Rechtsmediziner Püschel zu Covid-19: „Wir müssen damit leben und sollten wieder zur Normalität zurückkehren“

„Ich bin der Hamburger Quincy“, erklärt Professor Klaus Püschel. Der norddeutsche Rechtsmediziner hatte die ersten Obduktionen an verstorbenen COVID-19-Patienten durchgeführt und herausgefunden, dass die als „Corona-Toten“ geltenden Verstorbenen teilweise unter erheblichen Vorerkrankungen gelitten hatten. Inzwischen werden seine gewonnenen Erkenntnisse in die Praxis für Behandlung von COVID-19-Patienten einbezogen.
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Rechtsmediziner Professor Dr. Klaus Püschel.Foto: AXEL HEIMKEN/POOL/AFP via Getty Images
Von 22. September 2020

Derzeit geht der Professor für Rechtsmedizin und Leiter des Instituts für Rechtsmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf davon aus, dass die Infektionen mit SARS-CoV-2 Deutschland weiterhin nachhaltig beeinträchtigen und beeinflussen werden. Allerdings müsse man seine Einstellung zu dem Virus ändern, rät Püschel.

„Wir müssen damit leben und sollten wieder zur Normalität zurückkehren“, erklärt der Rechtsmediziner speziell im Hinblick auf junge Menschen, Schüler und Kitas. In Krankenhäusern sollte man sich wieder den anderen medizinischen Erkrankungen widmen.

Die zentrale Rolle von Corona muss zurücktreten“, fordert der Hamburger Arzt. „Es ist keine Krankheit, vor der wir ganz besonders Angst haben müssen. Wir sollen sie sehen wie andere Virusinfektionen.“

Püschel geht nicht davon aus, dass die Entwicklung eines Impfstoffes oder einer angemessenen Therapie sehr schnell gehe. Daher solle man einen Weg suchen, um auch mit Corona einen Weg zurück zur Normalität zu finden. „Wenn man eine Krankheit verstehen will, muss man sie genau untersuchen“ – so das Motto des Hamburgers, der sich der Wissenschaft und den Menschen verpflichtet fühlt. Das sei auch eine Frage der Berufsehre. Deshalb müssten auch COVID-19-Patienten nach dem Tod genauestens untersucht werden.

Aus hygienischer Sicht sei das auch kein praktisches Problem. Dem Pathologen ist bislang keine einzige Infektion in Verbindung mit Sektionstätigkeit aus anderen Instituten bekannt. Von den „Corona-Toten“ gehe keine besondere Infektionsgefahr aus. „Das Virus kann nicht aus dem Leichnam rausspringen“, erklärt Püschel. Vor den Toten brauche man keinerlei Angst zu haben. Wenn man sich danach gründlich die Hände wasche, könne man die Verstorben auch berühren.

Nur noch vereinzelte Todesfälle

„In den letzten Monaten gibt es nur noch höchst vereinzelte Fälle“, betont der Rechtsmediziner. Die ersten 220 Patienten in Hamburg seien bis Ende Mai/Anfang Juni verstorben. 75 Prozent davon wurden obduziert. Die ersten hundert Verstorbenen wurden allesamt untersucht, sodass Erkenntnisse aus den Obduktionen von etwa 180 Verstorbenen vorliegen.

Die wesentlichen Erkenntnisse nach den ersten Dutzend Fällen seien ein gehäuftes Auftreten von Thrombosen und Embolien gewesen. Der erste „Corona-Tote“ sei zu Hause an Lungenembolie gestorben. „Der war gar nicht auf der Intensivstation.“

Bei der Virenausbreitung in der Lunge spielen nicht nur die Atemwege eine Rolle, die Viren verbreiten sich auch im Blut. „Da sind die Innenhäute der Blutgefäße stärker in Mitleidenschaft gezogen“, erklärt Püschel. Das beträfe insbesondere die Lunge mit Mikrothrombosen, was wiederum den Sauerstoffaustausch beeinträchtige.

Hauptzielorgan der Erkrankung sei somit die Lunge. Alle weiteren Organe einschließlich des Gehirns, die von der Virusinfektion befallen werden können, würden keine eigenständigen Krankheitserscheinungen zeigen, die den Krankheitsverlauf beeinflussen.

Aufgrund der Erkenntnisse betreiben die Ärzte bei Vorliegen von COVID-19-Erkrankungen rechtzeitig Thrombose-Prophylaxe. Insoweit seien auch die Leitsätze für Intensivbehandlungen geändert worden, betont Püschel. Auch eine spezielle Nierentherapie für COVID-19-Patienten auf Intensivstationen sei angezeigt, weil die Nieren nachhaltig in Mitleidenschaft gezogen werden.

Aktuelle Lage laut RKI

Aus dem Situationsbericht des Robert Koch-Instituts (RKI) vom 16. September 2020 geht die aktuelle Anzahl der auf SARS-CoV-2 durchgeführten Tests hervor. Mit Anzahl der Testungen erhöhen sich auch die Anzahl der positiven Ergebnisse. Trotzdem liegt der Wert der Positivenquote seit der 26. Kalenderwoche beständig bei maximal einem Prozent.

RKI-Situationsbericht vom 16. September 2020. Foto: Screenshot RKI

Nach Meldungen des Intensivbettenregisters DIVI zum 22.09.2020 befinden sich derzeit bundesweit insgesamt  270 COVID-19-Fälle in medizinischer Behandlung in einer Klinik, 146 werden invasiv beatmet. Laut RKI-Bericht vom 21. September wurden in den vergangenen sieben Tagen 10.905 Neu-Infektionen, also positiv getestete Personen, gemeldet.

Wie viele sind tatsächlich erkrankt?

Die Anzahl der positiven Tests sagt jedoch nichts über vorhandene Symptome oder gar schwerwiegende Erkrankungen der Getesteten aus. Eine Anfrage an das RKI, wie viele der positiv Getesteten tatsächlich erkrankt sind und Symptome vorweisen, beantwortete Pressesprecherin Simone Glasmacher pauschal, in dem sie auf das Dashboard der Behörde verwies. Auf dem RKI-Dashboard findet man folgende Erklärung:

Der genaue Infektionszeitpunkt der gemeldeten Fälle könne in aller Regel nicht ermittelt werden. Das Meldedatum an das Gesundheitsamt spiegele daher am besten den Zeitpunkt der Feststellung der Infektion (Diagnosedatum) und damit das aktuelle Infektionsgeschehen wider. Durch den Meldeverzug seien die Daten der letzten Tage in der Grafik  noch unvollständig und füllen sich mit den in den kommenden Tagen nachfolgend übermittelten Daten auf.  Aus dem Verlauf der übermittelten Daten allein lasse sich daher kein Trend zu den aktuell erfolgten Neuinfektionen ablesen. 

Das Erkrankungsdatum ist der Tag, an dem der Patient nach eigener Angabe bzw. nach Angabe des behandelnden Arztes mit klinischen Symptomen erkrankt ist. Das Erkrankungsdatum kann wegen der sehr zeitigen Labortests auch nach dem Meldedatum liegen. Liegt dem Gesundheitsamt das Erkrankungsdatum nicht vor, so wird alternativ das Meldedatum genutzt.



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