Wählen mit 16 – oder die Infantilisierung der Politik

Schüler, die für ihre Zukunft auf die Straße gehen, müssten auch in den Parlamenten eine politische Stimme bekommen, forderten Politikerinnen. Der Prozess der Infantilisierung der Politik ist jedoch bereits weit fortgeschritten.
Titelbild
Fridays-for-Future-Aktivisten halten im Plenarsaal des Bundestages ein Banner hoch, während ein Mann herbeieilt, um dieses zu entreißen.Foto: Christoph Soeder/dpa
Von 17. Juli 2019

Anlässlich der Wahlen zum EU-„Parlament“ forderten sowohl die Grünen-Vorsitzende A. Baerbock als auch die damalige Bundesjustizministerin K. Barley, SPD, die Einführung des Wahlrechts ab 16 Jahre für alle Parlamente. Schüler, die für ihre Zukunft auf die Straße gehen, müssten auch in den Parlamenten eine politische Stimme bekommen.

Die Wahlen, die schon lange auf dem entwürdigenden Niveau der Waschmittel-Werbung angekommen sind, spiegeln immer mehr die Praxis einer Parteien-Herrschaft, die nicht den urteilsfähigen mündigen Bürger braucht, sondern die manipulierbare Masse lenkbarer Untertanen.

Der Prozess der Infantilisierung der Politik ist jedoch bereits weit fortgeschritten. In 11 der 16 Bundesländer wurde schon bei Kommunalwahlen das Wahlalter auf 16 Jahre gesenkt, und in den 4 Bundesländern Bremen, Brandenburg, Hamburg und Schleswig-Holstein können 16-Jährige auch an Landtagswahlen teilnehmen. Mit sechzehn sei man „so erwachsen, dass man weitreichende politische Entscheidungen fällen kann“, behauptet Barley.1

Dabei weiß sie als Justizministerin, dass das Strafrecht aus langer Erfahrung erst 21-Jährige generell als Erwachsene behandelt und 18 – 21-Jährige nur in begründeten Ausnahmefällen. Zumeist werden letztere und natürlich 16 – 18-Jährige generell nach dem Jugendstrafrecht verurteilt, weil sie die Folgen ihres Handelns noch nicht abschätzen können. Auch weiß sie, dass 16 -, 17-Jährige aus gutem Grund noch keinen Mietvertrag für eine Wohnung abschließen, keinen hochprozentigen Alkohol und Zigaretten kaufen und – wegen leichter Beeinflussbarkeit und Suchtgefahr – nicht an Glückspielen teilnehmen dürfen.

Doch jeder nüchterne Beobachter kennt, wie Ramin Peymani es bei Vera Lengsfeld etwas zugespitzt formuliert, die wahren parteitaktischen Motive: „Dahinter steckt eine ebenso simple wie durchschaubare Überlegung: Teenies sind leicht beeinflussbar und für sozialistische Ideologien besonders empfänglich, da sie in der Regel weder über selbst erwirtschaftetes Eigentum noch über ein Einkommen verfügen, aber jede Menge unausgegorener Ideen und naiver Flausen im Kopf haben. Sie sind deswegen auch ein leichtes Opfer für grüne Extremisten.“

Ein Herabsetzen des Wahlalters findet seit hundert Jahren statt. Betrug das Wahlalter seit 1871 im deutschen Kaiserreich noch 25 Jahre, wurde es am 19.1.1919 auf 20 Jahre gesenkt. Nach 1945 kam es zur geringfügigen Anhebung auf 21 Jahre, der 1972 die Absenkung des aktiven Wahlalters auf 18 Jahre folgte. Und 1974 wurde mit der Volljährigkeit ebenfalls das passive Wahlalter (also die Wählbarkeit) auf 18 Jahre herabgesetzt.

Mit der weitgehenden Absenkung des aktiven Wahlalters auf 16 Jahre in kommunalen und Landesparlamenten und der Forderung auch für Bundes- und EU-Wahlen ist der vorläufige Tiefpunkt der Verständnislosigkeit dessen erreicht, was wählen eigentlich gesellschaftlich bedeutet und welche allgemeinen Entwicklungsvoraussetzungen beim wählenden Bürger vorliegen müssen.

Immerhin ist noch partiell ein Gefühl dafür vorhanden, dass für bestimmte staatliche Ämter doch eine gewisse Lebensreife notwendig ist. So müssen der Bundespräsident, der bayerische Ministerpräsident und die Richter am Bundesverfassungsgericht mindestens 40 Jahre alt sein. Auch für Landräte und Bürgermeister bestehen unterschiedliche Regelungen, die ein höheres passives Wahlalter vorsehen. In Schleswig-Holstein z. B. muss ein Landrat mindestens 27 Jahre zählen und ein Bürgermeister in Baden-Württemberg mindestens 25 Jahre. Doch das Amt des Bundeskanzlers scheint so einfach und unbedeutend, dass auch ein 18-Jähriger gewählt werden könnte. (Wikipedia)

Gesellschaftliche Bedeutung der Wahl

In der repräsentativen Demokratie erteilen die souveränen Bürger mit der Wahl einzelnen Bürgern eine Generalvollmacht, stellvertretend für sie die notwendigen Gesetze zu beschließen und die Regierung zu ernennen und zu kontrollieren, die mit ihren Verwaltungen die Gesetze durchführt. Das moderne gesellschaftliche Leben ist hochkomplex. Es umfasst komplizierte wirtschaftliche Verhältnisse und Strukturen, ein vielschichtiges Kultur- und Bildungsleben und Rechtsstrukturen, die das gesamte staatliche und gesellschaftliche Leben durchdringen. Zwar ist das staatliche Parlament eigentlich nur für das Recht im engeren Sinne zuständig, maßt sich aber seit dem Absolutismus die gesetzliche Reglementierung aller Lebensgebiete an.

Daher ist für einen Abgeordneten ein hohes Maß an gesellschaftlichem Durchblick erforderlich. Dies ist der von der Sache geforderte Anspruch. Wie weit er erfüllt wird, ja, in diesem falschen Einheitsstaat überhaupt erfüllt werden kann, ist eine andere Frage. Die Anmaßung der omnipotenten Gesetzgebung ist jedenfalls notwendig mit diesem Anspruch verbunden.2 Und dieser kann natürlich nur mit entsprechender Bildung und vor allem nicht ohne eine gehörige Lebenserfahrung, Weite des Horizontes und großem Verantwortungsbewusstsein erfüllt werden; denn mit den Gesetzen wird tief in Leben und Schicksal der Menschen eingegriffen.

Eine Generalvollmacht setzt voraus, dass der Vollmachtgeber die gleichen Kompetenzen, zumindest denselben gesellschaftlichen Durchblick hat wie der Beauftragte. Sonst kann er nicht beurteilen, ob der Gewählte geeignet ist, die Intentionen des Wählers wahrzunehmen. Das heißt, er muss zumindest ebenfalls eine gewisse Lebenserfahrung und Reife der Urteilsbildung über die gesellschaftlichen Verhältnisse besitzen und dazu die Fähigkeit, im heutigen Parteiensystem Schein und Sein, Phrase und Wahrheit, Machtgier und wirkliches Interesse am Gemeinwohl zu unterscheiden.

Der Prozess des Mündigwerdens

Es ist symptomatisch, dass der nichtssagende Begriff „Volljährigkeit“ in der Öffentlichkeit viel häufiger verwendet wird als der alte Begriff der „Mündigkeit“, dessen Bedeutung damit aus dem Bewusstsein verdrängt wird. „Der Wortstamm geht zurück auf ein althochdeutsches und altnordisches Substantiv ´mund` = Schutz, Hand; ´mundboro` war im Althochdeutschen der Vormund (der Schutzgebende). … Mündigkeit ist also die Fähigkeit, sich selbst in die Hand zu nehmen, sich selbst zu schützen.“ 3

Entsprechend heißt es auch auf Wikipedia: „Der Begriff Mündigkeit beschreibt das innere und äußere Vermögen zur Selbstbestimmung und Eigenverantwortung. Mündigkeit ist ein Zustand der Unabhängigkeit. Sie besagt, dass man für sich selbst sprechen und sorgen kann.“

Ist das bei einem 16-Jährigen, ja schon bei einem 18-Jährigen der Fall? Diese Frage können nicht die interessengeleiteten Parteipolitiker beantworten, sondern sie muss durch die objektiven Erkenntnisse der Psychologen, Anthropologen und Pädagogen geklärt werden, die durch ihre Fachkompetenz als Experten dafür zuständig sind. „Wenn Sie wissen wollen, ob Dreijährige Bonbons essen sollen, fragen Sie Experten für Dreijährige oder Experten für Bonbons?“, fragte einmal der Psychiater und Hirnforscher Prof. Manfred Spitzer seine Zuhörer. Man hat den Eindruck, im Parlament sitzen lauter Experten für Bonbons.

Ein erfahrener Lehrer weiß, dass mit der Geschlechtsreife die seelischen Kräfte des Denkens, Fühlens und Wollens der Jugendlichen von ihrer Ausrichtung auf die vertrauten Erwachsenen freiwerden und jetzt sukzessive dem eigenen, mitunter vehementen Ausleben zur Verfügung stehen. Dabei kann aber von einer sicheren Handhabe durch eine verantwortliche geistige Instanz im Inneren noch keine Rede sein. Diese Vorgänge vollziehen sich entwicklungspsychologisch in drei Schritten. Von 14 bis 16 1/3 Jahre etwa, der Zeit der seelischen Pubertät, wird das selbstständige Denken ausgebildet, bis 18 2/3 Jahre, in der Adoleszenz, das selbständige Fühlen und dann bis zum 21. Jahr, zur Mündigkeit hin, der selbständige Wille.

Das Erlebnis des eigenen, „freien“ Denkens tritt also als erstes ein. Der Jugendliche löst sich von der bis dahin mehr oder weniger selbstverständlichen Autorität der Erwachsenen und wächst in das Gefühl hinein, nun selbst etwas beurteilen zu können. Doch die Begriffe werden „von einem ungeordneten Willen umhergestoßen. Schnell wechseln die Gedanken, rasch übt man Kritik. Was der Jugendliche aber an Urteilen verkündet, kann er nur selten in Handlungen umsetzen. So können die Schüler einer 9. oder 10. Klasse zum Beispiel „große“ Gesichtspunkte für ein Fest äußern, sind aber dann froh, wenn der Lehrer die Gestaltung in die Hand nimmt.“ 4

Man hat noch das Bedürfnis, sich anzulehnen, selbst eine Autorität zu wählen, von der man die Überzeugung gewonnen hat, dass man auf ihr Urteil und Können etwas geben kann, wenn man sich ein eigenes Urteil bilden will. Von dem Erwachsenen, dem man sich jetzt freiwillig anvertraut, muss man sozusagen die Gewissheit haben: Er lässt mich frei, aber er lässt mich nicht im Stich.5 Denn untergründig ist man sich der eigenen Unsicherheit durchaus bewusst.

So wurden in der 15. Shell-Jugendstudie 2006 insgesamt 2.532 Jugendliche im Alter von 12 bis 25 Jahren gefragt: „Wie finden Sie die Idee, die Altersgrenze für die Teilnahme an Bundestagswahlen von 18 Jahren abzusenken, so dass man schon ab 16 Jahren wählen könnte?” 52 Prozent der Befragten lehnten dies ab, nur 24,7 Prozent stimmten zu, und 22,8 Prozent meinten, es sei ihnen egal.6

In der Adoleszenz, von 16 2/3 bis zum Ende des 19. Lebensjahres, setzt sich und reift immer mehr die eigene, zuvor vielfach noch chaotische Gefühlswelt. Die Gefühle verbinden sich mit hohen Idealen der Weltverbesserung, die oft mit Askese in der eigenen Lebensführung einhergehen. „Das eigene Zimmer wird ´entrümpelt`, die Einrichtung auf das Wesentliche beschränkt, Freundschaften lässt man nicht mehr so nah an sich herankommen.“ 7 Die Gedankenwelt wird jetzt existenzieller, das Denken praktischer, verbunden mit starkem Mitgefühl für die sozialen Probleme.

Im letzten Abschnitt der Jugendzeit bis zum 21. Lebensjahr tritt der Wille immer mehr in die von innen geführte bewusste Verfügbarkeit. „Das Neue an der Situation ist, dass der Jugendliche das Eingesehene und Gefühlte jetzt auch tun kann. ´Erfahrung` wird zu einem Lieblingswort dieser Zeit. Die Urteilskraft kann sich mit dem selbständig gewordenen Willen verbinden und ihm seine Ziele geben. Das Denken erfüllt sich mit Willensqualität; damit erreicht es die Realität und kann sie verändern.“ Auch die eigenen Bewegungen werden von innen durch den Willen geprägt. Die innere Instanz, von der der Wille ausgeht und geführt wird, das eigene Ich, wird frei und erwacht zu sich selbst.

Nun erst wird um das 21. Lebensjahr herum die Möglichkeit der Mündigkeit erreicht.

Ein Wahlrecht unterhalb dieses Zeitpunktes ist ein Irrsinn und verrät die Absicht, manipulierbare Urnengänger zu gewinnen – eine gravierende Verfallserscheinung der immer skrupelloser werdenden dekadenten Parteien-Herrschaft zum eigenen Machterhalt.

Die Zwanzigerjahre

Doch auch jetzt, nach Schule oder Lehre, ist das Lernen noch nicht vorbei, sondern beginnt in eigener Führung erst so richtig: in der Schule des Lebens. Man ist ja sozusagen noch immer grün hinter den Ohren. Das Elternhaus wird spätestens jetzt verlassen, um irgendwo zu studieren oder in wechselnden Stellungen zu arbeiten. Viele machen große Reisen, wollen die Begrenztheit des bisherigen Horizontes erweitern und die Welt kennenlernen. Es ist die Zeit der größten natürlichen Intelligenz, in der der Mensch auch am meisten lernen kann, die ideale Zeit der Wanderjahre. Das wachsende Bewusstsein und Selbstbewusstsein will sich die Welt erobern und sich seelisch und geistig bereichern.

Aber Denken und Wollen werden in dieser Zeit von starken Empfindungen beeinflusst, durch die die Welt wahrgenommen wird. Man kommt noch leicht in einen Überschwang der Gefühle, mit denen Verhältnisse beurteilt, und in einen Enthusiasmus hinein, mit dem Ziele verfolgt werden. Die Klarheit und Gründlichkeit des Denkens kann dadurch stark beeinträchtigt werden. Die Intelligenz wird mitgerissen und für vordergründige Argumentationen brillant instrumentalisiert. Diese Entwicklungsbedingungen können von Partei-Ideologen geschickt gelenkt werden, um die Jugend an sich zu binden.

Bei allen gefühlsmäßigen und intelligenten Höhenflügen der Zwanzigerjahre muss immer berücksichtigt werden, dass noch keine ausreichende Erfahrung der Welt und der Menschheit vorhanden ist, sie soll erst in dieser Zeit erworben werden. Es ist die Zeit des Wachsens und Klärens immer umfassenderer Erkenntnisse, die erst für ein Urteilen und Handeln im Großen aus Erkenntnis möglich machen. Daher bemerkte Goethe in seinen „Sprüchen in Prosa“:

„Im Durchschnitt bestimmt die Erkenntnis des Menschen … sein Tun und Lassen; deswegen auch nichts schrecklicher ist, als die Unwissenheit handeln zu sehen.“

Ein österreichischer Arzt, der aus seinen langen ärztlichen Erfahrungen viele biographische Studien angestellt hat, resümierte:
„Bis gegen das 28. Jahr etwa hat der Mensch schließlich einen Zustand erlangt, nachdem all die kleineren oder größeren Krisen überwunden wurden, der es ihm ermöglicht, ein gewisses Ziel im Dasein zu erreichen. Er hat den äußeren Ablauf der Welt im tagtäglichen Leben in sich aufgenommen. Er hat Abenteuer erlebt, er hat vielleicht gute, vielleicht üble Erfahrungen gesammelt. In seinem Arbeitskreis kennt er sich aus; wie ein erfahrener Reisender seine Landkarte genau kennt, so weiß man nun Bescheid über die Welt und wie man in ihr steht.“ 8

Der Mensch ist jetzt in der Lage, sich ein gewisses hohes Maß an gesellschaftlichem Durchblick zu verschaffen.

Daher sollte das Wahlalter eigentlich auf das 28. Lebensjahr festgesetzt werden – was natürlich, so lange diese dekadente Parteien-Oligarchie 9 besteht, illusorisch ist.
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1   vera-lengsfeld.de 5.3.2019
2   Vgl. Der Systemfehler
3   Christoph Göpfert: Der Prozess des Mündigwerdens, in
Chr. Göpfert (Hrsg.): Jugend und Literatur, Stuttgart 1993, S. 22
4   a.a.O. S. 23 f.
5   Vgl. Willi Aeppli: Wesen und Ausbildung der Urteilskraft, Stuttgart 1963, S. 48
6   kas.de
7   Göpfert Anm. 3, S. 23
8   Norbert Glas: Jugendzeit und mittleres Lebensalter, Stuttgart 1960, S. 69
9   Siehe: Das Verhängnis der politischen Parteien

Zuerst erschienen auf FASSADENKRATZER

Herbert Ludwig ist Buchautor und Betreiber des Blogs Fassadenkratzer.wordpress.com. Er veröfeentlicht dort in möglichst regelmäßiger Folge von ca. 10 – 14 Tagen Aufsätze von sich oder Geistverwandten zu Themen des Zeitgeschehens, in denen versucht wird, exemplarisch nach der tiefer liegenden Wahrheit zu suchen.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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