Ein Plädoyer: „Der 9. November muss zentraler Deutscher Gedenktag werden“

Seit Jahrzehnten gibt es Bemühungen, den 9. November zu einem zentralen Gedenktag der Deutschen zu erheben. Dagegen gibt es Widerstand unter anderem vonseiten des Zentralrats der Juden. In seiner Rede zum Jahrestag der Maueröffnung ging Carl-Wolfgang Holzapfel (79) Ehrenvorsitzender der Vereinigung 17. Juni 1953 auf die Punkte ein, die aus seiner Sicht dafür sprechen.
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Menschen aus Ostdeutschland und Westdeutschland versammeln sich zur Öffnung des Brandenburger Tors in Berlin am 22. Dezember 1989.Foto: PATRICK HERTZOG/AFP via Getty Images
Von 10. November 2023

„Man fragt mich oft, ob ich hasse. Aber Hass ist eine schreckliche Sache. Ich würde nie hassen wollen. Es bringt nichts. Ich habe nie gehasst, auch früher nicht. Es gibt kein christliches, muslimisches, jüdisches Blut, nur menschliches. Seid Menschen! Das ist es, was ich zu sagen habe.“

Mit diesen eindringlichen Worten von Margot Friedländer, der 1921 geborenen ehemaligen KZ-Insassin, die diese jüngst in einem Interview in der „Süddeutschen Zeitung“ gesagt hatte, begrüßte Carl-Wolfgang Holzapfel, jetziger Ehrenvorsitzender der Vereinigung 17. Juni 1953 e.V. am gestrigen Donnerstag die Anwesenden zum Gedenken an den Mauerkreuzen zwischen Reichstagsgebäude und Brandenburger Tor.

Der Redner betonte, wie wichtig gerade unter dem Gesichtspunkt der aktuellen Ereignisse, der Terror-Akte gegen Israel, diese Absage an jedweden Hass, die Betonung der Mitmenschlichkeit unter den verschiedenen Religionen und Volksgruppen sei. Dies sei besonders „für uns in Deutschland“ von großer Bedeutung. Hier würde sich der Diskurs in eine gefährliche Richtung, einen neuen Antisemitismus entwickeln, der seine Wurzeln in der neuerlichen Pflege von Hass gegen Andersdenkende habe. „Wie aber können wir dieser unheilvollen Entwicklung Einhalt gebieten“, fragt Holzapfel.

Er erinnerte an den beabsichtigten Diskurs im Schloss Bellevue zum Thema 9. November im letzten Jahr, der leider wegen des plötzlichen Todes von Werner Schulz, dem einstigen engagierten Grünen-Bundestagsabgeordneten und DDR-Bürgerrechtler, abgebrochen werden musste. Es sei bedauerlich, dass der Bundespräsident nicht den 85. Jahrestag der sogenannten Reichskristallnacht genutzt habe, um diesen dringend notwendigen Dialog zum Inhalt des 9. November fortzuführen.

„Forderungen aus Freiheitsaufstand von 1953 erfüllten sich“

Die Vereinigung 17. Juni 1953 hatte sich bereits im Dezember 1989 unter Holzapfels Federführung an die Öffentlichkeit gewandt und den 9. November als deutschen Gedenktag vorgeschlagen. Man sei seitens der ehemaligen Aufstandskämpfer von 1953 bereit gewesen, dafür auf den bisherigen arbeitsfreien Gedenktag zum 17. Juni zu verzichten, erklärte Holzapfel. „Denn am 9. November 1989 haben sich wesentliche Forderungen aus dem Freiheitsaufstand von 1953 erfüllt.“

Ausführlich ging der Redner auf die historische Bedeutung des 9. November für Deutschland ein. Bereits 1848 sei, symbolisch gewertet, das Mitglied des Frankfurter Paulskirchen-Parlamentes, Bodo Blum, während dieser Revolutionstage am 9. November in Wien erschossen worden. 1918 folgte die Ausrufung der Republik. 1923, wieder an einem 9. November, zeigte sich der erste demokratische Staat noch wehrhaft und schlug den Hitler-Putsch in München nieder. 1938 folgte die sogenannte „Reichskristallnacht“, als Synagogen brannten, jüdische Geschäfte gestürmt, Juden selbst körperlich angegriffen wurden. 1939, am Vorabend des 9. November, scheiterte das Bombenattentat auf Hitler im Münchner Bürgerbräukeller. Und letztlich führte der 9. November 1989 zum Fall der Mauer, zum Fall des Eisernen Vorhangs in Europa, zur Wiedervereinigung Deutschlands.

„Jede Nation würde sich angesichts der Häufung geschichtsträchtiger Daten in seiner Geschichte verpflichtet fühlen, einen solchen Tag in besonderer und ehrender Weise zu begehen. Warum wir nicht?“, fragte der einstige Mauerdemonstrant, der mit seinem gewaltlosen Kampf seit 1961 bis zum Fall der Mauer gegen diese gekämpft hatte. Stattdessen sei der 3. Oktober zum Ersatztag für den 17. Juni kreiert worden, ein „Gedenktag nach Aktenlage, ohne historisch bewegenden Bezug.“ Gedenktage bedürften aber der Lebendigkeit des Geschehens, auf denen diese beruhen, so Holzapfel.

„Geschichte ist keine lecker gedeckte Tafel“

Er kritisiert: Geschichte sei keine lecker gedeckte Tafel, von der man sich die besten Happen nach Gutdünken aussuche und das weniger Appetitliche einfach liegen lasse. Geschichte sei eine Ansammlung von Tränen: Tränen der Verzweiflung, der Trauer. Aber auch Tränen der Freude, Tränen unendlich empfundenen Glücks. Genau dies sei der 9. November in der bewegten, teils fürchterlichen, teils aber auch glückseligen Geschichte Deutschlands.

Und er berichtet weiter: Der Bundespräsident habe ihm am 17. Juni dieses Jahres zugesagt, diesen notwendigen Diskurs „trotz der offenbaren Schwierigkeiten, die sich damit verbinden“ fortzuführen. „Wir appellieren als Vereinigung im Schatten der Mauerkreuze, die zwischen Reichstag und Brandenburger Tor an die Vorkämpfer der Einheit und die Opfer der deutschen Teilung erinnern, diesen wichtigen Dialog fortzuführen.“ Ein Gedenktag „9. November“ wäre überdies auch die beste Prävention gegen jeglichen Antisemitismus. Die offenbaren Befürchtungen des Zentralrats der Juden, dass der schreckliche Holocaust (insbesondere die Reichskristallnacht am 9. November 1938) im Nebel eines „freudetrunkenen“ 9. November verblassen oder gar vergessen werden würde, teile die Vereinigung nicht. Ganz im Gegenteil würde diese Einbettung in die deutsche Historie den Gedenkcharakter „auch an dieses Jahrhundertverbrechen“ wesentlich erhöhen und damit unsterblich machen.

Nach weiteren Redebeiträgen, u. a. von Evelyn Zupke, der Bundesbeauftragten für SED-Opfer und von Fraktionsführern und Abgeordneten im Abgeordnetenhaus von Berlin und dem neuen Vorsitzenden der Vereinigung 17. Juni, Mike Mutterlose, wurden Kränze an den Mauerkreuzen niedergelegt und der Opfer gedacht.



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