Ungarn zieht Notbremse – Außenminister weist Baerbocks Pokervorwürfe zurück

Die Ungarn haben die Notbremse gezogen: sie unterstützen keine weitere Verschuldung der EU wegen der Hilfskreditprogramme für die Ukraine. Eine Unterstützung des Landes sollte auf bilateraler Basis erfolgen, sagen sie.
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Der ungarische Außenminister Péter Szijjártó in Brüssel, 14. November 2022.Foto: offizielle Facebook-Seite des Ministers
Von 20. November 2022


Die Europäische Kommission hat am Mittwoch auf Initiative von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ein Hilfspaket in Höhe von 18 Milliarden Euro vorgeschlagen. Ziel ist es, die Wirtschaft und Verwaltung der kriegsgebeutelten Ukraine bis 2023 über Wasser zu halten.

Ein EU-Hilfspaket für die Ukraine muss aufgrund der EU-Haushaltsregeln einstimmig von allen 27 EU-Mitgliedstaaten beschlossen werden. Die ungarischen EU-Vertreter erklärten jedoch, dass sie nicht bereit seien, weiteren EU-Krediten zur Unterstützung der Ukraine zuzustimmen. Die Hilfsbeträge sollten auf bilateraler Basis an die Ukraine ausgezahlt werden.

Die ungarische Regierung wurde wegen ihre Stellungnahme von der deutschen Außenministerin heftig kritisiert.

Baerbocks Kritik: Um Finanzhilfe für die Ukraine darf nicht „gepokert“ werden

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock hat Budapest aufgefordert, nicht um die 18 Milliarden Euro Finanzhilfe für die Ukraine zu „pokern“.

Sie warf Viktor Orbán und seiner Regierung vor, mit unlauteren Mitteln die Finanzhilfen für die Ukraine zu blockieren, berichtete die Online Zeitung „Exxpress.at“. Baerbock betonte, dass die finanzielle und humanitäre Hilfe für die Ukraine „keine normale europäische Angelegenheit“ sei, um die „gepokert“ und Kuhhandel betrieben werde.

Die Außenministerin deutete auch an, dass Viktor Orbán und seine Regierung Erpressungstaktiken anwenden würden, um Druck auszuüben, damit die von Brüssel zurückgehaltenen EU-Hilfen in Höhe von mehr als 13 Milliarden Euro für Ungarn freigegeben werden.

Gegen Ungarn läuft derzeit ein Rechtsstaatlichkeitsverfahren in der EU. Wenn Orbán seine demokratischen Verpflichtungen bis zum 19. November nicht einhält, könnte die EU der ungarischen Regierung erhebliche Summen entziehen.

Wir sind in einer Situation, in der wir mit der Finanzhilfe aus Europa gerade Leben retten“, sagte Baerbock.

„Wir sehen, dass mindestens 30, wenn nicht sogar 40 Prozent der zivilen Infrastruktur in der Ukraine zerstört sind“, fügte sie hinzu und argumentierte, dass das EU-Hilfspaket schnell genehmigt werden sollte, da der Winter sehr bald komme.

Ungarn will Ukraine helfen, aber ohne weitere EU-Verschuldung

Der ungarische Außenminister Péter Szijjártó schickte seiner deutschen Amtskollegin auf seiner offiziellen Facebook-Seite eine Botschaft zurück.

Seiner Meinung nach missverstehe seine Außenministerkollegin die Situation gründlich:

Die Ablehnung einer weiteren gemeinsamen EU-Anleihe ist für uns keine taktische, sondern eine prinzipielle Angelegenheit. Wir glauben nicht, dass gemeinsame europäische Schulden die europäische Zukunft sind. Die Zukunft Europas liegt nicht in Richtung großer Schuldenberge“, schrieb er.

Er fügte hinzu: „Obwohl dies die Außenministerin wahrscheinlich nicht interessiert, sind wir bereit, die Ukraine weiterhin zu unterstützen. Genau wie wir es bisher getan haben: auf bilateraler Basis.“

In seiner Pressekonferenz im Anschluss an den Brüsseler Rat für Auswärtige Angelegenheiten am 14. November machte Szijjártó außerdem deutlich, dass Ungarn nicht beabsichtige, an der Unterstützung für die Ukraine zu sparen.

Die ungarische Regierung wird dem ukrainischen Staat genau den gleichen Betrag zur Verfügung stellen, den die EU vorsehen würde, aber das kann nur auf bilateraler Basis geschehen“, so der Minister.

Der Außenminister sagte auch, dass Ungarn der benachbarten Ukraine schon viel länger auf verschiedene Weise helfe als diejenigen, die sich jetzt als die „besten Freunde“ des Landes präsentierten. Szijjártó wies darauf hin, dass die ungarische Regierung Hunderte von Millionen Euro für die Unterstützung des Gesundheits- und Bildungswesens, kultureller Einrichtungen und Kirchen in der Ukraine ausgegeben habe und dass Ungarn bereits vor dem Ausbruch des Krieges zur Verbesserung der Situation in der Ukraine beigetragen habe.

Finanzminister: Von Ungarn zurückgehaltenes EU-Geld wird an Ukrainer weitergeleitet

Am 8. November wies der ungarische Finanzminister Mihály Varga bei einem Treffen der EU-Finanzminister auch darauf hin, dass Ungarn bereits während des Ausbruchs der Pandemie einen Beitrag zu einem EU-Darlehen geleistet hatte. Ungarn war damals auch prinzipiell dagegen. Es habe nur zugestimmt, „um die Einheit der EU zu wahren“, zitierte das ungarische Wirtschaftsportal„VG“ den Minister.

Aber danach haben wir selber nicht die EU-Mittel erhalten, die Ungarn zustehen. Deshalb wollen wir uns nicht an einem neuen gemeinsamen Kredit beteiligen“, sagte der Finanzminister.

Ein Vertreter des Informationszentrums der ungarischen Regierung äußerte sich dem Wirtschaftsportal „VG“ zufolge ebenfalls zu diesem Thema:

Es ist klar, dass die Ungarn zustehenden EU-Gelder von Brüssel an die Ukraine ausgezahlt würden. Das ist für Ungarn natürlich inakzeptabel und die ungarische Regierung unterstützt die Brüsseler Pläne nicht.“

Leiter der Fidesz-Delegation: Ungarn steht vor Linkskoalition der EU

Unterdessen gab Tamás Deutsch, Leiter der Delegation der ungarischen Regierungspartei „Fidesz“ im Europäischen Parlament, der regierungsfreundlichen ungarischen Zeitung „Magyar Nemzet“ ein Exklusivinterview zu den jüngsten Entwicklungen im Rechtsstaatlichkeitsverfahren und der aktuellen Stimmung in der EU. Deutsch betonte, er glaube, dass die kommenden Tage entscheidend sein könnten:

Linke Abgeordnete wollen mit allen Mitteln durchsetzen, dass wir Ungarn unter keinen Umständen EU-Gelder erhalten“, sagte Deutsch.

Nach Ansicht des Abgeordneten ist der wahre Grund für die Zurückhaltung der EU-Gelder, dass linksliberale EU-Politiker „nicht verzeihen können, dass die patriotische, bürgerliche, christdemokratische ungarische Regierung im Frühjahr zum vierten Mal in Folge mit zwei Dritteln der Stimmen erneut gewonnen hat“.

„Magyar Nemzet“ zitiert auch Kritik der Opposition, wonach István Ujhelyi, ein linker ungarischer Politiker und ehemaliger Leiter der Delegation des Europäischen Parlaments (jetzt unabhängiger Abgeordneter), in seinem Facebook-Post kritisierte, dass die Öffentlichkeit derzeit nicht genügend Einblick in die Details der Verhandlungen über die EU-Mittel erhält. Er fügte hinzu, dass die ungarische Regierung laut „zuverlässiger Quellen aus Brüssel“ versuche, sich für wesentliche Änderungen der EU-Verpflichtungen einzusetzen.

Korruption in der Ukraine vs. Korruption in Ungarn und Polen

Ein anderer Aspekt der Zurückhaltung von EU-Geldern wurde von ungarischen Wirtschafts- und Politikanalysten angesprochen. Bálint Rotyis, Analyst am „Nézőpont“ Institut, machte kürzlich in einem Interview mit der ungarischen Zeitung „Magyar Nemzet“ darauf aufmerksam, dass die Korruption in der ukrainischen Führung nicht ignoriert werden sollte.

Westliche Institutionen waren sich schon immer der Tatsache bewusst, dass Korruption ein ständiges Problem in der Ukraine ist. Dies wurde im Bericht des Europäischen Rechnungshofs 2021 hervorgehoben, der feststellte, dass in der Ukraine jährlich Dutzende von Milliarden Dollar durch Korruption verloren gehen. Sie sagten, die Korruption sei das größte Hindernis für ausländische Investitionen“, so Rotyis.

Er fügte hinzu, dass die Kriegssituation in der Ukraine diese Situation wahrscheinlich noch verschlimmert habe.

Jetzt fließen riesige Summen in die Ukraine und es werden schnell Entscheidungen über Transfers getroffen. Es bleibt nicht einmal Zeit, die Transparenz der ukrainischen Regierungsmaßnahmen zu prüfen“, sagte er.

Rotyis wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Fälle Ungarns und Polens im Gegensatz dazu zeigen, dass die EU mit ihren eigenen Mitgliedsstaaten „anders umgeht“.



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