Neues Geld für ausufernde Staatsdefizite

Die EZB finanziert die Staaten mit der elektronischen Notenpresse - und ein Ende ist nicht in Sicht schreibt Prof. Dr. Thorsten Polleit, Chefökonom der Degussa Goldhandel.
Titelbild
EZB in Frankfurt am Main.Foto: iStock

Zum Zeitpunkt der Ratsentscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB) am 4. Juni 2020 wird sich diese Ausgabe des Degussa Marktreports bereits im Druck befinden. Dennoch seien im Vorgriff an dieser Stelle einige Einschätzungen gegeben, die vermutlich mit Bekanntgabe der neuesten geldpolitischen Entscheidungen nicht irrelevant sein werden.

Die EZB wird ihre Leitzinsen sehr wahrscheinlich unverändert lassen (Hauptrefinanzierungszins 0,0%, Einlagenzins minus 0,5%). Ebenfalls sehr wahrscheinlich ist es, dass die Zentralbank ihre Anleihekäufe ausweiten wird.

Anleihekaufprogramm PEPP

Am 18. März 2020 verkündete die Europäische Zentralbank (EZB) ein neues Anleiheaufkaufprogramm, um die Euro-Geldmenge bis zum Ende des Jahres 2020 noch weiter auszudehnen. „PEPP“ heißt es (Abkürzung für „Pandemic Emergency Purchase Programme“) und hatte ein anfängliches Volumen von 750 Mrd. Euro.

Unter diesem Programm hatte sie am 29. Mai 2020 bereits Anleihen in Höhe von 234,7 Mrd. Euro aufgekauft. Das PEPP wird vermutlich um weitere ca. 500 Mrd. Euro aufgestockt und die Laufzeit des Programms in das Jahr 2021 verlängert. Die Gesamtsumme des PEPP entspräche dann einem Haushaltsdefizit im Euroraum von etwa zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes.

Mit anderen Worten: Das erhöhte PEPP wäre groß genug, um die gesamte Netto-Neuverschuldung aller Euro-Staaten mit der elektronischen Notenpresse zu finanzieren. Sollte das nicht reichen, wäre wohl mit zusätzlichen Aufstockungen des PEPP zu rechnen. Unter dem PEPP können übrigens auch kurzlaufende Verbindlichkeiten von Unternehmen (sogenannte „Commercial Paper“) sowie zusätzliche Kreditforderungen gegenüber dem Unternehmenssektor gekauft werden.

Allein im April 2020 hatte die EZB zusammen mit den nationalen Euro-Zentralbanken Anleihen in Höhe von bereits 2,7 Billionen Euro monetisiert – das heißt aufgekauft und mit neu geschaffenen Euro bezahlt. Darunter waren Staatsanleihen in Höhe von 2,2 Billionen Euro – das waren etwa 22 Prozent der gesamten Staatsverschuldung im Euroraum beziehungsweise 27 Prozent aller Staatsanleihen.

EZB versteckt sich hinter Abkürzungen – und finanziert Staaten

Übergeht man unnötige Haarspalterei, so gelangt man zum Schluss: Die EZB monetisiert die Euro-Staatsschulden vor aller Augen. Zwar verklausuliert und versteckt hinter Abkürzungen – man könnte denken, sie entstammen einer Buchstabensuppe: „APP“, „CSPP“, „PSPP“, „ABSPP“, „CBPP3“ und, jetzt neu, „PEPP“. Und die Banken erhalten natürlich auch neue Kredite unter „LTROs“ beziehungsweise „TLTRO III“, die den „TLTRO II“ nachfolgen.

Aber unvoreingenommen betrachtet, handelt sich dabei um monetäre Staatsfinanzierung, also um etwas, was laut Artikel 123 (1) AEUV ausdrücklich verboten ist.

Man beruft sich zwar auf den Zusatz, dass die Zentralbank die Staatsanleihen nicht direkt von den Staaten aufgekauft werden dürfen, sondern nur im „Sekundärmarkt“ – das heißt, nachdem die emittierten Anleihen von einem Bankenkonsortium gekauft und damit einen „Marktpreis“ erlangt haben. Doch diese Restriktion ist unter den herrschen Umständen ausgehebelt: Die Banken, die Staatsanleihen im Primärmarkt kaufen, wissen, dass diese Anleihen beim vorherrschenden Zinsniveau von der EZB angekauft werden.

Durch ihre Zusicherung, sie kaufe fortan Staatsanleihen, setzt die Zentralbank de facto maßgeblich selbst den Marktpreis, zu dem sie im Sekundärmarkt die Anleihen aufkaufen kann. Der Verweis auf die Problemlosigkeit bei Käufen im Sekundärmarkt ist also Augenwischerei – deren Ende leider nicht absehbar ist und die dafür sorgt, dass die Kaufkraft des Euro ungeniert herabgesetzt wird.

Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH

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