Bundestags-Debatte über EZB-Urteil: Folgen eigentlich noch völlig unklar

Könnte der Anleihekauf doch illegale Staatsfinanzierung sein? Welche Folgen gibt es für das Corona-Anleihenprogramm? Welche Kompetenzen hat Deutschland? Am 8.5. diskutierte der Bundestag über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum EZB-Urteil mit einem höchst unterschiedlichen Verständnis.
Von 8. Mai 2020

Verfolgt man die Debatte im Bundestag über das EZB-Urteil vom 5.5. und dessen Folgen, scheint es, als sprächen die Fraktionen über unterschiedliche Urteile. Das Echo über die wirtschaftliche und politische Bedeutung war gemischt.

AfD: Schaden in Billionenhöhe durch Corona-Anleiheprogramm

Peter Boehringer (AfD) erwähnte einen „Rechtsbruch“ und eine „bewusste Mandatsüberschreitung“ der EZB. Dass das Bundesverfassungsgericht die verdeckte Staatsfinanzierung als nicht gegeben ansehe, liege nur daran, dass das Gericht die Verhältnismäßigkeit nicht prüfen konnte. Bislang sei bei dem im Volumen von 3 Milliarden umgesetzten Programm ein Schaden in Höhe von einer halben Billion Euro entstanden. „Zombiefixierung der Wirtschaft, Blasenbildung an Immobilienmärkten, riesen Nachteilen für deutsche Sparer und Mieter“ seien nur einige der Schäden.

Boehringer warnte auch, dass das aktuelle Corona-Ankaufprogramm einen Schaden in Höhe von 7 Billionen Euro verursachen werde. „Sie müssen PEPP [Pandemic Emergency Purchase Programme, kurz] sofort stoppen“, sagte er. Dieses Programm sei nicht verfassungsgemäß, da die Voraussetzungen wie zum Beispiel eine Begrenzung von Anleihekäufen nicht gegeben sei.

Die AfD erwarte zeitnahe Vorschläge, wie der Bundestag die EZB-Rats-Entscheidungen künftig kontrollieren könne. Die AfD habe bereits im März 2019 ein solches Fragerecht gegenüber der EZB gefordert, was jedoch abgelehnt worden sei.

CDU/CSU: Keine Schlüsse für PEPP möglich

Andreas Jung (CDU/CSU) stellte klar, aus dem Urteil könnten keine Schlüsse auf das Corona-Anleihenprogramm PEPP gezogen werden, da das Gericht nur über das Anleihenprogramm PSPP „Public Sector Purchase Programme“ aus dem Jahr 2015 entschieden habe. Das EZB-Urteil mache insbesondere keine Aussagen zu den aktuellen Maßnahmen der Corona-Krise.

Einzig und allein fehle im EZB-Ratsbeschluss die Abwägung zwischen währungs- und wirtschaftspolitischen Zielen, auch genannt Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Jung geht allerdings davon aus, eine solche Abwägung habe stattgefunden und ist optimistisch, den Fall aufklären zu können.

Ein extra Gremium, wie von FDP-Politiker Christian Dürr gefordert, hält Fraktionskollege Eckhardt Rehberg (CDU/CSU) nicht für sinnvoll, denn das Ganze sei „etwas kompliziert“ und bewirke eine völlige Gratwanderung.

Fraktionskollege Hans Michelbach (CDU/CSU) hielt fest, dass die EZB nicht „nach Belieben schalten und walten kann“ und dass EU-Recht nicht unbedingt nationales Recht überlagere. Das EZB-Urteil sei zudem äußerst „europafreundlich“, denn es erinnere Europas Institutionen daran, die Zuständigkeiten zu beachten.

SPD: Mehr europäische Stellungnahmen abgeben

Laut Christian Petry (SPD) halte das Urteil „der europäischen Politik auch einen Spiegel vor. Es dokumentiert die Handlungsunfähigkeit und den fehlenden Willen von Staats- und Regierungschefs in den letzten zehn Jahren“. Man habe sich über Jahre nicht einigen können und daher die Bewältigung der Krise auf die EZB übertragen. Man müsse im Parlament deswegen künftig mehr Stellungnahmen in europäischen Angelegenheiten abgeben.

Für die Zukunft wolle man den Auftrag aus dem EZB-Urteil annehmen. Man brauche einen „echten europäischen Währungsfonds“ und der ESM sowie die Finanzmärkte müssten weiterentwickelt werden. „Jetzt trennt sich die Spreu vom Weizen –  solidarische Gemeinschaft oder egoistischer kalter Nationalismus, solidarische Krisenbewältigung oder die anderen allein an der langen Leine verhungern zu lassen, dem Untergang entgegenzugehen“, so der SPD-Politiker.

FDP: Politik bestimmt nur das Mandat der EZB

Christian Dürr erkennt zwei Lehren aus dem „pro-europäischen“ Urteil. „Das erste ist der: Deutsche Bundestag muss seine Kontrollrechte wahrnehmen, und zwar gerade um die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank dauerhaft zu gewährleisten“, so der FDP-Politiker. Die Politik bestimme nur das Mandat der EZB.

Konkret müsse der Bundestag jetzt darlegen, dass keine monetäre Staatsfinanzierung gegeben sei. Denn das Bundesverfassungsgericht habe nur gesagt, eine Beurteilung wegen der fehlenden Verhältnismäßgkeitsprüfung könne nicht vorgenommen werden. Dürr werde kommende Woche einen Unterausschuss beantragen, der eben jene Aufgabe übernehmen werde.

Zweitens müsse die Bundesregierung das Mandat der EZB präzisieren. Die FDP habe solche Initiativen in der Vergangenheit bereits gestartet, die allerdings abgelehnt wurden. Weiter forderte Dürr die Bundesregierung auf, mit den europäischen Partnern zu sprechen.

Bündnis 90/Die Grünen: Krisenbewältigung nicht an EZB auslagern

Franziska Brantner (Bündnis 90/Die Grünen) hob hervor, die EZB habe nur gegenüber dem Europäischen Parlament eine Rechenschaftspflicht. Ansonsten wären zu viele Köpfe involviert und es ginge um „richterliches Hausrecht“ mit Macht und Stärke. Für den Bundestag sei nur die Bundesbank der Ansprechpartner, die ebenfalls unabhängig sei. Beide Institutionen, sowohl die EZB als auch die Bundesbank, müssten ihre Unabhängigkeit behalten.

Zudem sei es „brandgefährlich“, die Bewältigung der Krise in der Europäischen Union auf die EZB zu verlagern. Die EZB sei nur eine „politisch demokratisch kontrollierte Entscheidungskompetenz“.

In der Corona-Krise müssten vielmehr die EU-Mitgliedstaaten gemeinsam handeln, indem sie einmalig gemeinsame Anleihen für einen Wiederaufbaufonds von über einer Billion Euro aufnehmen, mahnte Brantner.

Die Linke: EZB soll Staaten direkt finanzieren

Fabio de Masi (Die Linke) kritisierte die Geldpolitik der EZB. Diese habe insbesondere auf die Finanzmärkte gezielt, jedoch nicht auf Wachstum und Beschäftigung. So sei immer der Auftrag gewesen und jetzt sollen auf einmal doch ökonomische Aspekte einbezogen werden. Ökonomisch mache das EZB-Urteil im Übrigen wenig Sinn, da die EZB zwar die unzureichende Prüfung von Anleihekäufen kritisiert, aber nicht deren Zinspolitik in der Tiefe.

Masi forderte, die EZB solle künftig Staaten direkt finanzieren. „In der Euro-Zone schafft man immer wieder ein künstliches Pleiterisiko für Staaten, weil die EZB nur Banken, aber keine Staaten finanzieren darf“, so Masi.

Andernfalls, sollte dann auch keine gemeinsame Finanzpolitik in Europa folgen, komme es zum Verlust des Euro und zu Massenarbeitslosigkeit.



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