Hitzige Organspende-Debatte: Widerspruchslösung – Eingriff in das Recht auf Unversehrtheit des Körpers

Ein Angriff auf das Recht der Unversehrtheit des Körpers für die einen, der einzige gangbare Weg für die anderen. In der gestrigen Bundestagssitzung entfachte eine heiße Diskussion zum Thema Organspende.
Titelbild
Bundesgesundheitsminister Spahn.Foto: TOBIAS SCHWARZ/AFP/Getty Images
Epoch Times27. Juni 2019

„Stellen Sie sich vor, ein junger Mensch hat einen Motorradunfall und sich mit dem Thema (Organspende) zuvor nicht befasst. Das ist nämlich der Punkt: Bei der Zustimmungslösung hat man sich befasst; bei der Widerspruchslösung hingegen weiß man nicht, ob sich dieser junge Mensch damit befasst hat. – Der junge Mensch ist hirntot, und den Eltern wird gesagt: Er hat nicht widersprochen. – Ich möchte mir nicht vorstellen, was in unserer Gesellschaft los ist…“, so Hilde Mattheis (SPD) in ihrer Rede vor dem Bundestag zum Thema Organspende. Sie war eine von 24 Politikern, die in Beiträgen von maximal fünf Minuten ihre Stellungnahme zum Thema Widerspruchslösung in der gestrigen Bundestagsdebatte vortragen konnten.

Dass in einer Situation, in der Eltern mit dem Hirntod ihres 18-jähriger Sohnes konfrontiert und vor die Entscheidung gestellt werden, ob dessen Organe zur Spende freigegeben werden sollen oder nicht, ist eine aktuelle Situation, wie sie derzeit in deutschen Krankenhäusern gehandhabt wird. Niemand erklärt, dass hirntot nicht tot bedeutet. Niemand weist darauf hin, dass nur lebenden Patienten Organe entnommen werden.

Hirntote sehen aus wie schlafende Menschen. Hirntod hat nichts mit kalten, blassen Leichen zu tun. Und aus diesen hirntoten Menschen sollen künftig vermehrt Organe entnommen werden, so das Anliegen von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Denn bislang gilt niemand als Organspender per se. Doch das könnte sich mit der beabsichtigten Widerspruchslösung schon ab dem nächsten Jahr ändern. Wie beispielsweise im Nachbarland Österreich auch, könnte dann in Deutschland ein Verkehrsopfer per Gesetz Organspender sein.

Und auch SPD-Politikerin Mattheis knüpft an den verunglückten Motorradfahrer, von dem sie gesprochen hatte, wieder an und ergänzt:

Wenn in dieser Situation die Eltern sagen: Ich weiß nicht, dass mein Kind Organe spenden wollte. Und jetzt sitze ich da und habe keine Möglichkeit.“

In dem Moment wird es unruhig im Bundestag. Ist die Wahrheit unbequem? Es gibt Zwischenrufe aus Reihen der CDU/CSU, Tino Sorge ruft: „Sie können doch widersprechen als nahe Angehörige!“ und auch Karl Lauterbach (SPD) ruft: „Dann ist der Widerspruch doch da!“.

Mattheis wird energisch:

Stopp! Dann schauen Sie in Ihren eigenen Gesetzentwurf.“

Die Politikerin spricht sich gegen ein Gesetz aus, dass jeden Menschen zum Organspender macht. Ihr sei es wichtig, „gemeinsam den richtigen Weg“ zu finden. Eine Zustimmung zur Organspende solle „ganz aktiv“ abgeholt werden, beispielsweise beim Erste-Hilfe-Kurs, wenn man den Führerschein mache, in der Ausweisstelle und beim Hausarzt. Alle zwei Jahre solle die Möglichkeit bestehen, beim Hausarzt das Thema zu besprechen. Dies solle zudem entsprechend vergütete werden.

Klar ist für Mattheis, „dass das Selbstbestimmungsrecht der Bevölkerung ein wichtiges Gut ist – für alle übrigens, für alle.“

Vormundschaftlicher Staat greift in Recht auf Unversehrtheit des Körpers ein

SPD-Politiker Dietmar Nientan sieht es so: „Eine Einwilligung ist eindeutig, ein fehlender Widerspruch nicht“.

Er stellt die Frage:

Ist die Freiheit, zu widersprechen, in einer offenen Gesellschaft freier Menschen der Freiheit, eigenständig zu entscheiden, gleichzustellen? Ich finde, dass in diesem Zusammenhang die Widerspruchslösung ein gravierender Paradigmenwechsel ist.“

Schließlich würde bei Inkrafttreten der Widerspruchslösung ein freier Mensch erst aktiv werden, um die ihm bisher garantierte Unversehrtheit des Körpers zurückzuerlangen.

Ich will nicht, dass Menschen der Einschränkung ihrer Freiheit widersprechen müssen, weil der vormundschaftliche Staat erst einmal für sie und über sie hinweg entschieden hat. Ich weiß nicht, ob ich überempfindlich bin, wenn ich bei „Widerspruch“ irgendwie auch an „Widersetzen“ oder gar an „Widerstand“ denken muss. Ich finde, das passt in diesem Zusammenhang nicht.“

Organspende als Akt der Nächstenliebe

Nientan ist Christ. Für ihn sei Organspende „ein Akt der Nächstenliebe“. Gleichzeitig billige er jedem zu, dass er sein „unveräußerliches Selbstbestimmungsrecht“ wahrnimmt und in dieser Frage zu einer völlig anderen Entscheidung kommt.

Die Widerspruchslösung könnte „zum Kumpanen von Ignoranz und Gleichgültigkeit“ werden. Denn es gäbe nun einmal Menschen, die sich nicht mit diesen „ethischen Fragen“ beschäftigen. Diese Leute denken:

Das hat doch schon der Staat für mich entschieden. Warum soll ich widersprechen?“

Derartige Fragen müssten aus der „Ecke von Tabu, Scham und manchmal leider auch Gleichgültigkeit“ herausgeholt werden, indem sie immer wieder auf die Tagesordnung kommen, so Nientan. Sich im Alter von 16 zu einem Widerspruch gegen Organspende zu entscheiden, sei nicht, was man brauche. Sein Ansatz ist:

Statt Stillschweigen als eine Art Freigabe der eigenen Organe zu bewerten und damit die bewusste menschliche Geste einer freiwilligen Spende der eigenen Organe zu einer staatlich verordneten Organentnahme zu entwerten, sollten wir den vermeintlich mühsameren, längeren oder auch unsichereren Weg einer verbesserten Entscheidungslösung gehen, indem wir immer wieder neu verbindliche Informationen und bessere Aufklärung gewährleisten, indem wir immer wieder regelmäßige Auseinandersetzungen mit dem Thema Organspende fördern und indem wir immer wieder ermutigen, sich dem Leid anderer zuzuwenden.“

Insoweit sei ein gesicherter Zugang zu den persönlichen Daten im Organspenderegister zu schaffen, damit jederzeit die getroffene Entscheidung widerrufen werden kann. Dies sei ein gangbarer Weg zu einer „menschlichen Gesellschaft, der uns davor bewahrt, in unserem Bemühen, das Gute tun zu wollen, der Bevormundung den Weg zu bahnen“.

Im Krankheitsfall ist jeder potenzieller Organempfänger

In den letzten Jahren führe man immer die gleiche Diskussion. Sieben Jahre, sagte Bundesgesundheitsminister Spahn gestern vor den Abgeordneten, vor sieben Jahren habe er gesagt: „Wir müssen mehr informieren, mehr aufklären.“

Er erinnert sich:

Ich weiß noch, wie wir damals die Pressekonferenz gegeben haben, als wir das Recht geändert haben. Wir haben es gefeiert, dass alle zwei Jahre Informationen verschicken und wir Aufklärungskampagnen machen und wir haben wahrlich viel gemacht… Der Weg hat bis hierhin nichts gebracht.“

Vielmehr hätte dieser Weg in einen Tiefstand der Organspende geführt. Daher müsse der Weg geändert werden.

Die Wahrscheinlichkeit, selbst Empfänger einer Organspende zu werden – auch darüber muss man mal nachdenken -, sie zu brauchen, weil man entsprechend erkrankt ist, ist höher als die Wahrscheinlichkeit, selbst als potenzieller Organspender mit Spenderausweis Organspender zu werden.“

Die Wahrscheinlichkeit, Empfänger zu werden, sei höher als die, Spender zu werden – selbst wenn man „Ja“ gesagt hat.

Weil jeder von uns im Krankheitsfall potenzieller Organempfänger ist – wir sind alle potenzielle Organempfänger -, ist die Frage, ob das nicht rechtfertigt, grundsätzlich potenzieller Organspender zu sein, es sei denn, man widerspricht ausdrücklich.“

Dieses Argument rechtfertigt nach Spahns Ansicht eine gesetzliche Regelung, dass man von einer „grundsätzlichen Bereitschaft“ zur Organspende ausgehen solle, es sei denn, man widerspricht ausdrücklich. Falls diese Widerspruchslösung tatsächlich in Kraft treten sollte, würden innerhalb von sechs Monaten alle Bürger dreimal angeschrieben. In entsprechenden Schreiben würden die Bürger in Deutschland auf die neue Gesetzeslage und ihre Rechtsfolge hingewiesen. Und auch die 16-Jährigen schon angeschrieben, so Spahn. Natürlich würde es auch Aufklärungen und Informationskampagnen geben.

Und auch bei einem 18-jährigen Motorradfahrer, der verunglückt ist, würden die Eltern gefragt, ob es einem mutmaßlichen Willen des Verstorbenen gibt, der dagegen spricht.“

Spahn gehe davon aus, dass die Widerspruchslösung zwar keine „Wunderwaffe“ sei, dafür aber die Entscheidung „einen qualitativen Unterschied ausmache“.

Und auch wenn es das Selbstbestimmungsrecht gibt, so sei es auch die Pflicht davon Gebrauch zu machen – „weil man es den Patientinnen und Patienten schuldig ist“. Es schließt seine Rede mit den Worten:

Angesichts dessen, was wir erreichen müssen, ist genau diese Verpflichtung, sich entscheiden zu müssen, am Ende auch in einer freien Gesellschaft zumutbar“.

Einziger Weg: Entscheidungszwang

Claudia Schmidtke (CDU/CSU) war die letzte der 24 Redner. Sie appelliert:

Was dabei stets ignoriert wird, ist, dass der Systemwechsel das Entscheidende ist. Ohne diesen Paradigmenwechsel hätte es nicht eine Organspende mehr gegeben, denn es geht nicht nur um die gesetzliche Neuordnung; es geht auch um die gesamte kulturelle Ausrichtung, die dahintersteht.“

Sie kritisiert, dass Deutschland als einziges der acht Länder im Eurotransplant-Verbund keine Widerspruchsregelung hat. Deutschland würde nur durch die Widerspruchsregelung der anderen Länder „überleben“. Sie ergänzt: „Solidarität sieht anders aus.“

Dafür gibt es einen Zwischenruf von Steffi Lemke (Bündnis 90/Die Grünen): „Die Rede wird jetzt aber langsam schlimm!“

Schmidtke habe die Patientin im Fokus – 10.000 stehen derzeit auf der Warteliste für ein Spenderorgan. Für sie müsse eine Lösung gefunden werden. Sie plädiert dafür, dass man sich mit den Betroffenen trifft bis zur zweiten Lesung. Dazu könne man ihr Büro kontaktieren.

Auch darauf hat Lemke eine Anmerkung. Sie ruft: „Das ist das Letzte, was ich tun würde!“

Es gehe darum, so Schmidtke, dass nicht gezögert, sondern gehandelt wird – und das ginge nur mit einem einzigen Zwang: sich zu entscheiden. (sua)



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