Putins Schachzug bringt China in eine ideologische Falle

Für Russland macht das Ende des Getreideabkommens im Schwarzen Meer durchaus Sinn. Für China ist es hingegen eine Katastrophe. Doch das hat eher ideologische als wirtschaftliche Gründe. Eine Analyse.
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Ein Bild von Chinas „Oberstem Führer“ Xi Jinping hinter einer Figur von Chinas kommunistischem Ur-Führer Mao Zedong.Foto: Greg Baker/AFP via Getty Images
Von 25. Juli 2023

Das Getreideabkommen zwischen Russland und der Türkei/UNO und zwischen der Ukraine und der Türkei/UNO ist ausgelaufen. Eine Verlängerung durch Russland ist nicht in Sicht. Nach Moskaus Angaben sind westliche Sanktionen daran Schuld. Der Westen hingegen wirft Putin vor, den Hunger der Welt zu benutzen. Am meisten dürfte sich jedoch China darüber ärgern.

Doch dabei geht es weniger um die Sorge, dass Menschen in der Welt hungern müssen. Der Ärger Pekings hat eher ideologische Gründe. Es ist die Angst, die das kommunistische Regime umtreibt. Da wird auch der „Verbündete“ Russland unter Druck gesetzt. Peking erklärte, dass man hoffe, dass das Getreideabkommen wieder „vollständig“ umgesetzt werde.

Große Weltpolitik mit dem (Getreide-)Hunger

Unter Vermittlung der Vereinten Nationen unterzeichneten Russland und die Ukraine am 22. Juli 2022 die Verlängerung der „Initiative für den sicheren Transport von Getreide und Lebensmitteln aus ukrainischen Häfen“, kurz auch (Schwarzmeer-)Getreideabkommen genannt. Dazu unterzeichneten die beiden Länder jeweils separate Getreideabkommen (Spiegelabkommen) mit der Türkei/UNO – verhandelten aber nicht direkt miteinander. Mit den Abkommen sollte der gefahrlose Transport von Getreide, Mais, Sonnenblumenerzeugnissen, aber auch Düngemitteln usw. aus der Kornkammer Europas in die Welt gesichert werden.

Die Frachtschiffe kommen aus den drei Schwarzmeer-Häfen der Ukraine, Odessa, Tschornomorsk und Juschne, passieren einen von ukrainischen Seeminen befreiten Korridor und durchfahren auf ihrer Handelsroute das Schwarze Meer in Richtung Süden bis zum Bosporus im Norden der Türkei. Dort werden Fracht und Personal der Schiffe einer Inspektion unterzogen und der Weitertransport in die Zielländer erfolgt. Seither wurden fast 33 Millionen Tonnen Getreide aus der Ukraine verschifft. Doch damit soll nun Schluss sein.

Auf die Ankündigungen Russlands hin schreibt das ZDF unter dem Titel „So treibt Putin Menschen in den Hunger“, dass „aufgrund des Krieges“ nicht exportiertes ukrainisches Getreide die „Zahl der Hungernden weltweit“ steigere.

China hortet Unmengen von Getreide

China ist mit knapp 18 Prozent der weltgrößte Getreideproduzent der Welt, vor Indien (14 Prozent) und Russland (10 Prozent) – und auch deutlich vor der Ukraine (4 Prozent, Platz 6), so die Zahlen für 2021. Doch nicht jeder, der viel Getreide produziert, treibt damit auch regen Handel. Während Russland weltweit am meisten Getreide exportiert (14 Prozent) und auch die Ukraine im vergangenen Jahr mit zehn Prozent weltweit gut im Rennen lag (Platz 5), sucht man Getreidechampion China vergeblich in den Top Ten der Getreideexporteure. Ganz im Gegenteil. China ist mittlerweile Weizenimporteur Nummer eins weltweit.

Auf der Website der Mediengruppe World Grain Group wird auf Angaben der Fachzeitschrift „Grain: World Markets and Trade“ verwiesen, die vom Foreign Agricultural Service des US-Landwirtschaftsministeriums (USDA) herausgegeben wird. Es wird berichtet, dass China im Wirtschaftsjahr 2022/2023 zum weltweit größten Weizenimporteur aufgestiegen sei. Man schätzt, dass Peking zwölf Millionen Tonnen Weizen importiert habe, ein Rekordwert, den man in China seit 1995 nicht mehr hatte.

Bereits einen Tag nach Kriegsbeginn habe China die Welt darüber informiert, dass man jetzt Weizen aus Russland importiere, berichtete dieser Tage die „Tagesschau“ und verweist auf eine chinesische Zeitung, nach deren Angaben die chinesischen Lebensmittelimporte aus Russland im vergangenen Jahr um mehr als 40 Prozent gestiegen seien, auf sieben Milliarden US-Dollar. Verlässliche Daten gebe es jedoch kaum, so die ARD-Journalisten. Peking häufe große Getreidevorräte an – unbekannte Mengen, heißt es weiter.

Schätzungen nach seien es wohl mehr als die Hälfte der weltweiten Getreidevorräte, die der kommunistische Staat horte. Agrarökonom Lukas Kornher meinte, es gehe Peking um die Strategie, „die Ernährungssicherheit vor Ort sicherzustellen, um günstige Preise für die Bevölkerung zu garantieren“ und auch darum, „Vorsorge zu treffen für Krisen“.

Ein Regime, gefangen in Ängsten und Sorgen

Die aktuelle Schließung des „maritimen humanitären Korridors“ für den Getreideexport über die drei ukrainischen Schwarzmeer-Häfen und die russischen Raketenangriffe auf die Exportinfrastruktur von Odessa und Tschornomorsk sorgen in Peking offenbar für Krisenstimmung, nicht nur, weil in Tschornomorsk 60.000 Tonnen für China bestimmtes Getreide vernichtet worden sein soll.

Lin Yaling, assoziierte Forscherin am National Security Research Institute des National Defense Security Research Institute in Taiwan, sagte gegenüber der chinesischsprachigen Epoch Times: „China war schon immer der größte Lebensmittelimporteur. Xi Jinping hat tatsächlich gesagt, dass die Reisschüssel in seinen eigenen Händen liegen sollte und er sich auf Chinas eigene Produktion verlassen sollte, anstatt die Abhängigkeit von ausländischen Lebensmitteln zu erhöhen.“

Nach Ansicht der China-Expertin gehe es bei dieser Frage aber gar nicht so sehr um Chinas sogenannte Ernährungssicherheit. China werde wegen des Wettbewerbs mit den Vereinigten Staaten und der Einkreisung Chinas durch die US-Verbündeten immer angespannter. Deshalb habe Xi gesagt, dass China die sogenannte „Initiative der Ernährungssicherheit“ fest ergreifen müsse. Angesichts dieser Lage habe China ein großes Gefühl der Unsicherheit, meinte Lin, etwa, dass es Beschränkungen bei dem aus dem Westen importierten Getreide ausgesetzt werden könnte.

Gu Min (Pseudonym), ein Landarbeiter aus Festlandchina, deutete gegenüber der Epoch Times eine chinesische Besonderheit an: „An einem unsicheren Ort (wie China) machen sich zwei Spaziergänger gegenseitig Sorgen, ob der andere ihn angreifen werde. Die (kommunistische) Regierung sorgt sich, ob das Volk rebellieren wird, und das Volk sorgt sich, ob die Regierung ihm seine Rechte entziehen wird. Ist das nicht ganz normal? Jeder fühlt sich unsicher und ich fühle mich auch unsicher.“

Eine ideologisch bedrohte Ernährungssicherheit

Der in Deutschland lebende bekannte chinesische Hydrologe und Buchautor über den Drei-Schluchten-Staudamm, Wang Weiluo, erklärte in der NTD TV-Sendung „News Talk“ kürzlich, dass Japan und Indonesien ihr benötigtes Getreide vollständig importieren müssten. Er meinte auch: „Wenn die chinesische kommunistische Regierung (KPC) bereit ist, ihre Devisen für den Import von Getreide für die Chinesen auszugeben, wird China niemals eine Lebensmittelkrise haben.“

Doch was, wenn nicht? Wang erinnerte an die Jahre „1959, 1960 und 1961, als sie (das Regime) nicht dazu bereit waren, Devisen für den Kauf von Getreide auszugeben“. Wenn China heute auch nicht dazu bereit wäre, „könnten jegliche Art von Katastrophen auftreten, weil die Produktionskosten in China zu hoch sind“.

Qiu Wanjun, Professor für Finanzen an der Northeastern University in Boston, stellte gegenüber der Epoch Times die Frage in den Raum, ob China bereit sei, den Kopf zu senken und von Kanada, den USA und Australien Lebensmittel einzukaufen, um innenpolitische Probleme zu lösen. „Es ist eigentlich ein psychologisches Problem. Der internationale Freihandel, einschließlich des Imports und Exports von Lebensmitteln, ist voneinander abhängig.

Alle im Freihandel handeln fair und unterstützen sich gegenseitig“, erklärte Qiu Wanjun und ging auf Xi Jinpings Rede Anfang Juni vor ranghohen Parteikadern ein. Damals sprach Xi Jinping von „großen Prüfungen starker Winde und rauer Wellen und sogar gefährlicher Wellen“ im Zusammenhang mit internationalen Veränderungen. Daher fragte Finanzexperte Qiu: „Warum glauben sie also, dass es turbulente Wellen (internationale Veränderungen) gibt? Warum spüren die Vereinigten Staaten keine turbulenten Wellen? Warum spürt Kanada keine turbulenten Wellen?“

Qiu erklärte, dass China aufgrund seiner hohen Devisenreserven und seiner wirtschaftlichen Stärke immer noch in der Lage sei, den internationalen Getreidehandel mit den Vereinigten Staaten und Kanada abzuwickeln. Allerdings gehe es bei der Frage der Ernährungssicherheit eher um Chinas Wettbewerbsposition in der internationalen Strategie, so der Finanzexperte. Doch dabei verfolgten Chinas Behörden möglicherweise andere, nichtwirtschaftliche Ziele.



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