Antibiotikasäfte für Kinder: Bayern zieht Reißleine gegen Medikamentenmangel

Blutdruckmittel, Krebsmedikamente, Antibiotika. Seit Monaten gibt es Engpässe an Medikamenten – nicht nur in Deutschland. Der Weltärztepräsident Ulrich Montgomery spricht von „eklatantem Politikversagen“. Kinder- und Jugendärzte schlagen Alarm. Bayern reagiert.
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Symbolbild.Foto: Istockphoto/rinvalds
Epoch Times1. Mai 2023

Wegen des Medikamentenmangels will Bayern vorübergehend die Einfuhr in Deutschland nicht zugelassener Antibiotikasäfte für Kinder erlauben. „Wir in Bayern lassen nichts unversucht, um die Lage zu verbessern“, erklärte Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) am Wochenende.

Der Bund hatte am 25. April offiziell einen „Versorgungsmangel“ bei antibiotischen Säften für Kinder festgestellt. Somit ist es den Landesbehörden nach Holetscheks Worten nun möglich, im Einzelfall vorübergehend von Vorgaben des Arzneimittelgesetzes abzuweichen. Die bayerischen Bezirksregierungen sollen nun in einer neuen Allgemeinverfügung befristet den Import antibiotischer Säfte erlauben, die in Deutschland nicht zugelassen oder registriert sind. „So können die Pharmagroßhändler, Pharmafirmen und Apotheken unbürokratisch handeln“, sagte Holetschek.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) begrüßt den von Bayern eingeschlagenen Weg. Auf Twitter schrieb er am 29. April:

„Die Reaktion von @klausholetschek in Bayern ist richtig. Genau für solche unbürokratischen Aktionen der Länder gegen Antibiotika Lieferengpässe haben wir die Voraussetzungen jetzt geschaffen. Sie sollten genutzt werden.“

Brandbrief an europäische Gesundheitsminister

Am 27. April hatten Kinder- und Jugendärzte aus Europa in einem Brandbrief an die Gesundheitsminister in Deutschland, Frankreich, Österreich, der Schweiz und Südtirol (Italien) appelliert, gegen die Knappheit bei Kinderarzneimitteln vorzugehen.

„Die Gesundheit unserer Kinder und Jugendlichen ist durch den Medikamentenmangel europaweit gefährdet. Eine schnelle, zuverlässige und dauerhafte Lösung ist dringend erforderlich!“, heißt es in dem Schreiben, über das die „Neue Osnabrücker Zeitung“ zuerst berichtet hatte.

Zu den Mitzeichnern gehört auch der Präsident des Bundesverbands Kinder- und Jugendärzte, Thomas Fischbach. Es fehle an Fieber- und Schmerzmedikamenten in kindgerechter Darreichungsform. Auch das Antibiotikum Penizillin gebe es derzeit nicht, sagte er gegenüber der „NOZ“.

Wir behandeln schon jetzt fernab der Leitlinien, und der nächste Herbst steht vor der Tür. Wir werden wieder in eine Versorgungsnot geraten, die noch schlimmer werden könnte als zuletzt“, schilderte Fischbach die brisante Lage.

Antibiotika werden zum Beispiel bei Lungenentzündungen, Harnwegsinfektionen oder Scharlach verschrieben. Steht das passende Präparat nicht zur Verfügung, muss nach Angaben des Verbandes zu einem Antibiotikum der zweiten und dritten Wahl gegriffen werden, das aber schlechter wirkt und das Risiko für sich bildende Antibiotika-Resistenzen erhöht.

Gesetz gegen Medikamentenmangel

Lauterbach schrieb am Samstag, 29. April, auf Twitter, die Sorge der Kinderärzte sei berechtigt und verwies auf ein entsprechendes Gesetz zur Bekämpfung der Engpässe, das die Bundesregierung Anfang April auf den Weg gebracht hatte.

In der Begründung zum Gesetz ist nachzulesen, dass bei bestimmten Arzneimitteln mit Antibiotika inzwischen mehr als 60 Prozent der Wirkstoffproduktion in Asien stattfindet, vor zwanzig Jahren seien es noch 30 Prozent gewesen. Die Neuregelung soll Abhängigkeiten verringern und für mehr Stabilität sorgen.

Das Gesetz soll Herstellern ermöglichen, höhere Abgabepreise für Kindermedikamente in Deutschland zu verlangen, sodass sich Lieferungen nach Deutschland mehr lohnen. Bei wichtigen Medikamenten ist auch eine Pflicht zur mehrmonatigen Lagerhaltung vorgesehen. Und bei Antibiotika sollen Hersteller, die Wirkstoffe in Europa produzieren, stärker zum Zug kommen.

Der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Tino Sorge (CDU), kritisierte, dass der Gesetzentwurf der Ampel nur einen Teil der Probleme lösen werde. „Vor allem kommt das Gesetz mit Monaten Verspätung“, fügte er hinzu. Beschlossen ist das Gesetz aber noch nicht.

Montgomery spricht von „eklatantem Politikversagen“

Der Vorsitzende des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, fordert aufgrund der Engpässe eine EU-weite Medikamentenreserve. Er geht davon aus, dass sich diese als „Verpflichtung für die Pharmaindustrie, überwacht und gemanagt von Staat und Ärzteschaft“, sofort schaffen lasse. Außerdem pocht er auf passende wirtschaftliche Rahmenbedingungen seitens der Politik, um die Produktionsstandorte zurück nach Europa zu holen.

„Seit über zehn Jahren erleben wir nun zunehmende Engpässe bei der Medikamentenversorgung“, beklagte Montgomery. Der Grund seien „falsch gesetzte wirtschaftliche Anreize bei der Pharmaindustrie“. Im aktuellen System gehe Ökonomie vor Menschlichkeit, kritisierte der Ärztefunktionär. Es stelle ein „eklatantes Politikversagen“ der vorherigen und der aktuellen Regierung dar, dass die Lieferengpässe zunehmen würden.

Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) gibt der Pharmabranche eine Mitschuld an dem Dilemma. „Es gab ein gemeinsames Vertrauen in die Pharmaindustrie, dass sie im Zweifel die Versorgung der Patientinnen und Patienten sicherstellt. Dieses Vertrauen ist mittlerweile erschüttert“, sagte Lanz. Die Branche habe in der Vergangenheit Lieferketten mit Produktionsstätten im Ausland aufgebaut, die sich jetzt als instabil erwiesen.

Problem reicht über Kindermedikamente hinaus

Nach Angaben der Deutschen Stiftung Patientenschutz reicht das Medikamentenproblem weit über Kinderarzneimittel hinaus. „Überall leiden chronisch kranke Menschen an der schleppenden Versorgung mit Basismedikamenten. Blutfettsenker, Blutdruckmittel, selbst Krebsmedikamente sind Mangelware“, sagte Vorstand Eugen Brysch der „Deutschen Presse-Agentur“ (dpa). Die bisherigen nationalen und europäischen Maßnahmen reichten nicht aus, um die Patientenversorgung sicherzustellen.(sa/dpa/afp)

 

 



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