Lauterbach verspricht neue „Pharmastrategie“

Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (SPD) will noch im November seine Pläne für eine neue „Pharmastrategie“ und ein „Medizinforschungsgesetz“ präsentieren. Beides soll helfen, wieder mehr Arzneimittel in Deutschland herzustellen.
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Das Symbolbild zeigt eine Schale mit Arzneimittelkapseln.Foto: Frank Rumpenhorst/dpa
Von 3. November 2023

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will den seit Jahren andauernden Medikamentenmangel in Deutschland mit einer neuen „Pharmastrategie“ beenden. Im Mittelpunkt werde die Frage stehen, wie man die Medikamentenproduktion zurück nach Deutschland holen könne – speziell im Bereich der Antibiotika. Seine Pläne werde er noch im November vorstellen, kündigte Lauterbach am Donnerstagabend in der ZDF-Talksendung „Markus Lanz“ an.

Er arbeite schon „seit Monaten“ zusammen mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) an dieser Pharmastrategie, sagte Lauterbach. Die Strategie werde auch ein „Medizinforschungsgesetz“ beinhalten, auf dessen Grundlage innovative Arzneimittel „schneller zur Zulassung“ gelangen sollen, erklärte Lauterbach.

Lagerhaltung als Garant für Lieferbarkeit

Seit dem August, so der Minister, greife immerhin schon eine „Kurzfristlösung“, nach dem Wirkstoffhersteller etwa in China oder Indien „sechs Monate Lagerhaltung“ für ihre Produkte „garantieren“ müssten, wenn sie einen Vertrag mit einer deutschen Krankenkasse bekommen wollten. Damit solle die Lieferbarkeit gewährleistet werden.

Diese Praxis sei natürlich „etwas teurer“ und nicht jeder Hersteller könne sich die Lagerhaltung leisten, gab Lauterbach zu bedenken. Es gebe aber auch „zahlreiche Unternehmen, die in der Lage sind, wenn der Preis stimmt, diese Lagerbestände zu bezahlen“.

In jedem Fall werde es in Zukunft zusätzlich eine „langfristige Lösung“ geben, versprach der Gesundheitsminister. Dann müssten Hersteller, die zum Beispiel Antibiotika an die deutschen Krankenkassen verkaufen wollten, mindestens 50 Prozent ihrer Produktion in Europa vorhalten.

„Wir bekommen die Feinchemie und die Wirkstoffproduktion zurück“

Derzeit existierten aber noch „alte Rabattverträge“, für die diese Bedingungen noch nicht gälten, erklärte Lauterbach. Deshalb wirkten die neuen Regelungen auch noch nicht gleich im kommenden Winter. Danach aber werde man „das Problem lösen, auch mit europäischer Hilfe“: „Wir bekommen auch die Feinchemie, die Wirkstoffproduktion, die bekommen wir zurück“, kündigte Lauterbach an (Video der Sendung auf zdf.de)

Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (SPD) war am 2. November 2023 zu Gast bei Markus Lanz.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) war am 2. November 2023 wieder einmal zu Gast bei Markus Lanz. Foto: Bildschirmfoto/zdf.de

Für Kai Joachimsen vom Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) klang Lauterbachs Argumentation nicht ganz schlüssig. Die womöglich strafbewehrte Pflicht zur Lagerhaltung sei „nichts, was jetzt den Wettbewerb“ anrege. „Im Gegenteil: Was wenig da ist, werden Sie im Zweifel nicht lagern können“, sagte Joachimsen. Zudem plädiere er dafür, die vorhandenen Medikamente lieber sofort den Patienten zur Verfügung zu stellen, anstatt sie in Lagern vorzuhalten.

Joachimsen thematisierte auch das Problem der Vertragsverhandlungen mit den Krankenkassen: Wenn ein Medikamentenhersteller zweimal hintereinander nicht den Zuschlag für einen Rabattvertrag bekomme, könne die Produktion schlicht nicht mehr über die daraus resultierende vierjährige Durststrecke weiter aufrechterhalten werden.

Die Lagerhaltung sei zwar „keine alleinige Lösung“, gab der Minister zu, „aber damit komme ich erst mal relativ schnell ins Spiel zurück“. „Wenn wir jetzt mehr ausgeben, dafür aber die Lagerhaltung machen, dann wird das nicht jedem gefallen“, präzisierte der Minister. Es sei schließlich nicht „der freundlichste Akt jedem anderen Land gegenüber, das vielleicht bisher besser weggekommen“ sei.  Lauterbach weiter:

Wenn wir innerhalb von Europa nicht die dümmsten sein wollen, dann muss das kommen. So einfach ist das.“

Chemie aus Umweltschutzgründen aufgegeben

Die Pharmazeutin Ulrike Holzgrabe sieht ebenfalls die Notwendigkeit, mehr Geld für die Versorgungssicherheit bei Arzneimitteln in die Hand zu nehmen.

Selbst wenn wieder vermehrt in Deutschland produziert würde, müsse man aber immer noch Ausgangs- und Zwischenprodukte aus China einkaufen. „Wir haben auch eine ganze Menge Chemie verloren, die wir nicht mehr machen aus Umweltgründen“, sagte Holzgrabe. Deshalb brauche man nun nicht nur mehr „Gehirnschmalz“, sondern auch mehr Geld.

SPD eine „Fortschrittspartei“ mit „sehr viel Pech“

Lauterbach hatte schon zu Beginn der Sendung betont, dass er sein Amt als Gesundheitsminister mit einem 17-Milliarden-Euro-Defizit angetreten habe, das ihm sein Vorgänger hinterlassen habe. Den Namen Jens Spahn vermied er aber. Nach der „sehr teuren“ Corona-Krise sei dann auch noch der Ukraine-Krieg gekommen, nun der Nahost-Konflikt, die Gaskrise und die „Abhängigkeit“. So gesehen sei seine SPD eine „Fortschrittspartei“, die „sehr viel Pech gehabt“ habe.

Das aktuelle Ampelbündnis sei eine kämpfende Koalition, die „die Dinge nicht wie früher einfach unter den Teppich kehrt“, sagte Lauterbach. Stattdessen versuche sie „nicht nur die Krise zu lösen, sondern auch weiter Strukturreformen zu machen“. Das bedeute allerdings „sehr viel Arbeit“. Denn das deutsche Gesundheitssystem sei „super teuer“ und „sehr ineffizient“. Das zeige sich beispielsweise in der geringen durchschnittlichen Lebenserwartung hierzulande im Vergleich zu anderen westlichen Industrieländern und auch in der „enormen Ungleichheit“.

Warten auf die große Gesundheitsreform

Lauterbach warf bei Lanz auch einen Blick in die Zukunft. Rechtzeitig zum 1. Mai 2024 werde ein Klinikatlas fertig sein, bei dem die Leute Leistungen, Fallzahlen oder ähnliche Daten von Krankenhäusern recherchieren könnten. Dies sei Teil des neuen Transparenzgesetzes, das er gegen den Willen der 16 Länder durchgedrückt habe.

Daneben werde ein „großes Gesetz“ dafür sorgen, dass bald Schluss sein werde mit dem „Hamsterradeffekt Fallpauschalen“. „Das machen wir aber MIT den Ländern“, erklärte der Gesundheitsminister.

Freie Heilberufe appellieren an Scholz

Lauterbachs Spar- und Reformideen kommen allerdings bei großen Teilen der professionell Betroffenen nicht gut an. Im Gegenteil: Die Spitzenorganisationen der Apotheker, Ärzte und Zahnärzte hatten erst vor wenigen Tagen einen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz geschickt, in dem sie ihn baten, Gebrauch von seiner „Richtlinienkompetenz“ zu machen und „die ambulante Versorgung“ zu retten.

Unterzeichnet hatten das Schriftstück Gabriele Regina Overwiening, die Präsidentin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA), Andreas Gassen, der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), und Martin Hendges, der Chef der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV). Die drei Funktionäre repräsentieren nach Angaben der „Pharmazeutischen Zeitung“ (PZ) „rund eine Million wohnortnahe Arbeitsplätze“.

Lauterbach, so der Tenor des Briefes an Scholz, gefährde mit seiner Politik „das bewährte Gesundheitssystem und setze die mittelständisch geprägte, freiberufliche Struktur aufs Spiel“. Und weiter:

Tatsächlich läuft diese Gesundheitspolitik darauf hinaus, dass zunehmend Leistungskürzungen entstehen und die vertraute ambulante Versorgung, die die Praxen und Apotheken derzeit noch stemmen, zunehmend zerstört wird. […] Die Selbstverwaltung als tragende Säule unseres Gesundheitswesens wird in ihren Handlungsspielräumen zunehmend beschnitten und in ein staatlich gelenktes System umgebaut.“

Nach Auffassung von ABDA, KBV und KZBV erstickten die Praxen in Bürokratie, seien „finanziell unzureichend ausgestattet“ und würden „mit nicht ausgereiften Digitalisierungspflichten gelähmt“, zitiert die PZ die Autoren. So lasse sich auch der „eklatante Fachkräftemangel, sowohl beim medizinischen Nachwuchs als auch bei den Medizinischen Fachangestellten“, erklären.

Gegenwind von allen Seiten

Ende September war Gesundheitsminister Lauterbach bereits während des Deutschen Apothekertags in Düsseldorf ausgebuht worden. Auch für sie plant der Sozialdemokrat eine umfangreiche Strukturreform. Viele Apotheker sehen sich schon jetzt unterfinanziert und in ihrer Existenz bedroht.

Kurz zuvor hatten auch die Krankenhäuser auf ihre prekäre Finanz- und Personalsituation aufmerksam gemacht. Flankiert von bundesweiten Demonstrationen fand am 20. September vor dem Brandenburger Tor in Berlin eine zentrale Kundgebung der Deutschen Krankenhaus-Gesellschaft (DKG) statt. Unter dem Motto „Stoppt das Krankenhaussterben!“ forderten die Beschäftigten vor allem einen steuerfinanzierten, umfassenden Ausgleich der Inflationskosten und eine nachhaltige Krankenhausfinanzierung.



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