Zu viel Gegenwind: Lauterbachs Krankenhausreform verschoben
Gleich an mehreren Fronten sieht sich Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach derzeit massiven Widerständen gegen Reformvorhaben gegenüber. Diese könnten einige seiner zentralen Projekte empfindlich verzögern oder sogar gefährden. Streitpunkte sind zum einen die bereits im Juli des Vorjahres angekündigte Krankenhausreform, zum anderen die Pläne zur Überarbeitung der ambulanten Versorgung.
Lauterbach verspricht Erhalt unverzichtbarer Einrichtungen
Bezüglich der Krankenhausreform hatte Lauterbach am 10. Juli des Jahres erklärt, er habe sich mit den Ländern auf deren wesentliche Eckpunkte geeinigt. Das Gesetz soll einem Eintrag auf der Internetseite des Bundesgesundheitsministeriums nach zum 1. Januar 2024 in Kraft treten.
Mittlerweile glaubt der Minister offenbar selbst nicht mehr an die Einhaltung dieses Zeitplans. Der „Nordkurier“ zitiert Lauterbach mit der Aussage, dieser hoffe, die Reform bis Ostern zu beschließen. Zugleich gab er seiner Erwartung Ausdruck, dass es Bund und Ländern gelingen werde, „alle Kliniken, auf die wir nicht verzichten können, auch weiterhin am Netz zu halten“.
Kern der geplanten Reform ist die Ersetzung des derzeitigen Systems der Fallpauschalen durch Vorhaltepauschalen. Dies gebe, so das Ministerium, den Krankenanstalten „eine Art Existenzgarantie, selbst wenn sie vergleichsweise wenige Behandlungen anbieten“. Das neue System soll eine Entökonomisierung, mehr Qualität und Bürokratieabbau bewirken.
Gleichzeitig soll es jedoch mehr Spezialisierung geben. Je nach Leistungsumfang sollen die Einrichtungen bestimmten „Levels“ zugeordnet werden.
Gesetz für „kontrolliertes Krankenhaussterben“?
In Anbetracht der prekären Situation vieler Krankenhäuser glaubt Lauterbach der „Tagesschau“ zufolge nicht, dass „2024 das Jahr des Krankenhaussterbens sein wird“. Gleichzeitig könne er nicht ausschließen, dass „die eine oder andere Klinik Insolvenz anmelden muss, bevor das Gesetz richtig wirkt“.
Die Krankenhausreform solle hier vor allem verhindern, dass es „ein unsystematisches Krankenhaussterben“ gebe. Insbesondere seit der Corona-Krise sehen sich Krankenanstalten mit zum Teil erheblichen Kostensteigerungen konfrontiert. Auch zu Insolvenzen ist es gekommen – von November 2022 bis Oktober 2023 waren es nicht weniger als 34. Ohne Reform rechnen Experten bis 2030 mit einem Aus für ein Viertel aller Krankenanstalten.
In den vergangenen Monaten war es mehrfach zu Protesten gegen das Krankenhaussterben gekommen. Unter den Kliniken selbst klagten mehr als 50 Prozent über „starke Defizite bis hin zur Insolvenz“. Mehr als 40 Prozent der Allgemeinkliniken rechnen damit, ihr Behandlungsangebot einschränken zu müssen. Zu den wesentlichen Problempunkten gehörten ein fehlender Finanzausgleich für gestiegene Betriebskosten. Aber auch die Personalknappheit belaste die Abteilungen. In vielen Fällen sei es nicht mehr möglich, gesetzliche oder tarifliche Arbeitszeitvorgaben einzuhalten.
Lauterbach: Bis zum Frühjahr 2024 erhalten Krankenhäuser mehr als neun weitere Milliarden
Um weitere Insolvenzen zu verhindern, fordern Ländervertreter eine Überbrückungsfinanzierung durch ein Vorschaltgesetz. Vor allem ostdeutsche Länder wehren sich gegen den Vorwurf, Überkapazitäten zu haben. Bereits in den 1990er-Jahren mussten demnach zahlreiche Kliniken im Wege einer „Strukturbereinigung“ schließen, äußert etwa Stefanie Drese.
Die Gesundheitsministerin von Mecklenburg-Vorpommern erklärte gegenüber dem „Nordkurier“, dass es zudem einer Sockelfinanzierung für bedarfsnotwendige Krankenhäuser in dünn besiedelten Regionen bedürfe. Für die Qualität der Versorgung sei auch die Erreichbarkeit von Bedeutung. Kooperationen oder Ausnahmen müssten den notwendigen Bedarf auch in der Fläche sichern.
Lauterbach betonte demgegenüber, dass der Bund bis zum Frühjahr 2024 noch einmal 3,2 Milliarden Euro an Energiehilfen bereitstellen werde. Zudem gebe es auf der Grundlage der Planungen noch zusätzlich sechs Millionen Euro für die Pflege.
Proteste auch gegen Gesundheitseinrichtungen ohne ärztliche Leitung
Neben den Gesundheitsministern der Länder äußern derzeit jedoch auch Ärzte, Zahnärzte und Apotheker Kritik an Lauterbachs Reformpolitik. Dabei geht es vor allem um dessen Vorhaben im ambulanten Bereich. Lobbyvertreter sprechen RTL zufolge von „Arztpraxen to go“ und „Apotheken light“, die Lauterbach ermöglichen wolle.
Dem Minister, so heißt es, schwebe vor, den Krankenhaussektor zum einen zu zentralisieren, gleichzeitig in der Fläche die Gesundheitsversorgung ohne ärztliche Leitung zu forcieren. Dazu gehörten sogenannte Level-1i-Kliniken oder „Gesundheitskioske“, geleitet von „Community Health Nurses“. Zugleich würde Lauterbach den staatlichen Einfluss auf Kosten der Selbstverwaltung ausbauen.
In Regionen mit dünnem Versorgungsnetz will Lauterbach auch die Errichtung von Apotheken mit eingeschränktem Tätigkeitsbereich ermöglichen. Diese sollen betrieben werden können, ohne Notdienste anzubieten, ein Labor an der Hand zu haben oder Rezepturen anzufertigen.
„Zwei-Klassen-Pharmazie“ durch Tante-Emma-Apotheken?
Der Vorsitzende des Apothekerverbandes, Olaf Behrendt, sprach von einer möglichen „Zwei-Klassen-Pharmazie“. Die gelockerten Vorgaben brächten keine Erleichterungen. Zudem trieben die Pläne Apotheken in ein ungesundes Konkurrenzverhältnis zu Ärzten. Immerhin sollen Vorsorgeuntersuchungen zu Bluthochdruck, Cholesterin und Diabetes künftig auch in Apotheken stattfinden können.
Gleichzeitig, so Behrendt, seien die Kapazitäten der Apotheken auch bereits erschöpft. Viele Medikamente, darunter auch Antibiotika, seien nicht lieferbar. Man müsse Kunden wegschicken. Zudem sei die Honorierung aus Behrendts Sicht seit 20 Jahren auf dem gleichen Stand geblieben. Für den 29. November haben ostdeutsche Apotheker Proteste angekündigt.
Bereits Anfang des Monats hatten die Kassenärztliche Bundesvereinigung, der Apothekerverband und die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung einen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz gerichtet. Darin forderten sie diesen auf, die Lauterbach-Pläne zu stoppen.
Im „Ärzteblatt“ warf Chefredakteur Michael Schmedt Lauterbach eine „rein theoretische, expertokratische Gesundheitspolitik“ vor. Der Minister würde „Entscheidungen im politischen Elfenbeinturm“ treffen und damit weite Teile der Gesundheitsbranche gegen sich aufbringen.
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