China: Machtkampf und Totenfeier – wann kommt die Abrechnung?

Nach dem Tod von Chinas Ex-Diktator Jiang Zemin veranstaltete die Kommunistische Partei Chinas eine Trauerfeier. KP-Chef Xi Jinping hielt eine lobende Rede. Doch hinter den Kulissen herrscht ein eisiger Machtkampf. Xi hat eigene Pläne mit dem von Jiang erbeuteten Vermögen.
Titelbild
KPC-Führer Xi Jinping (l) und der ehemalige Führer Jiang Zemin (r) auf dem Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas in Peking am 24. Oktober 2017.Foto: Wang Zhao / AFP via Getty Images
Von 16. Dezember 2022

Am 30. November verstarb der ehemalige chinesische Staats- und Parteichef Jiang Zemin im Alter von 96 Jahren in seiner Hochburg Shanghai. Vor Kurzem meldete der staatliche chinesische Auslandssender „Radio China International“ (ehemals „Radio Peking“), dass am Sonntag, dem 11. Dezember, die „Asche des Genossen Jiang Zemin“ auf Wunsch von ihm und seiner Familie „an der Mündung des Jangtse-Flusses ins Meer gestreut“ worden sei. Die Einäscherung der Überreste des ehemaligen „Obersten Führers“ von China (1989 – 2002) fand demnach am 5. Dezember in Peking statt.

Führer, Marxist und KP-Kämpfer

An diesem Tag sollte auch die Trauerzeremonie der Kommunistischen Partei Chinas (KPC) in der Großen Halle des Volkes in Peking abgehalten werden. Chinas derzeitiger Führer, Xi Jinping, nannte seinen Vorvorgänger Jiang in seiner fast einstündigen Rede unter anderem einen herausragenden Führer des chinesischen Sozialismus, „großen Marxisten“ und einen „bewährten kommunistischen Kämpfer“.

Vielleicht aufgrund der aktuellen „White Paper“-Proteste in China ging Xi Jinping unüblicherweise auch auf ein Tabuthema ein – die Studentenproteste von 1989. Xi bezog sich auf die Niederschlagung der aus Parteisicht „schweren politischen Unruhen“ und erklärte, dass „Genosse Jiang“ die „richtige Entscheidung des Zentralkomitees der KPC“ bestätigt und umgesetzt habe – nämlich, „sich klar gegen die Unruhen zu wehren, Chinas sozialistische Staatsmacht zu verteidigen und die grundlegenden Interessen des Volkes zu schützen“, so Xi.

Wie die Geschichte festhält, kam Jiang Zemin am 24. Juni 1989, 20 Tage nach der blutigen Niederschlagung der Studentenbewegung auf dem Tian’anmen-Platz in Peking an die Parteispitze. Gleichzeitig wurde sein Vorgänger Zhao Ziyang entmachtet, weil er Sympathie für die protestierenden Studenten gezeigt hatte. Fast 16 Jahre lang stand Zhao unter Hausarrest, bis er 2005 verstarb.

Während man sich im Westen vor allem daran erinnert, dass es in der Zeit von Jiang Zemin gewisse marktwirtschaftliche Reformen zwischen 1998 und 2003 gegeben habe, schreibt die „Zeit“, dass diese in Wirklichkeit maßgeblich von Jiangs damaligem Premierminister Zhu Rongji vorangetrieben und umgesetzt wurden. Zu Jiangs Trauerfeier sei Zhu, heute 94, jedoch nicht gekommen, ganz im Gegensatz zu Jiangs Nachfolgern, Ex-Präsident Hu Jintao und Ex-Premier Wen Jiabao.

Erbitterter Machtkampf hinter der Trauermaske

Von Yuan Hongbing, einem bekannten chinesischen Schriftsteller und Juristen, der in Australien im Exil lebt, erfuhr die chinesischsprachige Epoch Times, dass der Inhalt von Xi Jinpings Grabrede für Jiang Zemin im Wesentlichen von Zeng Qinghong vorgegeben worden sei. Der ehemalige Vizepräsident der Hu-Jintao-Regierung galt neben Zhou Yongkang als engster Vertrauter von Jiang Zemin. Zhou Yongkang, einst mächtiger Stasi-Chef von China, wurde von Xi Jinping 2013 entmachtet und wegen Korruption, Machtmissbrauch und Geheimnisverrat aus der Partei ausgeschlossen. Seine angedrohte Todesstrafe wurde in lebenslange Haft umgewandelt. Zhou soll zudem am Organraub an lebenden Falun-Gong-Praktizierenden maßgeblich beteiligt gewesen sein.

Doch warum sollte Xi Jinping diese Rede halten? „Wenn die Trauerfeier nicht nach diesen Bedingungen abgehalten worden wäre, hätte Jiangs Familie zusammen mit Verwandten und Freunden eine persönliche Trauerfeier für Jiang Zemin organisiert“ – ohne Zutun des Zentralkomitees der KPC. Daher habe Xi Jinping unter einer solchen Erpressung einen „großen, frustrierenden Kompromiss“ eingehen müssen, erklärte Yuan. Dass Xi sich überraschend darauf eingelassen hatte, soll den Informationen nach auf Anraten von Propagandachef Li Shulei erfolgt sein.

Li habe den Vorschlag gemacht, die Forderungen von Jiangs Familie zu erfüllen, um im derzeitigen Moment keine große Spaltung innerhalb der Partei zu verursachen. Laut Yuan habe die Jiang-Fraktion den Tod von Jiang nutzen wollen, um sich gegen Xi zu wenden. Sie hätten jedoch nicht erwartet, dass Xi ein so großes Zugeständnis machen würde, indem er die Trauerfeier genau nach ihren Vorstellungen durchführte. Dies komme einer Entschärfung der Lage durch Xi gleich. „Seitdem ist die sogenannte Jiang-Fraktion ein absterbender Baum“, meinte Yuan.

Xis nächste Säuberung wird kommen

Doch wie geht es weiter? Yuan: „Partei-Insider sagen, dass (Xi) nach dem Volkskongress im März nächsten Jahres definitiv den Deckmantel der Korruptionsbekämpfung benutzen wird, um eine umfassende Säuberung der Überreste von Jiang Zemins Fraktion durchzuführen.“ Dabei gehe es auch um die Beschlagnahmung des großen Familienvermögens. Xi werde das Geld in drei Bereichen einsetzen: „erstens als geheime Finanzierung für die Vorbereitung des Krieges in der Taiwanstraße, zweitens für die Aufrechterhaltung der Stabilität und drittens zur Linderung der dringendsten finanziellen Schwierigkeiten auf zentraler und lokaler Ebene“, so Yuan.

Von dieser großen Säuberung durch die Zentrale Kommission für Disziplinaraufsicht der KPC sollen auch eine große Anzahl von Beamten und Privatunternehmer betroffen sein, deren Geld- und Machtgeschäfte mit der Jiang-Fraktion verbunden seien. Das alles komme, sobald Xis Leute den Staatsrat, den Ständigen Ausschuss des Nationalen Volkskongresses und die Politische Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes vollständig nach den Sitzungen im März 2023 übernommen hätten.

Xi Jinping war in der vorbereiteten Rede nur in einem wichtigen Punkt von der Vorlage abgewichen. Xi hatte die Aussage entfernt, dass Jiang die von Deng Xiaoping eingeführte Amtszeitbegrenzung für führende Kader vorbildlich umgesetzt habe. Denn Xi Jinping war es, der diese Begrenzung für sich wieder rückgängig gemacht hatte. Infolge dessen wurde Xi zum dritten Mal zum Parteiboss „gewählt“ und wird auch im Frühjahr 2023 zum dritten Durchgang als Staatschef eingesetzt werden.

„Ein glücklicher Tag für das einfache Volk“

Während man in Peking den Tod von Jiang Zemin – zumindest offiziell – betrauerte, freuten sich die Chinesen in den Vereinigten Staaten über das Ableben des Ex-Diktators. Berichten der chinesischsprachigen Epoch Times zufolge versammelte sich eine Gruppe Menschen vor dem Generalkonsulat von China in Los Angeles, um Jiangs Ableben mit Trommeln und Transparenten zu feiern. Die Menschen warfen ihm zahlreiche Verbrechen gegen das chinesische Volk vor. Auf einem großen Banner stand: „Der KPC-Tyrann Jiang Zemin wird für seine Verbrechen und sein abscheuliches Erbe in der Hölle bestraft.“

Jie Lijian, ein in die USA geflüchteter chinesischer Demokratieaktivist, erklärte den Reportern: „Der Tod von Jiang Zemin ist ein glücklicher Tag für unser einfaches Volk. Heute haben wir Gongs und Trommeln mitgebracht, um das glücklichste Fest für das chinesische Volk zu feiern.“ Damit wolle man der KPC zeigen, „dass Jiang Zemin so gehasst wird“, sagte der Exil-Chinese. Jetzt, da Jiang Zemin tot sei, verbleibe noch sein „Gift und seine bösen Mächte“, die das einfache Volk immer noch schwer verfolgten. „Sein Tod bedeutet nicht das Ende.“ Man werde die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die er begangen habe, weiter aufdecken, versprach der Dissident.

Zu den Trauerfeiern in China meinte Jie, dass die Partei Jiangs Tod benutze, um die Bevölkerung weiterhin einer Gehirnwäsche zu unterziehen. Man wolle von den „White Paper“-Protesten ablenken. Leute aus Peking hätten erklärt, dass die Partei Statisten für die Trauerfeiern engagiere – 130 Yuan soll es pro Tag geben (knapp 18 Euro). Menschen mit Gewissen würden sich aber nicht dafür hergeben. Selbst in Shanghai hatte man offenbar den Eindruck, dass keiner sich dafür interessierte.

Die in Shanghai lebende niederländische Journalistin Eva Rammeloo schrieb auf Twitter: „Um 10 Uhr morgens ertönten in Shanghai anlässlich des Todes des ehemaligen Präsidenten Jiang Zemin Sirenen. In der U-Bahn musste man aufstehen und drei Minuten lang trauern, sagte ein Freund. Aber alle blieben einfach sitzen. Jiangs Tod scheint kein Ereignis zu sein.“

Jiang, der Volksverfolger

Ein anderer vor dem chinesischen Generalkonsulat in Los Angeles anwesender Dissident, Huang Jianbin, erinnerte daran, dass die groß angelegte Korruption in der Partei und beim Militär in der Jiang-Ära begonnen habe. Auch Chinas Ein-Kind-Politik wurde in der Zeit von Jiang Zemin bis ins Extrem getrieben, inklusive Zwangssterilisationen und der Tötung von Föten durch Zwangsabtreibungen.

Huang erinnerte auch an Jiangs Weg zur Macht über das Blut der Studenten vom Tian’anmen am 4. Juni 1989. Er erklärte, dass er vor seinem Exil herausgefunden hatte, dass die KPC eine außergerichtliche und über dem Gesetz stehende Organisation gegründet hatte: das „Büro 610“.

Die von Jiang Zemin initiierte Organisation wurde am 10. Juni 1999 gegründet. Man benannte sie nach ihrem Gründungsdatum. Diese Gestapo-ähnliche Behörde sollte speziell Falun-Gong-Praktizierende in China verfolgen, inklusive der Verbreitung von Hass-Propaganda zur Täuschung der Bevölkerung.

Über die Verfolgung von Falun Gong in dieser Zeit hatte unter anderem der amerikanische Buchautor und „Wall Street Journal“-Reporter Ian Johnson berichtet. Er wurde für seine Artikelserie mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. Jiang Zemin hatte mit dieser Verfolgung das Leben von Millionen Chinesen zerstört und unzählige Familien auseinandergerissen. Eine gewaltige Anzahl von Menschen wurde in Arbeitslagern und Gefängnissen gefoltert und getötet.

Wie Huang den Reportern eröffnete, waren davon auch Verwandte von ihm betroffen gewesen. Sie seien wegen des Praktizierens von Falun Gong gewaltsam zu Gehirnwäschekursen gebracht worden, erklärte der Demokratie-Aktivist. Später habe Huang festgestellt, dass das „Büro 610“ seinen Umfang der Verfolgung auf Christen und Gläubige anderer Religionen ausweitete.

Auch heute noch werden Falun-Gong-Übende in China verfolgt. Ein Großteil der verschleppten Menschen wird von der Partei als lebende Organbank missbraucht – und bei Bedarf für den Transplantationsmarkt getötet. Von den Zwangstötungen der Kommunistischen Partei sollen auch verfolgte Christen, Uiguren und Tibeter betroffen sein.



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