Staat als Kumpel, Eltern als Feind?

In einem Artikel für das Harvard-Magazin unterstellt eine „Kinderanwältin“ der Universität Eltern, die ihre Kinder zu Hause unterrichten, religiöse Fanatiker zu sein und die Kinder zu isolieren. Homeschooling-Gegner sehen in der Corona-Krise eine Chance für ihre Agenda.
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Homeschooling.Foto: iStock
Von 22. April 2020

Die Corona-Krise hat weltweit Eltern in die Verlegenheit gebracht, unvorbereitet von einem Tag auf den anderen zu Hause ihren Kindern den schulischen Unterrichtsstoff erklären und ihren Lernfortschritt beobachten zu müssen. Für viele bedeutet dies eine große Herausforderung.

Eine Fakultätsdirektorin des „Kinderanwaltschaftsprogramms“ der Harvard-Universität fühlt sich ausgerechnet jetzt veranlasst, im Magazin der bekannten Universität ein grundsätzliches Verbot des Homeschoolings zu fordern – und zwar auch für Eltern, die darin jahrelange Erfahrung haben und Erfolge nachweisen können.

Harvard-Professorin beklagt fehlende Vertrautheit mit „Ideen der Nichtdiskriminierung“

In einem Artikel von Erin O’Donnell unter dem Titel „Die Risiken des Heimunterrichts“ lässt sich die Harvard-„Kinderanwältin“ Elizabeth Bartholet mit der Aussage zitieren, das Lernen zu Hause würde Kindern eine „gehaltvolle“ Bildung vorenthalten. Zwar ist ein solcher Begriff in keinem Gesetz erwähnt oder definiert, Bartholet weiß jedoch, wie eine solche auszusehen habe. Nämlich nicht so, dass Fertigkeiten wie Lesen, Schreiben und Rechnen im Fokus stünden, sondern dass „Kinder in einer Weise aufwachsen, dass sie Gemeinschaftswerten, sozialen Werten, Ideen der Nichtdiskriminierung und der Toleranz für die Meinungen anderer Menschen ausgesetzt sind“.

Eltern, die ihre Kinder selbst unterrichten, würden dies nach Auffassung der „Kinderanwältin“ offenbar nicht in ausreichendem Maße gewährleisten können. Zwar erkennt Bartholet an, dass Eltern „ein sehr wichtiges Recht haben, ihre Kinder mit den Überzeugungen und in dem religiösen Glauben zu erziehen, die sie für richtig halten“.

Wie gut sind Kinder vor dem Recht des Stärkeren an öffentlichen Schulen geschützt?

Allerdings geht sie davon aus, dass Eltern, die ihre Kinder selbst unterrichten, diese rund um die Uhr kontrollieren wollten und Aktivitäten wie Sport, soziales Engagement, Ausflüge oder andere Aktivitäten, bei denen Kinder mit anderen in Kontakt kommen, gar nicht stattfänden. Weshalb es so wichtig wäre, den Einfluss der Eltern auf ihre Kinder zu begrenzen:

„Es geht doch darum, ob wir wirklich denken, Eltern sollten rund um die Uhr eine essenzielle autoritäre Kontrolle über ihre Kinder von null bis 18 Jahren haben? Ich denke, das ist gefährlich. Ich denke, es ist immer gefährlich, mächtige Menschen die Verantwortung für machtlose zu übertragen, und den mächtigen vollständige Autorität zu geben.“

Im Fall von Lehrern, Mitarbeitern von Schulbehörden oder gleichaltrigen Peer Groups scheint eine solche Gefahr nicht gegeben zu sein, glaubt man ihren Darstellungen.

Es sind jedoch sogar Regierungsstatistiken, die eine andere Sprache sprechen. Von Toleranz und Selbstbeschränkung der Starken und Mächtigen ist an öffentlichen Schulen der USA nicht immer viel zu bemerken – vielmehr gehören Gewalt und Mobbing zum Erfahrungsschatz von immer mehr Schülern an öffentlichen Schulen. So heißt es in einem Bericht des Bildungsministeriums, auf den PJ Media verweist:

„Im Schuljahr 2017/18 gab es landesweit geschätzte 962.000 gewalttätige und 476.100 nicht gewalttätige Übergriffe in US-amerikanischen öffentlichen Schulen. 71 Prozent der Schulen meldeten in diesem Zeitraum mindestens einen Fall von Gewalt, 65 Prozent mindestens einen nicht gewalttätigen Übergriff.“

Homeschooling-Kinder erzielen bessere Testergebnisse – unabhängig von Bildung und Einkommen der Eltern

Demgegenüber ergibt eine Analyse der Daten des Bildungsministeriums aus dem Jahr 2015, dass für einen Schüler, dessen Eltern auf legaler Basis Heimunterricht erteilen, die Wahrscheinlichkeit, Gewalt oder Vernachlässigung zu erfahren, um 40 Prozent geringer ist als im nationalen Durchschnitt aller Schüler.

Auch was die Lernergebnisse anbelangt, schneiden zu Hause unterrichtete Kinder bei standardisierten akademischen Leistungstests regelmäßig zwischen 15 und 30 Prozentpunkte besser ab als Schüler öffentlicher Schulen. Die überdurchschnittlichen Leistungen zeigen sich sogar unabhängig von der formalen Bildung der Eltern und deren Einkommen.

Zu Hause unterrichtete Kinder erzielten auch überdurchschnittliche Ergebnisse bei den getesteten Maßstäben für soziale, emotionale und psychische Entwicklung, inklusive Umgang mit Gleichaltrigen, Selbsteinschätzung, Führungsqualitäten, Familienzusammenhalt, Teilnahme an Gemeinschaftsprojekten und Selbstbewusstsein.

„Radikale Transformation“ unter dem Banner der „Kinderrechte“ gefordert

Allerdings haben sie auch die Werte und Überzeugungen ihrer Eltern in hohem Maße verinnerlicht – und aus Sicht von „Kinderanwältin“ Bartholet handelt es sich bei diesen durch die Bank um „extreme religiöse Ideologen“, die noch dazu „rassische Segregation und weibliche Unterwerfung“ postulierten.

Viele Homeschooling-Eltern, so Bartholet, würden sich für diesen Weg entscheiden, weil sie „ihre Kinder isolieren wollen von den Ideen und Werten, die zentral für unsere Demokratie sind, und entschlossen sind, ihre Kinder von Ansichten fernzuhalten, die sie zu autonomen Entscheidungen über ihr künftiges Leben befähigen“.

Aus diesem Grund müsse es eine „radikale Transformation in der Homeschooling-Gesetzgebung und ein damit verbundenes Umdenken bei den Kinderrechten geben“ – inklusive eines „Verbots des Homeschoolings als Regelfall, mit Beweislast bezüglich der Notwendigkeit zum Heimunterricht aufseiten der Eltern“.

Erzwungenes Homeschooling der Corona-Krise als Beweis für Unfähigkeit der Eltern?

Dass die aggressive Agitation einer Harvard-Professorin gerade jetzt kommt, überrascht PJ-Media-Analystin Paula Bolyard nicht. Am 18. und 19. Juni soll an der Harvard Law School eine, wie es bereits in der Ankündigung heißt, „kontroverse Praktik“ diskutiert werden, als welche das Homeschooling bezeichnet wird. Der „Homeschooling-Gipfel“, der sich diesbezüglich mit „Problemen, Politik und Reformperspektiven“ beschäftigen will, wird, wenn man das Lineup der Teilnehmer betrachtet, ausschließlich von Personen bestritten, die im Heimunterricht etwas Unerwünschtes sehen, was einer stärkeren Kontrolle durch den Staat bedürfe.

Bolyards Prognose lautet:

Anti-Bildungsfreiheits-Aktivisten werden die Corona-Pandemie nutzen, um bei Gesetzgebern Lobbying für ein Verbot des Homeschoolings oder, wenn das nicht möglich ist, Inspektionen zu Hause unterrichteter Kinder durch Regierungsbeamte zu betreiben.“

Lerndefizite, die zu beklagen sind, wenn die Schulen wieder öffnen, würden dann als vermeintlicher Beweis dafür präsentiert, dass Homeschooling nicht funktioniere:

Sie werden nicht erwähnen, dass die große Mehrheit an Eltern, die derzeit gezwungenermaßen Heimunterricht betreiben, das nie von sich aus getan hätte, jetzt ohne Vorbereitungszeit ins kalte Wasser geworfen wurde und meist vor der Herausforderung steht, ihre eigene Vollzeitarbeit zu leisten und sich gleichzeitig um die Bildung ihrer Kinder zu kümmern.“

PISA-Studie zum Wohlbefinden: Jeder sechste Schüler regelmäßig gemobbt

In Deutschland ist anders als in den USA Heimunterricht grundsätzlich untersagt, die zuletzt 1938 reichseinheitlich geregelte Schulpflicht wurde nach 1949 auf Länderebenen wieder eingeführt. Die ersten Regelungen zu einer allgemeinen Schulpflicht gab es in einzelnen Fürstentümern schon Ende des 16. Jahrhunderts, in Preußen, das als Vorreiter galt, gab es bis 1918 hingegen nur eine Unterrichtspflicht. In den USA gibt es lediglich eine Bildungspflicht. Es ist möglich, diese sowohl durch Schulbesuch als auch durch Hausunterricht oder selbständiges Lernen zu erfüllen.

Der Beweis, dass der Staat in der Lage ist, wertvollere Staatsbürger heranzubilden als deren Eltern, bleibt jedoch auch hier nach wie vor offen.

Wie der „Münchner Merkur“ erst im Dezember des Vorjahres berichtete, hat die Sonderauswertung „Wohlbefinden“ der jüngsten PISA-Studie mit etwa einer halben Million Teilnehmern, darunter 10.000 aus Deutschland, ergeben, dass Mobbing an Schulen massiv zunimmt.

In Deutschland werde demnach fast jeder sechste 15-Jährige (15,7 Prozent) regelmäßig Opfer von teils massiver körperlicher oder seelischer Misshandlung durch Mitschüler. Im Schnitt aller Teilnehmerländer der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ist sogar nahezu jeder Fünfte (18,7 Prozent) mehrmals im Monat von Mobbing betroffen.

Fast jeder zehnte 15-Jährige aus Deutschland (9,2 Prozent) beklagte, immer wieder Ziel von Spott und Lästereien zu sein. 2,3 Prozent gaben an, in der Schule herumgeschubst und geschlagen zu werden.

Schulpflicht als Voraussetzung für stabile Demokratie?

Dabei seien Jungen häufiger betroffen als Mädchen, wobei sich Mobbing bei diesen meist in Form von Ausgrenzung oder bösen Gerüchten zeige. Mobbingerfahrungen untergraben nicht nur das Selbstwertgefühl der Kinder und Jugendlichen, sie haben auch negative Auswirkungen auf das Lernverhalten und die schulischen Leistungen.

Glaubt man dem bekannten Anti-Mobbing-Coach Carsten Stahl, an dessen Seminaren bereits mehr als 50.000 Kinder in Deutschland teilgenommen hatten, könnte die Dunkelziffer noch höher sein: Er gibt an, dass 90 Prozent der Schüler in seinen Seminaren schon einmal Opfer oder Täter von Mobbing geworden seien. Dazu hätten 60 Prozent schon einmal weggeschaut, wenn jemand gequält worden sei. Und 10 bis 20 Prozent der Kids hätten wegen Mobbing Selbstmordgedanken.

Gerade der historische Systemvergleich zwischen Deutschland und den USA lässt zudem erkennen, dass staatliche Schulpflicht kein Faktor ist, der für die Stabilität einer demokratischen Gesellschaft entscheidend wäre. Immerhin hat Deutschland seit der Reichseinigung 1871 bereits zwei totalitäre Diktaturen erlebt – in denen eine strenge Schulpflicht galt oder erst geschaffen wurde. Die USA haben hingegen seit 1776 keinen Totalitarismus erlebt, ebenso wenig wie andere Länder, die lediglich eine Bildungspflicht kennen, beispielsweise Australien, Großbritannien oder die Schweiz.

Mehr als 100.000 politische Extremisten in Deutschland – keiner davon zu Hause unterrichtet

Da legaler Heimunterricht in Deutschland vor dem Hintergrund der geltenden Gesetzeslage nur in extrem seltenen Ausnahmefällen erteilt werden kann, lässt sich auch heute mit hinreichender Sicherheit zumindest folgendes sagen. Von den mehr als 100.000 Personen, die das Bundesamt für Verfassungsschutz 2018 einem politisch extremistischen Potenzial zurechnete – also entweder Links-, Rechts-, Islam- oder Ausländerextremismus -, und von den Tatverdächtigen – bei mehr als 36.000 politisch motivierten Straftaten in Deutschland – dürften so gut wie alle der Schulpflicht nachgekommen sein.

Insgesamt zeichnet sich ab: Die Erziehungsmacht des Staates zu beschränken scheint eher mit der Aufrechterhaltung einer demokratischen Ordnung in Einklang zu bringen zu sein als damit, die Erziehungsrechte der Eltern zu beschneiden.




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