So schmutzig ist Deutschlands atomfreie Stromlandschaft

Auf dem Weg zum emissionsfreien Industrieland hat Deutschland noch eine weite Strecke zu bewältigen. Ein Blick auf den Status quo der Stromerzeugung sieben Tage nach dem Ende der Atomkraft.
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Ohne Kohlestrom geht es nicht: Die Stromlandschaft in Deutschland ist wesentlich schmutziger als in Nachbarländern.Foto: Gerd Harder / iStock
Von 23. April 2023

Seit dem 16. April ist die Kernenergie auf deutschem Territorium tot: Mit den drei letzten verbliebenen AKWs verschwand über Nacht ein Potenzial von 34,7 Terawattstunden (TWh) elektrischer Energie, das die Kraftwerke nach Angaben des Statistischen Bundesamtes pro Jahr zuletzt zum Strommix beigesteuert hatten. Das entsprach laut „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (RND) gut sechs Prozent der gesamten deutschen Brutto-Produktionskapazität. Die lag 2022 nach Angaben des Statistischen Bundesamtes bei 571,3 TWh.

Die Strommenge aus den AKWs hätte nach Informationen des „Bayerischen Landwirtschaftlichen Wochenblatts“ für mehr als 9 Millionen Privathaushalte ausgereicht, vorausgesetzt, diese verbrauchten jeweils nicht mehr als 3.500 Kilowattstunden im Jahr.

Wie also wird die Lücke nun aufgefüllt? Wie das Onlineportal „Electricitymaps“  zeigt, ist Deutschland zuweilen auch auf Stromimporte angewiesen, obwohl es selbst wegen Vertragsverpflichtungen auch exportieren muss.

Wir haben an sieben zufällig ausgewählten Zeitpunkten zwischen Dienstag, 18. April, 13:30 Uhr und Freitag, 21. April, 9:30 Uhr nachgesehen, aus welchen Ländern Deutschland importiert beziehungsweise exportiert. Drei Messzeitpunkte lagen jeweils kurz nach 13:00 Uhr, zwei am frühen Morgen gegen 7:00 Uhr und einer am Abend gegen 18:30 Uhr.

Frankreich und Dänemark unverzichtbar, Luxemburg und Schweiz Nehmerländer

Aus Ostdänemark und Frankreich floss der Strom stets in Richtung Deutschland: aus Frankreich im Schnitt 676 MW, aus Ostdänemark 656 MW. Auch aus Westdänemark, Belgien und den Niederlanden wurde insgesamt mehr Strom nach Deutschland geliefert als umgekehrt.

Reine Empfängerländer waren die Schweiz und Luxemburg. In die Schweiz wurden pro Messzeitpunkt im Schnitt 1.459 MW geliefert, nach Luxemburg durchschnittlich 295 MW. Polen war ebenfalls überwiegend auf Stromimporte aus Deutschland angewiesen. Nur an zwei Zeitpunkten gab es keinen Austausch bzw. nur eine geringfügige 74-MW-Lieferung von Polen nach Deutschland.

Aus Tschechien wurden zwei Mal erwähnenswerte Mengen importiert, aber fünf Mal auch dahin exportiert. Hin und Her ging es auch zwischen Deutschland und Österreich.

Betrachtet man sämtliche Lieferungen zu allen sieben Messzeitpunkten, exportierte Deutschland unterm Strich etwas mehr Strom, als es einkaufen musste, nämlich 876 MW.

CO₂-„Sünder“ und Sauberländer

Wenig überraschend lag die „Carbon Emission Intensity“, also die Intensität des Kohlenstoff-Ausstoßes pro Kilowattstunde, bei Exportstrom aus Deutschland in der Regel höher als der des Importstroms: Die angegebenen Messwerte lagen zwischen 317 und 458 CO₂eq/kWh. Nur Polen lieferte mit 821 CO₂eq/kWh deutlich „dreckigeren“ Strom. Noch, denn der östliche Nachbar plant ja bereits den Einstieg in die Kernkraft. Der zweitgrößte Wert wurde am Mittwoch früh gegen 6:40 Uhr aus Tschechien vermeldet: Jede gelieferte Kilowattstunde war mit 508 CO₂ belastet.

Am „saubersten“ produzierten erwartungsgemäß die Atomkraftnationen Frankreich (maximal 63 CO₂eq/kWh) und Belgien (maximal 138 CO₂eq/kWh) ihre Stromexporte nach Deutschland.

Deutschlands Alternativen

Die hohen CO₂-Werte aus Deutschland, das eigentlich ein weltweites Vorbild in Sachen Emission sein will, geht auf den hohen Anteil an Kohlestrom zurück. 2022 machten Braun- und Steinkohle mit 169,9 TWh ziemlich genau ein Drittel der Produktion aus und bilden damit die momentan wichtigsten Energieträger zur Stromproduktion. Tendenz: steigend.

Erdgas zum Verstromen lag im Ukraine-Kriegsjahr 2022 noch bei 13,8 Prozent der Brutto-Produktionskapazität, nur 1,6 Prozentpunkte unter dem Wert des Vorjahres. Tendenz: Sinkend.

Und die sogenannten „erneuerbaren Energien“? Die funktionieren bekanntlich ja nur dann, wenn der Wind weht und die Sonne scheint. Denn mit Wasserkraft (3,0 Prozent Anteil 2022), „biogenem“ Hausmüll als Brennstoff (1,0 Prozent Anteil) und erst recht per Geothermie (0,03 Prozent) lässt sich kaum etwas ausrichten. Lediglich bei der Biomasse (7,7 Prozent Anteil) liegt Deutschland seit Jahren konstant über sieben Prozent.

Habeck setzt auf Windkraft – Ausbau geht langsam voran

In Sachen Wind, immerhin schon jetzt die zweitstärkste Quelle im deutschen Strommix, wurden laut „Strom-Report.com“ 2022 rund 123 TWh erzeugt, im Jahr davor etwa 113 TWh. Bleibt es bei einer ähnlichen Steigerung von rund zehn Prozent, könnte man für 2023 mit etwa 135 TWh rechnen.

Wenn noch mehr und noch schneller ausgebaut würde, könnte das unter anderem hohe Kosten und einen immensen Landschaftsverbrauch bedeuten. Doch genau das ist der Plan von Wirtschaftsminister Robert Habeck und der ganzen Ampel-Koalition: Bis 2030 sollen die Windräder laut MDR mit neuen Förderprogrammen und beschleunigten Planungs- und Genehmigungsverfahren an Land 115 Gigawatt Leistung erreichen, Offshore 30 Gigawatt.

Derzeit hinkt die Realität der Zielsetzung aber weit hinterher: Für Landanlagen werde nur 32,5 Prozent des erforderlichen Ausbautempos erreicht, auf See sogar nur 17,7 Prozent. Ob die „Energiewende“-Ziele der Ampel überhaupt noch erreicht werden können, steht in den Sternen. Das Magazin „Cicero“ geht jedenfalls davon aus, dass Habecks „ehrgeizigen Windkraftausbaupläne nicht zu halten und seine Erzählungen vom noch schnelleren Kohleausstieg vollkommen wirklichkeitsfremde Märchen sind“.

Unstrittig dürfte dagegen sein, dass die Luft hauptsächlich im Herbst und Winter in Bewegung gerät – und im Sommer mit einer geringeren durchschnittlichen Ausbeute zu rechnen ist.

Viel zu tun in Sachen Solarstrom

Dafür ist im Sommer naturgemäß mit vermehrter Lichteinstrahlung zu rechnen. Sonnenstunden gab’s nach Angaben des Statistischen Bundesamtes deutschlandweit 2022 durchschnittlich 2.025. Von den insgesamt 8.760 Stunden des Jahres kann somit nicht einmal ein Viertel für eine effektive Stromgewinnung genutzt werden.

Die Sonnenkraftwerke, sprich: Photovoltaikanlagen, leisteten 2022  trotzdem mit rund 58 TWh im Jahr (Quelle: Fraunhofer-Instituts für solare Energiesysteme ISE, PDF) immerhin 10,9 Prozent Anteil an der hiesigen Bruttostromerzeugung – Tendenz steigend.

Nach Paragraf 4 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG 2023)  ist ein Ausbau der Photovoltaikanlagen auf 215 GWP bis zum Jahr 2030 und auf 400 GWP bis 2040 vorgesehen. Ende 2022 war nach Angaben des Fraunhofer-Instituts erst eine Leistung von 66,5 GWP installiert, „verteilt auf 2,65 Millionen Anlagen“. Ein schnellerer Ausbau wird hohe Kosten und noch mehr zugebaute Flächen bedeuten.

Kosten in Billionenhöhe

Apropos Kosten: Das Fraunhofer-Institut für solare Energiesysteme hatte bereits im November 2015 eine Analyse über die Kosten der „Energiewende“ bis zum Jahr 2050 vorgelegt. Vorausgesetzt wurde damals eine um 20 bis 40 Prozent höhere Stromnachfrage, verglichen mit dem Berichtsjahr.

Das Institut ging selbst im günstigsten Szenario – mit gleichbleibenden Preisen für fossile Energieträger und sogar niedrigeren Kosten für Co2-Zertifikate – von einer 25-prozentigen Mehrbelastung aus: Rund 1.100 Milliarden Euro insgesamt würden aufzuwenden sein. Das entspräche im Schnitt gut 31 Milliarden Euro pro Jahr. Dass aus Russland seit dem 1. Januar 2023 keinerlei Energie mehr gekauft wird, hatten die Experten dabei noch nicht auf dem Schirm.

Göring-Eckhardt glaubt an sinkende Preise

Dass durch die „Energiewende“ höhere Kosten auf die Endverbraucher zukommen könnten, hält Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckhardt allerdings für unwahrscheinlich: „Der Strompreis wird natürlich günstiger werden, je mehr Erneuerbare wir haben“, sagte die Grüne Spitzenpolitikerin in der Sendung MDR aktuell. „Wind und Sonne“ bekämen die Menschen „immer kostenlos“. Die Infrastruktur- und Wartungskosten blendete Göring-Eckardt dabei einfach aus.

Der Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Peter Adrian, meint dagegen, dass Deutschland bis auf Weiteres auf alle verfügbaren Energieträger angewiesen sei, denn beim Thema Versorgungssicherheit sei das Land „noch nicht über dem Berg.“

Eine breite, aktualisierte Datenbasis zur öffentlichen Nettostromerzeugung in Deutschland finden Sie unter „energy-charts.info“. Über aktuelle Stromausfälle können Sie sich bei der „Störungsauskunft“ informieren.



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