Mythos „funktionierendes Atomabkommen“: Iran arbeitet weiter an Nuklearwaffe – nur nicht in Natanz

Der frühere US-Präsident Barack Obama hat mit dem Atomabkommen JCPOA ein vergiftetes Erbe hinterlassen, meint der Ex-NATO-Spitzenmanager Hans Rühle. Um den Vertrag als politischen Erfolg verkaufen zu können, sah er über Warnungen seiner Dienste hinweg.
Titelbild
Industrieproduktion im westiranischen Qazvin: Seit dem Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen und der Verhängung neuer amerikanischer Sanktionen steckt der Iran in einer akuten Wirtschaftskrise.Foto: Abedin Taherkenareh/EPA/dpa
Von 9. Januar 2020

Die Bilder von den Verwüstungen auf dem Gelände der US-Botschaft in Bagdad nach dem Erstürmungsversuch schiitischer Terrormilizen Ende des Vorjahres waren dem Fernsehpublikum noch wach in Erinnerung. Auch angesichts des Umstandes, dass der am vergangenen Freitag (3.1.) bei einem US-Drohnenschlag getötete General der „Al-Quds-Brigaden“, Qassem Soleimani, sogar in der EU als Terrorist eingestuft war, fiel es Kritikern der Maßnahme schwer, ihre Missbilligung mit einer vermeintlich friedfertigen Absicht seines Bagdad-Besuches zu begründen.

Um den Narrativ eines unverhältnismäßigen und unangebrachten Vorgehens der US-Regierung aufrechtzuerhalten, griffen als Experten geladene Persönlichkeiten wie jüngst der Bremer Politikwissenschaftler Michael Lüders in der Sendung „Markus Lanz“ gerne auf die These zurück, die US-Regierung unter Donald Trump hätte den sonst so besonnen agierenden Iran provoziert – indem man ohne Not ein „funktionierendes Atomabkommen“ verlassen habe.

Stopp des Atomwaffenprogramms von Beginn an frommer Wunsch

In der „Welt“ ist nun der langjährige Leiter des Planungsstabes im Bundesverteidigungsministerium und später für die NATO in Leitungsfunktionen tätige Hans Rühle dieser Darstellung auf den Grund gegangen und ist zu dem Schluss gelangt, dass es sich bei dieser um einen Mythos handele.

Vielmehr sei es Trumps Vorgänger Barack Obama gewesen, der sich von Teheran hinters Licht führen habe lassen – und auch die deutsche Bundesregierung habe keine Figur gemacht.

Zum einen werde die Bedeutung der Vereinbarung überschätzt, meint Rühle. Es sei in dem 5+1-Vertrag vor allem um die deutliche Reduktion der Leistungsfähigkeit der Anreicherungsanlage in Natanz gegangen, die zuvor auf 50 000 Zentrifugen ausgelegt gewesen sei. Den Kern des Abkommens umschreibt Rühle wie folgt:

„Der Iran stimmte zu, seinen Vorrat an schwach angereichertem Uran um 98 Prozent zu vermindern, die Anzahl der Zentrifugen um zwei Drittel von 19.000 auf 5000 zu reduzieren und für 15 Jahre nur schwach angereichertes Uran mit einem Bestandteil von 3,67 Prozent des für die Kernspaltung relevanten Isotops U-235 auf der Basis von vergleichsweise primitiven IR-1 Zentrifugen zu produzieren.“

Dass der Iran außerstande wäre, in dieser Zeit tatsächlich eine Nuklearwaffe zu produzieren, sei demnach eher ein frommer Wunsch als eine Gewissheit gewesen. Aber das Abkommen sollte nach dem Willen der Verhandlungsparteien nicht scheitern. Für Obama bedeutete es einen vermeintlich bleibenden politischen Erfolg, die deutsche Industrie und Unternehmen aus den übrigen europäischen Vertragsstaaten blickten erwartungsfroh auf eine Aufhebung der Wirtschaftssanktionen – und der Iran hatte sich selbst auf internationaler Ebene einen Persilschein verschafft.

Mossad spricht seit 2006 von „zwei parallel laufenden Nuklearprogrammen“

Teheran hatte es zur Vorbedingung gemacht, dass Obama 2014 der Feststellung zustimme, die bekannten Anreicherungsanlagen in Natanz und Fordo wären die einzigen, die vom Iran aktiv betrieben würden. Die US-Geheimdienste hatten damals schon längst Erkenntnisse darüber, dass es mindestens etwa ein Dutzend geheimer Anlagen gebe, die daran arbeiteten, Uran auf waffenfähiges Niveau anzureichern. Im April 2018 präsentierte Israels Premierminister Benjamin Netanjahu sogar 55 000 vom Mossad aus einer der Stätten entwendete Dokumente auf 183 CDs, die exakt diese Darstellung untermauerten.

Wie Rühle betont, habe ein Mitarbeiter des israelischen Nachrichtendienstes Mossad bereits 2006 von „zwei parallel laufenden Nuklearprogrammen“ berichtet. Eines werde offen gegenüber der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA) deklariert, ein anderes betrieben Militär und Revolutionsgarden streng abgeschirmt im Verborgenen.

Die Regierung Obama war darüber offenbar auch im Bilde. Ex-CIA-Chef und Buchautor Michael Hayden will dem Ex-Präsidenten selbst bereits im Frühjahr 2009 anvertraut haben, dass waffenfähiges Uran im Iran kein Thema sei, das mit der offiziellen Anlage in Natanz zu tun habe. Auch die IAEA selbst soll im Bilde darüber gewesen sein, dass das Regime in Teheran bereits Mitte der 1980er Jahre den Beschluss gefasst habe, Forschung zum Zweck der Entwicklung eigener nuklearer Waffen zu betreiben. 

Obama bereits 2009 in Kenntnis gesetzt

Hayden hatte deshalb gefordert, dass die Inspekteure der IAEA „immer und überall“ uneingeschränkten Zugang insbesondere auch zu den von den Revolutionsgarden betriebenen Anlagen erhalten müssten. Obama – und die übrigen Vertragsstaaten inklusive Deutschlands – stimmten jedoch einer Vereinbarung zu, die sich nur auf die 18 gemeldeten Anlagen bezog. Immerhin billigte Teheran der IAEA zu, diese zu kontrollieren. Im Gegenzug attestierte diese dem Regime regelmäßig, sich an die Vorgaben des Abkommens zu halten. Was ja auch stimmt, nur offenbar lediglich ein Teil der Wahrheit ist.

Dass die US-Regierung unter Barack Obama ungeachtet der Warnlampen der umstrittenen Klausel zustimmte, um die Chance auf eine zeitnahe Einigung zu bewahren, habe eine komfortable Lage für den Iran geschaffen – die auch den Austritt Donald Trumps drei Jahre später überdauerte:

„Die Öffentlichkeit diskutiert heftig und zeitraubend die Frage, wie lange der Iran noch braucht, um in Natanz genug waffenfähiges Uran für eine Bombe herzustellen; gleichzeitig produzieren in geheimen Anlagen der Revolutionsgarden moderne IR-2 Zentrifugen ungehindert waffenfähiges Uran und statten damit den Iran mit dem aus, was er zur Entwicklung und Produktion einer echten nuklearen Option braucht.“

Festhalten an Abkommen nicht mehr nachvollziehbar

Auf die nuklearen Ambitionen des Iran habe das Abkommen zu keiner Zeit eine reale Auswirkung gehabt – nicht einmal für die Dauer von 15 Jahren. Es wurde zu einem Prestigeabkommen, das alle Beteiligten als Erfolg für sich verkaufen konnten, obwohl es nur die Produktion von waffenfähigem Uran in Einrichtungen unterband, die ohnehin nicht dazu bestimmt waren. Donald Trumps erst am Mittwoch (8.1.) erneuerten Forderungen an seine Verbündeten, das Abkommen ebenfalls zu verlassen, sei nur legitim, meint Rühle:

„Wenn das Pferd tot ist, steig ab. Das Abkommen ist Geschichte.“



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