16 Bundesländer, 16 Schulsysteme, viele brennende Probleme

Am deutschen Bildungssystem wird seit Jahren viel geschraubt und gefeilt. Und doch reißen die Probleme nicht ab. Erneut steht das Schulwesen unter massivem Reformdruck.
Das deutsche Bildungssystem steckt in einer tiefen Krise.
Das deutsche Schulsystem steckt in einer tiefen Krise.Foto: iStock
Von 14. März 2023

Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) hat dem deutschen Schul- und Bildungssystem eine tiefe Krise bescheinigt. „Ein Weiter-so darf es angesichts der dramatischen Befunde nicht geben“, sagte sie der „Bild am Sonntag“.

Die Liste der brennenden Probleme ist lang: Marode Schulgebäude, Lehrkräftemangel, Lernrückstände sowie eine hohe Schulabbrecherquote. Lehrkräfte sind zusätzlich gefordert durch mehr als 200.000 Kinder und Jugendliche aus der Ukraine. Und obendrauf kommt der steigende Digitalisierungsdruck.

Für Diskussion sorgt auch die schleichende Entwertung des Abiturs angesichts immer besserer Noten bei gleichzeitig abnehmenden Leistungen deutscher Schüler im internationalen Vergleich. Als problematisch gelten außerdem die unterschiedlichen Anforderungen: 16 Bundesländer bedeuten 16 verschiedene Schulsysteme, Lehrpläne und Prüfungsordnungen.

16 Bundesländer und 17 Regelungen

In kaum einem anderen Schulfach werden die regionalen Varianten so deutlich wie beim „Ersatzfach“ für den Religionsunterricht. Je nach Bundesland heißt es Ethik, Philosophie, Lebensgestaltung sowie Werte und Normen. Das Fach hat vielerorts die Stellung eines „Ersatzfaches“. In manchen Regionen wird es wiederum als ordentliches Lehrfach oder als Wahlpflichtfach angeboten.

„Salopp gesprochen haben wir 16 Bundesländer und 17 Regelungen“, erklärte Religionswissenschaftlerin Katharina Neef gegenüber dem Bildungsmagazin „News4teachers“. In den westdeutschen Bundesländern etwa wird der Ethikunterricht bislang kaum gefördert. In der Grundschule wird häufig das Alternativfach zum Religionsunterricht erst gar nicht angeboten.

In den neuen Bundesländern sehe die Situation anders aus. Hier gebe es laut Neef einen vollwertigen Unterrichtsersatz für alle Schüler, die sich vom Religionsunterricht abgemeldet haben. „In Sachsen etwa besuchen circa drei Viertel der Kinder und Jugendlichen den Ethikunterricht.“ Die Religionswissenschaftlerin bezog sich dabei auf ihre Studie an der Leibniz Universität Hannover.

Obwohl fast alle Bundesländer die religionskundliche Grundbildung in ihren Lehrplänen verankert haben, gebe es dennoch zum Teil große inhaltliche Lücken. Lehrer unterrichten hier oft fachfremd. Kenntnisse über die unterschiedlichen Religionen würden im Lehramtsstudium nur wenig vermittelt.

Und so zeige sich in der Praxis, dass viele Lehrkräfte sehr unsicher seien, wenn sie über Religionen sprächen. Aufgrund von Lehrermangel steht der fachfremde Unterricht im Schulalltag für viele Lehrer immer wieder auf der Tagesordnung. Und das nicht nur beim Ethikunterricht.

Sachsen-Anhalt will Zugang zum Gymnasium erschweren

Das deutsche Bildungssystem steht unter enormem Reformdruck – gerade mit Blick auf den Fachkräftemangel. So sieht der Handwerksverband ZDH die Wurzel für das Nachwuchsproblem in handwerklichen Berufen bereits in der Schule und fordert eine „Bildungswende“.

Um mehr Schüler für den Ausbildungsmarkt – vor allem im Handwerk – zu gewinnen, hat das Land Sachsen-Anhalt nun Konsequenzen gezogen. Wie „News4teachers“ berichtet, will die Landesregierung das Niveau der Sekundarstufe „deutlich stärken“, indem sie die Schullaufbahnempfehlung modifizieren. Diese Schulform endet nach der 10. Klasse und führt in der Regel zu einem Hauptschul- oder Realschulabschluss.

Und hier liegt der Knackpunkt. Handwerkliche Berufe würden meist von Jugendlichen gewählt, die nach der 10. Klasse abgingen, erklärte Guido Heuer, CDU-Fraktionsvorsitzender in Sachsen-Anhalt. Würden mehr Schüler die Sekundarschule besuchen, würden dem Ausbildungsmarkt möglicherweise mehr Schulabgänger zur Verfügung stehen.

Für Grundschüler, die in Sachsen-Anhalt eine Empfehlung für das Gymnasium erhalten wollen, wird es in Zukunft mehr Hürden geben. So müssten sie in den Fächern Deutsch, Mathematik und Sachunterricht mindestens einen Notendurchschnitt von 2,33 erreichen. Die Note vier in einem dieser Fächer wäre demnach ein Ausschlusskriterium, zitiert „News4teachers“ den Koalitionsbeschluss.

Viertklässler, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, können an einem dreitägigen Probeunterricht an einem Gymnasium teilnehmen sowie einen Leistungstest in den Kernfächern machen. Auf diese Weise soll die Leistungsfähigkeit von Grundschülern beim Schulwechsel auch für die Eltern nachvollziehbarer werden.

Die Schullaufbahnempfehlung bleibt jedoch – anders als zunächst angedacht – weiterhin unverbindlich. Eltern können also weiterhin gegen die Empfehlung der Lehrer entscheiden. Allerdings werden sie laut neuem Koalitionsbeschluss dazu verpflichtet, an einer Lernberatung teilzunehmen, wenn ihr Kind die dritte Klasse besucht.

Weniger Bürokratie: Schulreform in Großbritannien

Könnten mehr Vorschriften für Schulen und mehr Kontrolle und Steuerung durch die Politik die Lösung für die Bildungsprobleme in Deutschland sein? Seit Jahren wird im Schulwesen umstrukturiert – von G9 zu G8 und wieder zurück zu G9, von Ganztagsschulen bis hin zu Inklusion und jahrgangsübergreifendem Lernen. Eine Reform folgt der anderen.

Für Schulleitungen und Lehrkräfte bedeutet dies jedes Mal neue Vorgaben, mehr Papier und Berichte, zusätzlicher Aufwand, um die Umsetzung zu kontrollieren und weniger Freiheit für Kreativitätsarbeit.

Dabei gibt es bereits erfolgreiche Bildungsmodelle, die den Schulen mehr Gestaltungsfreiraum und weniger staatliche Verordnungen einräumen. Im Jahr 2006 hatte der damalige britische Premierminister Tony Blair eine Schulreform durchgesetzt, die die Qualität staatlicher Schulen in Großbritannien signifikant anhob. Darüber berichtet das Magazin „Cicero“.

Im Jahr 2022 waren daraufhin sieben der 20 besten Schulen der Stadt London Schulen in öffentlicher Trägerschaft – was für die teuren Privatschulen einen erhöhten Wettbewerb bedeutet.

Der Erfolg wird unter anderem darauf zurückgeführt, dass Blair den öffentlichen Schulen die Möglichkeit gewährte, sich von der Bürokratie der kommunalen Schulaufsicht zu befreien. Sie können sich weitestgehend autonom verwalten. Finanziert werden die Schulen weiterhin aus öffentlichen Mitteln, dürfen aber auch private Quellen erschließen und Partnerschaften mit Unternehmen eingehen.

Einen Abbau von Verwaltungsvorschriften und Bürokratie in deutschen Schulen hatte zuletzt auch Thomas de Maizière (CDU), ehemaliger Staatssekretär im Kultusministerium von Mecklenburg-Vorpommern, vorgeschlagen. Ab Dienstag berät ein zweitägiger Bildungsgipfel in Berlin über die aktuellen Herausforderungen. Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger hat Vertreter von Bund, Ländern, Kommunen, Wissenschaft und Zivilgesellschaft zu dem Austausch eingeladen.



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