Corona-Bonds noch nicht passé: Was eine Schuldensozialisierung schwierig macht
Nach der 30-minütigen Abendsitzung der EU-Finanzminister endete die Einigung über das Corona-Hilfspaket mit einem kurzen Beifall, wie mehrere Medien übereinstimmend berichteten. Doch der sensibelste Punkt, die Corona-Bonds, wurde verschoben. Die Staats- und Regierungsschefs sollen sich noch einmal treffen, hieß es. Bedenken gibt es wegen der Schuldensozialisierung.
Insgesamt umfasst das Krisenpaket vier Teile: Neben Kreditzusagen des ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus) von bis zu 240 Milliarden Euro gehören dazu Darlehen der Europäischen Investitionsbank für Firmen von bis zu 200 Milliarden Euro sowie weitere 100 Milliarden Euro zur Förderung von Kurzarbeit. Darüber hinaus ist ein Wiederaufbaufonds geplant, wobei Volumen und Finanzierung noch nicht geklärt sind.
Weite Verwendung für Kreditnehmer?
Inwieweit die 240 Milliarden Euro des ESM nur für gesundheitsbezogene Ausgaben verwendet werden sollen, ist nicht ganz klar formuliert.
Den Niederlanden war bislang sehr daran gelegen, dass die in Diskussion stehenden Kredite des ESM nicht als Basis für die wirtschaftlichen Folgen der Krise verwendet werden. Deswegen wurde vereinbart, das Geld nur für die Folgen des Gesundheitssystems zu verwenden. Vor dem Treffen der EU-Finanzminister sagte der Ministerpräsident der Niederlande noch einmal: „Das gilt nicht für die Nutzung des ESM (…), um die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise zu bekämpfen.“
Doch das Geld könne „für die direkten und die indirekten Folgen“ der Krise verwendet werden, sagte Eurogruppen-Chef Mario Centeno. Der Zusatz „indirekt“ schwächt die Verwendungseinschränkung demzufolge ab.
Der Finanzminister der Niederlande twitterte nach der Vereinbarung:
Der #ESM kann Ländern ohne Bedingungen für medizinische Ausgaben finanzielle Hilfe leisten. Sie wird auch für wirtschaftliche Unterstützung zur Verfügung stehen, jedoch mit Bedingungen. Das ist fair und vernünftig.“
Das sagen die Parteien zum 500-Milliarden-Deal
Den Grünen-Bundestagsabgeordneten Franziska Brantner und Sven-Christian Kindler zufolge reichen die beschlossenen Maßnahmen „nicht zur Wiederankurbelung der Wirtschaft in Europa“ aus. Sie sprachen sich für „einmalige gemeinsame europäische Anleihen“ aus.
Für Linken-Fraktionsvize Fabio De Masi müsse die Europäische Zentralbank „auch öffentliche Investitionen finanzieren, um das Risiko von Staatspleiten abzuwenden“, so der Linken-Politiker.
Der haushaltspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Eckhardt Rehberg, begrüßte, dass in dem Hilfspaket Corona- oder Eurobonds „nicht vorgesehen“ seien. Mit Blick auf den Wiederaufbaufonds und die dort erwähnten „innovativen Finanzinstrumente“ wies er darauf hin, dass die Unionsfraktion eine Einführung von „Eurobonds“ nicht mitgehe. Es brauche eine Finanzierung „ohne Schuldenvergemeinschaftung“.
FDP-Chef Lindner forderte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auf, dass sie beim Thema Corona-Bonds „standhaft bleiben“ müsse. Das Thema sei „nicht vom Tisch“. Doch Vergemeinschaftung von Schulden sei der falsche Weg. „Deutschland würde haften, hätte aber keinen Einfluss auf die Haushaltspolitik anderer Länder“, fügte Lindner hinzu.
Theo Waigel: Corona-Bonds erfordern gemeinsame Kontrolle der Haushalte
Im Text der EU-Finanzminister zum Wiederaufbaufonds heißt es nur: Auch „innovative finanzielle Instrumente“ seien nicht ausgeschlossen, sofern diese „im Einklang mit den EU-Verträgen stehen“. Corona-Bonds sind mit keinem Wort erwähnt.
Vonseiten Italiens hieß es direkt nach der Sitzung: Die von Rom kritisierten Bedingungen für ESM-Kredite seien „vom Tisch“. Gleichzeitig blieben „europäische Bonds auf dem Tisch“.
Der Finanzminister der Niederlande twitterte kurz nach der Einigung:
Wir sind und bleiben gegen #Eurobonds. Wir sind der Meinung, dass dieses Konzept Europa oder der NL (Niederlande) auf lange Sicht nicht helfen wird.“
Vor der Sitzung der EU-Finanzminister am Donnerstagabend sprach Bundeskanzlerin Angela Merkel sich wegen der gesamtschuldnerischen Haftung nochmals gegen die Corona-Bonds aus.
Doch nicht nur die Haftung könnte so manchem Staat unwohl sein. Der frühere Bundesfinanzminister Theo Waigel sagte am Dienstag (7.4.), also noch vor der Einigung, gegenüber der „Süddeutschen“, dass „gemeinschaftliche Anleihen (…) auch eine gemeinsame Kontrolle der Haushalte voraussetzen. Dazu habe ich nichts gehört, dass die Staaten dazu bereit sind“, sagt Waigel.
Sind Corona-Bonds verfassungswidrig?
Dazu kommt die Frage: Stünden Corona-Bonds überhaupt im Einklang mit dem Gesetz? Waigel sagt „Nein“, denn die „No-Bail-out-Klausel“ oder auch „Nichtbeistandsklausel“ (Artikel 125 AEU-Vertrag) erlaube das nicht. Sogar an einer „zeitlich und vom Volumen her begrenzte Anleihe“ hege Waigel „hohe europarechtliche“ Bedenken. Waigel war in den 90er-Jahren an der Konzeption der No-Bail-out-Klausel maßgeblich beteiligt. Waigel hält es für möglich, dass das Bundesverfassungsgericht die Corona-Bonds als verfassungswidrig einstuft.
Die „Süddeutsche“ berichtet weiter, das Referat für EU-Grundsatzangelegenheiten kam zu dem Ergebnis, Corona-Bonds seien im Grundsatz rechtlich unbedenklich. „Epoch Times“ konnte diese Quelle nicht verifizieren. Stattdessen war im Netz ein Arbeitspapier des Referats zu finden, das in Bezug auf Schuldensozialisierung ebenfalls von verfassungs- und europarechtlichen Zweifeln berichtet. Das Dokument konnte ebenfalls nicht verifiziert werden, da es als internes Dokument von „vero-baustoffe“ hochgeladen wurde. Das Dokument scheint aber plausibel.
Das Referat verweist dabei auf das Grünbuch der Kommission aus 2011 und verschiedene Bundesverfassungsgerichtsurteile aus den Jahren 2007, 2011 und 2014. Auf der einen Seite gelte es zu verhindern, dass es zu einer „zweiten Staatsschuldenkrise“ komme, doch auf der anderen Seite solle verhindert werden, dass „kollektive Haftungssysteme“ entstehen, die „schon lange gefordert“, aber nicht durchgesetzt werden konnten, zitiert das Referat mediale Berichterstatter.
Ähnlich argumentierte auch die AfD in Bezug auf die Schuldensozialisierung. Eine solche Vergemeinschaftung von Schulden [wäre] ein klarer Bruch des EU Vertrages, heißt es.
Hans-Werner Sinn: Schuldensozialisierung führt zu Hass und Streit
Nach Hans-Werner Sinn würden Corona-Bonds „in erster Linie [außerdem] nicht Italien, sondern die französischen Banken, die besonders viele italienische Staatspapiere halten“, stützen. Dies sagt er in einem am 5.4. veröffentlichten Interview mit „The European“.
„Auf Dauer führen sie unweigerlich zu einer Verschuldungslawine, die nichts als Hass und Streit übrig lassen wird wie einst die Vergemeinschaftung der Schulden durch Alexander Hamilton in den USA [ab 1835]“, fügte Sinn hinzu.
Sinn verweist dabei auf die Masseninsolvenzen der US-Einzelstaaten infolge der „Schuldensozialisierung“.
(Mit Material von AFP)
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