Russland-Experte: „Putin will kein zweiter Mugabe werden“

Die jüngste Regierungsumbildung und Verfassungsdebatte in Russland weckt Spekulationen, ob Präsident Putin auch nach 2024 an der Macht bleiben wolle. Nein, meint ein Experte. Allerdings werde er die Art und Weise des Übergangs bestimmen.
Der russische Präsident Wladimir Putin im Kreml in Moskau.
Der russische Präsident Wladimir Putin am Telefon.Foto: ALEXEY NIKOLSKY/AFP via Getty Images
Von 10. Februar 2020

Der kollektive Rücktritt der Regierung der Russischen Föderation Mitte Januar kam für politische Beobachter überraschend. Seit dieser Entscheidung und der Ankündigung von Präsident Wladimir Putin, eine neue Verfassung ausarbeiten zu lassen, wird heftig darüber spekuliert, wie die künftige Struktur des russischen Gemeinwesens aussehen wird.

Zu Beginn war viel die Rede von einer geplanten Aufwertung der Staatsduma. Der Einschätzung, dass es zu einer einseitigen Aufwertung des Parlaments kommen werde, widerspricht nun jedoch der Russland-Experte Alexander Dubowy in einem Gespräch mit Redakteur Gerhard Lechner von der „Wiener Zeitung“.

Der 36-jährige Jurist und Politologe, der als wissenschaftlicher Direktor beim Institut für Sicherheitspolitik (ISP) in Wien fungiert, sieht eher eine Stärkung als eine Schwächung der Position des Präsidenten, die sich nach derzeitigem Stand der Entwürfe abzeichne.

Künftig könne der Präsident, sollte es bei dem derzeitigen Konzept bleiben, die Leiter föderaler Behörden, inklusive der Minister, nicht mehr nur ernennen, sondern auch abberufen. Zudem könne er künftig, sollte die Duma seine Bedenken gegen ein Gesetz mittels Beharrungsbeschlusses überstimmen, das Verfassungsgericht anrufen. Bis dato muss er es in einem solchen Fall auch gegen alle Bedenken unterschreiben.

Putin: Keine Rochade mehr möglich

Das Präsidium und die Verfassungsrichter dürfte nach dem derzeit diskutierten Entwurf ebenfalls der Präsident ernennen. Allerdings wäre dessen Amtszeit künftig unumstößlich auf zwei Amtszeiten begrenzt. Der in der derzeitigen Verfassung enthaltene Zusatz „in Folge“, der Putin nach einem Intermezzo als Premierminister von 2008 bis 2012 die Rückkehr ins Präsidentenamt ermöglichte, würde fallen.

Dubowy äußert die Einschätzung, dass die Ausweitung der Befugnisse des Präsidenten im Fall Putins von einem gewissen Eigeninteresse gekennzeichnet sei. Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung sei angesichts der schleppenden Wirtschaftsentwicklung groß. Die Wahrscheinlichkeit sei hoch, dass die Kremlpartei „Einiges Russland“ bei den Dumawahlen 2021 deutliche Verluste einfahren und vielleicht sogar ihre Mehrheit verlieren werde. Bereits jetzt würden bei Gouverneurswahlen selbst No-Name-Kandidaten gegen Kreml-nahe Kandidaten gewinnen. Auf ein Dasein als „Lame Duck“ habe Putin jedoch keine Ambitionen:

„Putin könnte also ab 2021 mit einem oppositionellen, sozusagen präsidentenunfreundlichen Parlament konfrontiert sein. In diesem Zusammenhang ergibt die Stärkung der Macht des Präsidenten Sinn. Durch die Verfassungsänderungen sichert sich Putin gegen alle Überraschungen ab. Er will auch in einer solchen Situation die Kontrolle behalten – gerade im Hinblick auf den anstehenden Machttransit im Jahr 2024.“

Welche Rolle wird der Staatsrat spielen?

Diesen werde Putin nicht infrage stellen, ist sich Dubowy sicher. Mit dieser Einschätzung widerspricht er langjährigen Putin-Kritikern, die davon ausgehen, dass der russische Präsident nach Ablauf seiner nunmehrigen Amtszeit als Präsident eine ähnliche Rochade planen könnte wie 2008 mit seinem Ex-Premier Dmitri Medwedew:

„Das ist eher unwahrscheinlich. Putin wird auch nicht jünger, und ich würde bezweifeln, dass er als eine Art russischer Robert Mugabe in die Geschichte eingehen möchte. Dazu ist er auch zu stolz.“

Zudem werde ja nach derzeitigem Stand explizit die Möglichkeit einer dritten oder vierten Amtszeit eines Präsident nach Unterbrechung beseitigt.

Allerdings sei noch nicht absehbar, inwieweit der 2000 gegründete Staatsrat, der jetzt schon ein wichtiges informelles Beratungsgremium bezüglich der Leitlinien der Innen- und Außenpolitik darstellt, auch offiziell und von Verfassung wegen zum Entscheidungsgremium ausgebaut werden könnte. Dass Putin nach Ende seiner Zeit als Präsident in den Staatsrat wechseln könnte, gilt als wahrscheinlich.

Die Macht werde definitiv beim Präsidenten bleiben. Es könnte jedoch Konkurrenzkämpfe etwa zwischen Staatsrat und Präsidialadministration geben.

Franco und Lee Kuan Yew als Vorbilder von Putin?

Putin wisse, dass das gegenwärtige System vollständig auf ihn ausgerichtet sei – und nach seinem Ausscheiden aus dem Amt destabilisiert werden könnte. Es sei deshalb möglich, dass Putin und sein engerer Kreis auch nach 2024 eine Art zweites Machtzentrum bilden könnten, meint Dubowy.

„Wobei Putin kein Diktator ist, der in allen Bereichen allein die Entscheidungen trifft. Er ist vielmehr ein Schiedsrichter zwischen unterschiedlichen Elitengruppen, die mit- und gegeneinander um den Zugang zu Ressourcen, um Macht und Geld kämpfen. Die Aufgabe Putins ist es dabei, für Interessensausgleich zu sorgen. Der russische Politologe Jewgeni Mintschenko spricht vom sogenannten Politbüro 2.0, von Personen, die Putin nahestehen, aus unterschiedlichen Regionen kommen, unterschiedlichen Alters sind und durch die Person Putin zusammengehalten werden.“

Allerdings werde es perspektivisch kein personalisiertes System mehr geben, wie es jetzt der Fall sei. Der derzeitige Chef des Moskauer Carnegie-Centers, der Politologe Dmitri Trenin, liege mit seiner Einschätzung wohl richtig, meint Dubowy, wonach Putin das gegenwärtige System in Russland in Richtung eines modernen Staates umwandeln werde – um das Land überlebensfähig und stabil zu halten. Ähnlich hätten ja auch Südkoreas Ex-Premier Lee Kuan Yew oder Spaniens autoritärer Herrscher Francisco Franco ihre Nachfolge geregelt.

Am morgigen Dienstag (11.2.) wird Alexander Dubowy um 18.30 Uhr im Institut für Internationale Politik (IIP) am Wiener Möllwaldplatz 5 an einer Podiumsdiskussion über die momentane Situation in Russland teilnehmen.



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