamenten mit geringem klinischen Nutzen beigetragen haben. Im Laufe der Jahre haben die Zulassungsbehörden die Messlatte für die Datenqualität von Studien immer niedriger gelegt.

So zeigen Daten aus dem Jahr 2017, dass 30 von 188 untersuchten Medikamenten (16 Prozent) auf der Grundlage einer einzigen Studie genehmigt wurden. Weitere 88 Medikamente (knapp 50 Prozent) wurden auf der Grundlage von Surrogatmarkern zugelassen. Surrogatmarker (zu Deutsch: Ersatzmarker) sind die am einfachsten zu verwendenden Kennzeichen in klinischen Studien. – Sie sind aber auch die unzuverlässigsten. Dies liegt daran, dass sie biologische Anzeichen messen, die auf eine Verbesserung der Krankheit hindeuten können, statt eine Verbesserung der Krankheiten oder Symptome direkt zu beobachten.

Ein weiterer kritischer Punkt sind die zunehmend beschleunigten Zulassungen, die beispielsweise die FDA erteilt. Diese sollen nur für Medikamente erteilt werden, die einen klinischen Nutzen und erhebliche Vorteile gegenüber verfügbaren Therapien aufweisen. Obwohl damit beabsichtigt wird, den Patienten die beste verfügbare Behandlung zukommen zu lassen, ist in der Realität oft das Gegenteil der Fall. Viele dieser beschleunigten Zulassungen beziehen sich ebenfalls auf Surrogatmarker.

Zulassung ohne Nachweis von klinischem Nutzen

Eine Studie aus dem Jahr 2014 zeigt schließlich, dass seit der Einführung beschleunigter Zulassungsverfahren im Jahr 1992 die Zahl der Warnungen vor Nebenwirkungen und damit verbundene Marktrücknahmen um 35 Prozent gestiegen sind. Auch bei vielen, im Schnellverfahren zugelassenen Krebsmedikamenten zeigen Studien, dass die Arzneimittel keinen signifikanten klinischen Nutzen aufweisen. Ebenso sind keine Vorteile gegenüber verfügbaren Therapien zu erkennen.

Über ein weiteres Problem von beschleunigten Zulassungsverfahren der FDA informierten Forscher in einer 2021 veröffentlichten Studie. So lagen bei der Hälfte von 253 Arzneimitteln zum Zeitpunkt der Zulassung keine Beweise ihrer klinischen Wirksamkeit vor. Dies sei erlaubt, solange die Hersteller nach der Zulassung Studien durchführen, um „den erwarteten klinischen Nutzen zu bestätigen“, heißt es in einer Pressemitteilung.

Seit der Einführung des beschleunigten Zulassungsverfahrens in den USA sind 16 Medikamente zurückgezogen worden. Bei einigen dieser Fälle lag nie eine Studie zum klinischen Nutzen vor. Einem Bericht zufolge gab die US-amerikanische Krankenkasse Medicare von 2017 bis 2019 umgerechnet knapp 570 Millionen Euro für zehn im Schnellverfahren zugelassene Krebsmedikamente aus, die sich später als unwirksam erwiesen. Weitere 1,8 Milliarden Euro wurden für schnell zugelassene Medikamente ohne klinischen Nutzen ausgegeben.

Dieser Artikel erschien im Original auf theepochtimes.com unter dem Titel: „How Effective Is Your Cancer Medication? The Industry Might Not Even Know“ (deutsche Bearbeitung ger)

Dieser Artikel erschien zuerst in gekürzter Form in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe Nr. 61, vom 10. September 2022.



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