Wagner-Söldner bleiben straffrei – Welche Auswirkungen hat der Aufstand?
Wie die Regionalverwaltung am Sonntag im Online-Dienst Telegram mitteilte, „haben die Einheiten der paramilitärischen Gruppe Wagner das Territorium (von Lipezk) verlassen“. Die Wagner-Söldner waren am Samstag bei ihrem Vorrücken auf Moskau Berichten zufolge sogar bis auf 200 km an die russische Hauptstadt herangerückt.
Am Freitagabend war der seit langem schwelende Machtkampf zwischen dem russischen Söldnerführer Jewgeni Prigoschin und der russischen Militärführung eskaliert.
Konkreter Auslöser des Aufstands war Prigoschins Vorwurf, das Verteidigungsministerium habe sogar einen Angriff auf eine Wagner-Stellung befohlen. Das Ministerium wies das zurück. Der mit einer vollwertigen Armee samt Panzern und Flugzeugen ausgestattete Prigoschin wollte verhindern, das Schoigu wie von oben befohlen die Privatarmee – wie etwa 40 andere Freiwilligenverbände – bis zum 1. Juli in die reguläre Armee eingliedert.
„Wir wollen nicht, dass das Land weiter in Korruption, Betrug und Bürokratie lebt“, sagte Prigoschin zu seinen Motiven. Allerdings hat er selbst seit Jahrzehnten von diesem System profitiert. Prigoschin hatte einmal gedroht damit, dass er mit seinem Wissen und wohl auch reichlich Material dem Machtapparat großen Schaden zufügen könne. Niemand in Moskau zweifelte am Samstag während Prigoschins „Marsch der Gerechtigkeit“ daran, dass Putin seinen langjährigen Vertrauten töten lassen würde, um selbst an der Macht zu bleiben.
Prigozhin sagte, seine Kämpfer kontrollierten wichtige militärische Einrichtungen in der südlichen Stadt Rostow am Don. Nach rund 24 Stunden Aufstand vollzog Prigoschin am Samstagabend eine Wende und beorderte seine Söldner zurück in ihre Lager.
Vorangegangen war dem eine Vereinbarung mit der russischen Führung, vermittelt durch Belarus, um ein Blutvergießen zu verhindern. Prigoschin und seien Kämpfer bleiben demnach straffrei. Der Wagner-Chef soll ins Exil nach Belarus gehen.
Der Kreml erklärte schon in der Nacht auf Samstag, die „notwendigen Maßnahmen“ würden ergriffen. Russland verstärkte die Sicherheit in Moskau und Regionen wie Rostow und Lipezk. Kreml-Chef Putin bezeichnete den aufständischen Wagner-Kämpfer als „Verräter“, die „unweigerlich bestraft“ würden. Er rief das Land zur „Einigkeit“ auf. Ein Bürgerkrieg müsse vermieden werden.
Prigoschin, dessen Söldner in Afrika, Syrien und eben auch in der Ukraine wichtige Erfolge für den Kreml verbuchten, ist Putin nun von der Fahne gegangen. Er kann künftig aus Belarus seine Söldneroperationen fortsetzen. Allerdings werden wichtige Teile seiner Truppen dem Verteidigungsministerium in Moskau untergeordnet.
Das Kapitel der Wagner-Armee in der Ukraine dürfte damit vorerst beendet sein – zur Erleichterung auch in Kiew, das die gut ausgebildeten Söldner als gefährliche Gegner sah. Die Ukraine setzte ihre Gegenoffensive im Schatten des Machtkampfes in Russland, der eine Schwächung Putins bedeutet, auch am Wochenende fort.
Moskau täusche über die wahren Verluste
Seit Monaten ficht Söldner-Chef Prigoschin im Zusammenhang mit dem Einsatz seiner Truppen im russischen Angriffskrieg in der Ukraine einen Machtkampf mit der Führungsriege des russischen Militärs aus. Immer wieder attackierte er scharf Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow, zeigte sich frustriert über Nachschubprobleme, forderte mehr Munition und beklagte eine mangelnde Unterstützung durch Moskau. Tausende seiner Männer wurden in der Ukraine getötet.
Schließlich gewann die Wut des Söldnerführers offenbar die Oberhand: Prigoschin warf der russischen Militärführung am Freitag vor, an der Front den Rückzug angetreten zu haben und die Öffentlichkeit über das wahre Ausmaß der Verluste zu täuschen.
Er beschuldigte die russische Militärführung zudem, Raketenangriffe auf seine Truppen angeordnet zu haben, bei denen zahlreiche Wagner-Söldner getötet worden seien. Seine Männer rückten daraufhin in der Nacht auf Samstag von der Ukraine aus nach Russland vor.
Experten zufolge könnte auch eine Aufforderung der russischen Regierung vom 13. Juni, nach der sich alle paramilitärischen Gruppen der Kontrolle des Verteidigungsministeriums unterstellen sollen, den Ausschlag gegeben haben. Diese Unterordnung sei für Prigoschin „undenkbar“ gewesen, sagte Alexander Baunow, Forscher am Carnegie Russia Eurasia Center.
Wer sind die Wagner-Kämpfer?
Von der russischen Privatarmee ist fast überall die Rede, wo es Konflikte gibt. Die Wagner-Söldner werden neben der Ukraine mit Krisenregionen wie Mali, Syrien, Libyen und der Zentralafrikanischen Republik in Zusammenhang gebracht. Am Freitag gab Prigoschin die Zahl seiner Söldner mit 25.000 an.
Berichte über die Existenz der Wagner-Truppe kamen erstmals zu Beginn des Krieges in der Ost-Ukraine 2014 auf. Der Geschäftsmann Prigoschin – jahrelang ein enger Vertrauter Putins – räumte aber erst im vergangenen Jahr ein, die Gruppe gegründet zu haben.
Die zu einem beträchtlichen Teil in russischen Gefängnissen rekrutierten Wagner-Söldner spielten in den vergangenen Monaten eine wichtige Rolle im Ukraine-Krieg, vor allem bei dem langwierigen und verlustreichen Kampf um die ostukrainische Stadt Bachmut.
Welche Auswirkungen hat der Aufstand?
Für Putin ist der Aufstand die ernsthafteste Herausforderung und die größte Sicherheitskrise im Land seit seinem Aufstieg an die Macht im Jahr 1999. Experten zufolge hat der Vorfall die Verwundbarkeit seiner Herrschaft offenbart. „Putins Position ist geschwächt“, sagte der Politik-Analyst Konstantin Kalachew. Putin habe „Prigoschin unterschätzt, genauso wie er zuvor Selenskyj unterschätzt hat“.
Die Denkfabrik Study of War in Washington erklärte, Prigoschins Einmarsch habe „Schwachpunkte im Kreml und russischen Verteidigungsministerium“ offenbart.
Zur Zeit läuft eine ukrainische Gegenoffensive, mit der Kiew Gebiete aus russischer Kontrolle zurückerobern will – der Aufstand könnte Aufmerksamkeit und Ressourcen von den Gefechten in der Ukraine abziehen. Die ukrainische Vize-Verteidigungsministerin Hanna Maljar sprach von einer „einmaligen Gelegenheit“ für Kiew.
Die Situation beschäftigte auch die Staats- und Regierungschefs weiterer Länder. In Berlin kam der Krisenstab der Bundesregierung im Auswärtigen Amt zusammen. Außerdem berieten am Samstag die Außenminister der G7-Staaten über die Lage. (afp/red)
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion